Ein Vierteljahr nach der EP ‘Temperatur Des Kreises’ legen TempEau nun mit dem selbstbetitelten Debüt-Album nach. Bis auf ‘Staub’ ist alles von der EP enthalten (inklusive der schönen, aufwendigen Videos). Also alles beim Alten. Texter/Gitarrist Jan Plewka lässt in seinen Texten nach wie vor viel Freiraum für Interpretationen. In ‘Junge Im Schnee’ schreit Sänger/Bassist Marek Harloff z.B. “Kein Halt mehr!” Verliert er den Halt? Oder kann ihn nichts mehr aufhalten? Überhaupt dieses Bild: Junge im Schnee! Was sich Jan dabei gedacht hat, wie es überhaupt zur “Reunion” mit Marek kam und in welchem Zusammenhang auch Schlagzeuger Stephan “Stoppel” Eggert mal singen darf, ist hier zu erfahren.
Der Auslöser für die gemeinsame Band war ja, dass Max Herre als Berater Marek für einen Musikfilm gecastet hat. Wie war das eigentlich, als er Jan fragte, ob er nicht Marek betreuen könnte?
Jan: Ich fragte zurück: “Wie heißt der? Marek Harloff? Ah ja, das trifft sich gut. Das ist der Patenonkel meiner Tochter!” Nachdem wir drei Lieder für den Film geschrieben hatten, ist die Plattenfirma fast durchgedreht. Sie meinte, dass wir eine ganze Platte machen müssten.
Marek: Nach dem Dreh gab es leider Probleme mit dem Produzenten. Dass der Film jetzt seit einem Jahr auf Eis liegt, ist aber auch ganz gut. Denn ansonsten wären wir nur die Band, die in diesem Film war. Jetzt spielen wir erst mal in kleinen Clubs. Das ist viel echter und macht viel mehr Spaß.
Jan: Du überlegst dir ja schon mal, ob du dein Leben richtig führst. Solche Zufälle zeigen dir, dass du doch irgendwas richtig gemacht hast. Das fühlt sich alles sehr gut an. Fast so, als ob wir die Wege nur für dieses Projekt gegangen sind.
Marek: Hätte ich mit 20 weiter Rockmusik gemacht, hätte ich das nicht durchgestanden. Ich wäre dann noch …äh… schwer drogenabhängig geworden.
Du hast ja auch für Max Herre einen Text geschrieben. Wie ist es denn so, ihn ‚Alter Weg’ singen zu hören?
Jan: Ich habe schon für einige Leute Lieder geschrieben, die das angefragt hatten. Aber da kam dann immer die Ansage: “Ja, das ist schön und gut, aber nimm das mal lieber für dich selber!” Freigeister wie Marek und Max sind da was anderes. Da weißt du, dass die das zu was Eigenem machen und das lebendig wird.
Wie kommt es denn, dass ihr so viele Protestsongs schreibt?
Jan: Also Marek war schon immer einer, der sich leidenschaftlich echauffiert hat über das Zeitgeschehen. Er war nie der Typ, der gesagt hat, dass du sowieso nichts ändern kannst. Die Band Matsch, in der Marek und ich ja früher zusammen gespielt haben, ging schon in diese Richtung. Da gab’s z.B. ein Lied über einen Drogensüchtigen, der sich den goldenen Schuss setzt. Das war natürlich schon etwas merkwürdig, wenn wir süßen Zwölfjährigen über so was sangen. Aber das war damals halt so. Am Lagerfeuer habe ich immer Liebeslieder gesungen. Dann ging die Gitarre weiter zu Marek, der lieber “Working Class Hero” von Billy Bragg gespielt hat. Zu mir kamen die hübschen Mädchen und zu Marek die mystischen Elfen vom Strand. Da war der eine natürlich immer neidisch auf den anderen. Für mich ist es jetzt eine riesengroße Ehre, dass ich Texte schreiben kann, die von ihm gesungen werden. Die Sachen sind sehr bildhaft, aber ich habe da auch das Vertrauen, dass er das richtig interpretiert. Wir wissen einfach über einander Bescheid. In einer Zeit, in der George W. Bush wieder gewählt wird, musst du als normaler Mensch irgendwas dazu sagen. Und wenn es nur Bilder sind.
Apropos Bilder. Auf der CD sind ja auch ein paar Videos enthalten. Wie kam’s dazu?
Jan: Sender wie MTV oder VIVA zeigen unsere Videos nicht. Das war uns aber schon klar, als wir das gedreht haben. Du kannst keine Kalaschnikows usw. zeigen. Wir haben aber extra gefragt, ob wir da was raus schneiden sollen. Die meinten “Nö”! Jetzt haben sie einen Brief zurückgeschickt: “Wir können euch nicht zeigen. Und sendet uns das bitte nie wieder!” Wir sind aber inzwischen auch sehr stolz darauf, dass wir abgelehnt wurden. Denn bei der Volksverdummung will ich auch gar nicht dran teilhaben.
Marek: Ich habe allerdings auch schon gehört, dass richtig große Namen abgelehnt wurden, weil sie nicht ins Konzept passten. Musik mit so einem Konzept zu koppeln, ist sowieso total widersinnig. Die Leute sind dafür da, den Profit zu maximieren. Da wird sogar schon mal öffentlich zugegeben, dass sie mit Musik überhaupt nichts anfangen können.
