Dostojevski, Edvard Munch und Neil Young – Kellermensch verstehen es, über den Tellerrand hinaus zu blicken.
Sie sind der derzeit wohl heißeste dänische Musik-Export, haben mit ihrem Debüt “Kellermensch” gleich einmal einen Major-Deal unter Dach und Fach gebracht, spielten bei Rock am Ring/Rock im Park und sind doch unendlich schwer einzuordnen. Die Rede ist von dem Sextett Kellermensch, das zur Zeit heiß diskutiert wird. Der ambitionierte Stilmix der Dänen ist nicht nur ein ungewohntes Hörerlebnis, er birgt auch gewisse Risiken. Die Ernsthaftigkeit und der Stolz, genauso wie die Melancholie ihrer Songs zeichnen diese Band aus. Im Interview mit motor.de äußerten sich Sänger Sebastian Wolff und Drummer Anders Trans zu ihrer steilen Karriere, künstlerischer Inspiration und der Widersprüchlichkeit menschlichen Lebens überhaupt.
motor.de: Auch wenn ihr zuletzt einiges an Aufmerksamkeit auf euch gezogen habt, würdet ihr euch und euren Sound kurz vorstellen, für die, die euch noch nicht kennen?
Sebastian: Tja, ich bin Sebastian, singe und spiele Gitarre bei Kellermensch und wir haben gerade unser Debüt in Deutschland veröffentlicht. Wie wir klingen, das ist schon ein bisschen schwerer zu sagen. Vor allem, weil wir sehr verschiedene Elemente in unserer Musik vereinen. Irgendwie dreckig und verzerrt, doch zur gleichen Zeit auch sanft und schön. Heavy und aggressiv, auf der anderen Seite aber immer auch etwas melancholisch.
Anders: Damit ist bereits alles gesagt. Ich bin Anders und der Drummer bei Kellermensch.
motor.de: Wie hat sich Kellermensch entwickelt? Wann habt ihr angefangen und wie seid ihr an den Punkt gelangt, an dem ihr jetzt seid?
Anders: Wir haben 2006 angefangen, zusammen zu spielen und dann eine Weile ganz gezielt an unserem Debüt gearbeitet. Das erschien dann 2009 in Dänemark, allerdings nur als 10-Track-Version, mit der wir seitdem auf Tour sind. Irgendwie sind wir letztes Jahr dann auch auf der PopKomm gelandet und nun erscheint unser Album also hier in Deutschland, in einer etwas erweiterten Version
motor.de: Woher stammt die Idee mit dem deutschen Bandnamen? Wie ich las, ist er an die Novelle “Aufzeichnungen aus dem Kellerloch” von Fjodor Dostojevski angelehnt? Wie viel von dieser Geschichte und dem darin beschriebenen Charakter steckt in eurer Musik?
Sebastian: Wir haben entschlossen, uns nach dem Buch zu benennen, weil wir der Meinung waren, dass es durchaus Ähnlichkeiten gibt, zwischen dessen Inhalt und dem, was wir als Band tun möchten. Der Titel funktioniert sowohl auf deutsch, als auch auf dänisch, wir haben uns dann aber für die deutsche Variante entschieden. Und zum zweiten Teil der Frage: Was wir von Dostojevski oder diesem Buch in unserer Musik zu reflektieren versuchen, ist der Wunsch oder die Fähigkeit, das alltägliche Leben in einer Art und Weise darzustellen, die drängend und dramatisch wirkt. Außerdem verkörpert der Charakter in dieser Novelle perfekt die Widersprüchlichkeit menschlicher Verhaltensweisen und Emotionen. Das ist im Grunde ein sehr unsicherer Typ, der sich im selben Moment aber allen anderen Menschen überlegen fühlt, was bis zur Arroganz reichen kann. Ich denke, dass viele Menschen diese widersprüchlichen Geisteszustände aus eigener Erfahrung kennen.
