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Museumsreif: Das riesige Musikarchiv des legendären Radio DJs John Peel soll per Online-Ausstellung interaktiv zugänglich gemacht werden. Teenage dreams so hard to beat.
John Peel im Studio.
Wahrscheinlich könnte man sich das allermeiste von all dem Irrsinn gar nicht anhören. Schon, weil man dazu ein ganzes Musikhör-Leben bräuchte, eines, das 25.000 Platten, 40.000 Singles und noch ein paar Tausend mehr CDs fassen könnte. Eines, das mindestens von 1967 bis 2004 reichen müsste. Das ist die Zeitspanne, in der John Peel DJ bei BBC Radio 1 war und in der sich diese Sammlung zusammenfand. Jetzt soll das Archiv von John Peel in einer Art interaktivem Online Museum allen zugänglich gemacht werden, zumindest ein Teil davon. Wöchentlich sollen 100 Alben online gestellt werden, am Ende werden es vielleicht 2.500 sein, immer noch eine stolze Menge für die arg begrenzte Zeitspanne von Mai bis September. So lange – besser: kurz – soll das Online-John-Peel-Museum aktiv sein – jetzt schon der erste Kritikpunkt am ansonsten sehr engagierten Unternehmen des “John Peel Centre for Creative Arts” und der BBC, die das Wirken seines langjährigen Moderators inzwischen sehr viel ernster nimmt als in den frühen Jahren.
Damals war die “Popwelle” Radio 1 gegründet worden, eine direkte Reaktion auf die zahlreichen Piratenradios, deren frech vor den Küsten agierenden Trägerschiffe allerdings gerade gesetzlich aus dem Verkehr gezogen worden waren. Die Nase rümpfte man auf den Fluren und in den Gremien des altehrwürdigen Funkhauses über die neuen, langhaarigen Kollegen mit ihrer seltsamen Krachmusik. Dem Aufstieg von Radio 1 zum vielleicht wichtigsten Medium für Popmusik überhaupt tat das keinen Abbruch. Nirgendwo sonst – außer eben bei den technisch limitierten Pirate Stations, die bis heute eine enorm wichtige Rolle auf der Insel spielen – konnte man besser verfolgen, was sich in der rasant entwickelnden Musikszene so tat. Und das ließ sich über Jahrzehnte am allerbesten bei einem Host machen: John Peel gehörte von Anfang an dazu, bis 2004 – da starb er überraschend an einem Herzinfarkt – war er der dienstälteste Radio DJ bei der BBC und der in der Welt bekannteste sowieso.
John Peel in seinem Garten. Blur auch.
Man kann es der BBC gar nicht hoch genug anrechnen, dass sie John Peel einfach hat machen lassen, dass sie ihm nie in seine Sendungen reingequatscht hat. Dass sie ihn sogar all diese Unmengen von Bands für seine über 4.000 “Peel Sessions” ins Studio holen ließ, deren Auflistung allein jeden halbwegs aufgeklärten Popmusik-Hörer der letzten Jahrzehnte immer noch in Andacht verfallen lässt, und die eine komplette alternative Chronologie der englischen Popmusik-Wahrnehmung seit den Spätsechzigern ergeben. Das Konzept seiner Shows war dabei denkbar simpel: Spielen, was einem selbst gefällt und wovon man denkt, dass die anderen es kennenlernen müssten. Es ist das Grundprinzip jeder Radio-DJ-Sendung, seit es Radio gibt und es funktioniert, wenn der DJ zu den Guten gehört. Wobei man “funktionieren” natürlich aus Sicht von DJ und Hörern sehen muss. Denn es ist die Antithese zum Formatradio, zu rechnergenerierten Playlisten, zu einem Radio, das sich über die letzten zwei Jahrzehnte zunehmend selbst entleibt hat, in England allerdings – wo Popmusik wie nirgend sonst so etwas wie staatstragend und Mittel von nationbuilding über alle Schichten hinweg ist – zumindest deutlich weniger konsequent und mit den größeren Schlupflöchern als hierzulande.
Es auch ist die Personifizierung einer Gatekeeper-Allmacht, die auf der Akzeptanz eines Elitegeschmacks beruht, der in Zeiten antiautoritärer Musiknutzungsgewohnheiten schnell als überflüssig erklärt wird, die jedoch die Bereitschaft verlangt, sich von einer ganz und gar nicht neutralen Instanz vorschreiben zu lassen, was “gut” ist. Es ist nicht zuletzt die Absage an das vermeintlich demokratisch agierende Empfehlungssystem der Algorithmen, die einen mit zunehmender Perfektion in immer enger abgezirkelte Genreghettos ziehen und die einem die Vielfalt der Musikwelt eher verschließen, als den weitestmöglichen Zugang zu eröffnen. Man darf sich auch nicht vorstellen, John Peels Sendungen wären allesamt offenbarende Inseln reiner Glückseligkeit gewesen. Eher das Gegenteil war der Fall: Denn zum Prinzip gehörte es, gerade auch die abseitigen, anstrengenden Klänge zu präsentieren. Oft genug war schwer nachvollziehbar, was Peel an dieser oder jener exotischen Band nun so besonders faszinierend fand.
Im Studio mit PJ Harvey.
Die unbedingte Rücksichtslosigkeit gegenüber eventuellem Unverständnis wiederum machte den Großteil seines Charmes überhaupt erst aus. Und am Ende hatte er ja oft genug Recht. Öfter, genau genommen, als alle anderen zusammen. Jetzt in sein Archiv zu hören zu können, dürfte auch alles andere als eine leichte Übung werden. Nicht für die Besucher, die sich ganz sicher auf etliche Stunden anstrengendes Musikmaterial einstellen müssen. Natürlich auch nicht für die Macher. Denn was wählt man aus, von all dem, was der größte Auswähler der Popradio-Geschichte für aufhebenswert hielt? Es wird – das ist jetzt schon sicher – ein Hörabenteuer.
Augsburg
(Fotos, v. o.: Porträt von Sir Peter Blake, Cover des Albums “John Peel Right Time Wrong Speed 1977-1987”; BBC; John Peels Family, Booklet des Albums “John Peel – A Tribute”; Anja Grabert, aus dem Booklet des Albums “PJ Harvey – The Peel Sessions 1991-2004”)
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