Wie ist das denn z.B. mit dem Bild des “Jungen im Schnee”. Ist das so real gemeint?
Jan: Ich appelliere da an die Phantasie des Zuhörers. Bei mir ist es so, wenn ich Marek singen höre, dass ich da einen Jungen in den verschneiten Bergen Afghanistans laufen sehe. Oder einen in New York, der vor dem Staub des World Trade Centers wegläuft. Diese Bildsprache lässt einfach große Interpretationsmöglichkeiten zu.
Marek: Ich bin auch der Meinung, dass ich immer verstanden habe, worum es Jan geht. Auch schon bei den Selig-Sachen.
Jan: Ja, weil du wusstest, von wem ich singe!
Marek: Ja klar. Aber das war auch immer die Art, wie ich gerne geschrieben hätte. So wie Jan schreibt, reicht mir das aus. Wenn ich selber was schreibe, fühle ich mich viel unsicherer.
Bei ‘Benzin’ gibt es auch die Zeile “…das Kaufhaus brennt”! Ist das extreme Konsumkritik oder steckt was anderes dahinter?
Jan: Wir sind damals auf Drogen wirklich auf ein Kaufhaus geklettert und haben dann da Rauchschwaden gesehen. “Hilfe, Hilfe, das Kaufhaus brennt!” Die RAF hat ja auch damit angefangen, dass sie in Kaufhäusern so kleine Brandbomben gezündet haben. Das vermischt sich alles so. Das sind alles nur so Schlagbilder, die schon eine “extreme Konsumkritik” darstellen.
Marek: Ich war früher schon auf jeder Anti-Kriegsdemo. Das kommt aus meiner Erziehung.
Jan: Ich stand auch im Schwulen-Block, als Stoiber in Köln war und habe “Buu-huuh” gerufen!
Marek: Es ist einfach wichtig, das Maul aufzumachen!
Jan: Und sich dabei auch mal das Maul zu verbrennen!
Marek: Albern sind doch solche Künstler, die sagen: “Ich will zurück auf die Straße… aber nur, wenn ihr mich tragt!”
Für das Theaterstück ‘Lila’, das gerade am Hamburger Schauspielhaus läuft, habt ihr ja eure Bandpositionen gewechselt. Wie ist es denn so als Sänger, Stoppel?
Stoppel: Oh Gott, ich wusste das vorher gar nicht. Also ich wusste schon, dass ich einen Sänger spielen soll. Aber nicht, dass ich auch singe. Ich sagte: “Na gut, wenn ich da als Sänger auch immer ein bisschen Blabla sage, ist das okay.” Doch plötzlich stand das Mikro in der Mitte und es hieß “Showtime”! Das ist schon komisch.
Marek: Aber Stoppel hat eine große Karriere als Sänger vor sich.
Stoppel: Vielleicht mache ich auch ein Musical.
Jan: Ich denke, du wirst der deutsche Adriano Celentano.
Stoppel: Ich finde das aber auch schon super, dass ich eine kleine Sprechrolle habe. Also das ist das erste Mal überhaupt, dass ich auf der Bühne den Mund aufmache.
Was hat es mit dem Artwork der CDs auf sich?
Jan: Ina Senftleben hat für ihre Fotos diese Funkenmariechen vom Kölner Karneval genommen und in einen dunklen Wald gesteckt, um das Unsichtbare sichtbar zu machen. Weil es ja schon irgendwie etwas pervers ist, wenn diese kleinen Kinder in ihren Röckchen und mit sexy Unterwäsche für die besoffenen Karnevalisten Can Can tanzen müssen. Auf der EP ist ein Bild, das Ina ‘Strudelapfel’ nennt. Dafür hat sie einen Apfel ins Wasser geworfen und fotografiert. Der Wald ist für uns auch eine Symbolik für unsere Kindheit. Wir sind am Rand von Hamburg in Ahrensburg aufgewachsen. Da gab’s viel Wald!
Im Booklet sind auch viele Zeichnungen von Jan. Hast Du die extra zu den Liedern gezeichnet?
Jan: Wenn ich Texte schreibe, benutze ich dafür meistens Bücher mit Blankoseiten. Da zeichne ich dann auch ab und zu was rein. Von solchen Büchern habe ich ganze Regale voll. Für unser Album habe ich eigentlich wahllos nach den Büchern gegriffen und Zeichnungen raus gesucht. Von denen im Booklet dachte ich, dass sie ganz gut passen.
Habt ihr eigentlich keine Angst, wieder dem Druck wie bei Selig ausgesetzt zu sein?
Jan: Der Alltag tötet die Liebe, wenn das immer der gleiche Trott ist. So ist es auch bei Selig gewesen. Das war eine völlig verrückte Welt, in der wir gelebt haben. Trotzdem war es Alltag. Ein Mikrokosmos. Jetzt ist es so, dass wir uns vom Theater befruchtet auf die Bühne stellen. Oder eben von Zinoba. Das sind alles Quellen, die fließen. Und kein Tümpel, der langsam verrottet. Außerdem bin ich reifer geworden. Ich hatte auch ein Jahr lang darüber nachgedacht, was anderes zu machen. Aber am Ende habe ich gesehen, dass ich das bin. Dass es mir Spaß macht, Songs zu schreiben. Jetzt ist das alles sehr gut so!
Text: Holger Köhler
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