Kellermensch – “Army Ants”
motor.de: Außerdem ist auf eurer Website zu lesen, dass ihr auch großes Interesse an bildender Kunst besitzt, zum Beispiel an der Künstler-Gruppe “Die Brücke”. Würdet ihr euch also als Künstler in einem weiteren Sinne als nur in musikalischer Hinsicht definieren? Oder anders gefragt – inwieweit beeinflusst euer Interesse an anderen Kunstformen euren musikalischen Output?
Sebastian: Vor allem Maler und Schriftsteller hatten einen sehr großen Einfluss auf uns, als wir das Album geschrieben haben. Hauptsächlich in der Hinsicht, dass sie uns Hoffnung und Zuversicht für das gegeben haben, was wir uns vorgenommen hatten: Wir wollten mit kraftvollen Arrangenments spielen und doch nie die Leichtigkeit und das Gefühlvolle aufgeben und wir waren uns gar nicht so sicher, ob das am Ende auch funktionieren würde. Das Problem ist, dass die meisten Bands, die mit schwerem Bass, verzerrten Gitarren und polternden Drums arbeiten, sehr exakt agieren, beinahe maschinell. Genau das wollten wir vermeiden. Es sollte trotz der Heavieness alles noch organisch klingen. Die Künstler der “Brücke”, vor allem aber Edvard Munch haben uns in dem Punkt sehr inspiriert, weil sie bewiesen haben, dass das funktionieren kann – diese Künstler haben es geschafft, mit einem sehr sanften, spielerisch wirkenden Malstil enorm kraftvolle Bilder zu malen.
motor.de: Die Produktion eurer Platte ist wirklich sensationell sauber und druckvoll. Habt ihr da von Sebastian’s Erfahrung als professioneller Produzent profitiert?
Anders: Absolut. Dass wir einen Produzenten in der Band haben, hat uns viele Freiheiten eröffnet und die Möglichkeit gegeben, eine Menge mit dem Sound zu experimentieren.
motor.de: Ihr habt dieses Jahr auch bei Rock am Ring und Rock im Park gespielt. Wie hat sich das angefühlt? Etwas angsteinflößend, kann ich mir vorstellen?
Sebastian: Das war eigentlich sehr spaßig. Klar können so große Bühnen durchaus etwas einschüchternd wirken und es ist wirklich eine Herausforderung, das Publikum über die große Distanz, die dann herrscht, noch zu erreichen. Wir sind vor allem kleinere Clubs gewöhnt, in denen die Leute auch alle Details mitbekommen. Aber es ist immer toll, auch andere Erfahrungen machen zu können.
motor.de: Mit “Don’t Let It Bring You Down” habt ihr auch ein Neil Young-Cover auf eurem Album. Wie kam es dazu?
Sebastian: Neil Young hat einen sehr großen Einfluss auf unsere Musik, also war es irgendwie naheliegend einen Song von ihm zu covern. Dass es jetzt gerade der Song geworden ist, hat damit zu tun, dass wir ihn uns einfach gut in unserem Sound-Gewand vorstellen konnten.
motor.de: Ihr habt nicht nur irgendein Label gefunden, das euer Album hier in Deutschland herausbringt, sondern gleich einen Major-Deal an Land gezogen.
Anders: Wir haben damit nicht gerechnet. Vor allem nicht mit diesem Album im Rücken, denn das klingt nun wirklich nicht wie etwas, was man normalerweise von einem Major zu hören bekommt.
motor.de: Auf “Kellermensch” befinden sich auch einige Songs, die schon etwas älter sind, lieg ich da richtig? Habt ihr denn schon neues Material fertig gestellt oder arbeitet ihr gerade an welchem?
Sebastian: Ja, einige Songs stammen sogar noch aus dem Jahr 2006. Wir schreiben auch gerade schon an neuen Songs und hoffen, einige davon auch bald aufnehmen zu können.
motor.de: Ganz allgemein gefragt: Was steht bei euch als nächstes so auf dem Plan?
Anders: Naja, in diesem Sommer stehen noch einige Festivals an und danach wollen wir eigentlich auch direkt schon wieder ins Studio.
motor.de: Alles klar, dann wünsch ich euch dabei weiterhin viel Erfolg und danke für eure Zeit.
Sebastian: Wir haben zu danken.
Interview: Henning Grabow
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