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motor.de: Wenn Kettcar eine Person wäre, dann könnte man sie wohl am ehesten mit Eigenschaften wie bodenständig, ehrlich, gerecht und dennoch kritisch beschreiben. Also genau die Werte, die wir von einem Bundespräsidenten erwarten. Hättet ihr vielleicht Lust?
Erik: (lacht) Ich bin auf jeden Fall total glücklich, dass Wulff weg ist. Schon vor vier Jahren, noch bevor er Ministerpräsident von Niedersachsen wurde, dachte ich mir, was für ein Schleimbolzen und habe momentan einige Hoffnungen in Gauck. Aber Kettcar als Bundespräsident wäre vielleicht zu viel. Ich weiß nicht, ob wir ein Land so gut repräsentieren könnten und Bock auf diese steifen Empfänge hätten. Lockere Konzertabende sind eher unser Stil.
motor.de: Euer letztes Album “Sylt” war ein Album gegen Champagner-Gesellschaft, Kapitalismus und gezeichnet von Wut und Kritik. Im Gegensatz dazu dreht sich “Zwischen den Runden” um Enttäuschung, Liebe, Tod und ist gefüttert mit Streichern, Bläsern und Piano, sodass es ein recht harmonisches Bild ergibt. Wie kam es zu dem Wechsel?
Erik: Wir hatten keine Lust, dasselbe wieder zu machen. Uns war klar, nach diesem sinistren, rauen Werk wieder etwas Helleres und Fröhlicheres zu machen.
motor.de: Euer Schlagzeuger Frank Tirado-Rosales hat die Band verlassen, seit dem habt ihr Christian “Fieten” Hake, den Schlagzeuger von Olli Schulz. Hatte der Wechsel euch ein wenig beim Sound beeinflusst?
Erik: Nein. Wobei er tatsächlich ein Faible hat, das der Platte zu Gute kommt: Er kann die Songs sehr ruhig begleiten und unterstützt uns nicht nur beim Spielen, sondern gestaltet die Titel auch aktiv mit. Schon allein, wenn man bei dem Song “Nach Süden” auf das Schlagzeug achtet, ist es schon eher ungewöhnlich für uns.
Kettcar – “Nach Süden”
motor.de: Wie habt ihr das aufgefasst, dass ein festes Mitglied die Band verlässt, denn es war immerhin das erste Mal und das nach knappen zehn Jahren? Und hat sich bei euch durch den Wechsel in der Band etwas verändert?
Erik: Es war eine schwierige Phase für uns, auch wenn es nicht von heute auf morgen passiert ist. Als es aber soweit war und der Wunsch geäußert wurde, war es ein Schock. Zuerst wussten wir nicht, wie es weitergehen sollte, haben die letzte Zeit miteinander aber intensiv genutzt und hatten ein sehr schönes Abschiedskonzert. Wir haben uns friedlich getrennt und stehen auch jetzt noch in gutem Kontakt. Mit Christian hat sich in der Band eigentlich nicht so viel verändert. Er passt gut rein. Er ist ein spröder, norddeutscher Typ (lacht) und wir kannten ihn bereits vorher.
motor.de: Und jetzt habt ihr Ärger mit Olli Schulz, weil ihr ihm dem Schlagzeuger geklaut habt?
Erik: Nein, ich glaube, bis dato hat er schon gar nicht mehr bei Olli Schulz gespielt. Das verlief friedlich.
motor.de: Wie sollte der Hörer denn aus der Platte rausgehen? Mit Melancholie, Hoffnung oder frei nach dem Motto: Scheiß drauf, das Leben geht weiter. Lass uns tanzen!
Erik: “Scheiß drauf, das Leben geht weiter. Lass uns tanzen!” ist ein Spitzensatz – unterschreib ich so (lacht). Selbst bei den bittersten Songs der Band, auch auf den vergangenen Platten, war immer eine erhobene Faust, die gesagt hat, “auch wenn nicht alles perfekt ist, es geht weiter” – wenn auch mal versteckt. Klingt pathetisch, aber irgendwie schon typisch Kettcar.
Kettcar – “Im Club”
motor.de: Beim Song “Im Club” gibt es Wortgruppen wie “letztes Aufbäumen“, “sterbende Städte“, “letztes Gefecht” und “schlaflose Nächte” und klingt damit fast wie eine Persiflage auf euch selbst!?
Erik: Wir wünschen uns natürlich auch mehr Unterstützung und Förderung. Für Musiker, Bands und Musikveranstaltungen ist es inzwischen normal, gesponsert oder gefördert zu werden und dieses Sponsoring wird sehr offensiv betrieben. Es gibt kein Festival, bei dem du nicht inmitten einer Werbetafel stehst. Du kannst dich nicht dagegen wehren, außer dich total zu verweigern. Meistens wirst du gar nicht erst gefragt. Das ist natürlich mies.
motor.de: Könnt ihr als Band da irgendwie entgegenwirken?
Erik: Wir machen nicht jeden Scheiß mit. Anfragen von großen Konzernen lehnen wir dann halt ab. Sicherlich ist es auch so, weil wir ein eigenes Label [Grand Hotel Van Cleef, Anm.d.R.] haben und selbst bestimmen können, was wir machen und was nicht. Wir haben diese Freiheit, die viele andere Künstler nicht haben, weil sie an große Major-Labels gebunden sind, die auch 2012 noch krasse Sachen diktieren. Wir sind nicht die hochpolitische, perfekte Gruppe, die sich gegen jeden Scheiß wehrt und nichts mitmacht. Aber wir diskutieren viel aus und suchen unseren eigenen Weg.
motor.de: Ist es für euch denn einfacher Band und Label zu vereinen oder komplexer, weil ihr die Mechanismen genau kennt und euch bzw. dem Label gegenüber mehr Verantwortung habt, da ihr zwei Positionen erfüllt?
Erik: Wir hatten damals schon alle den Traum, einfach nur Musiker zu sein und alles Geschäftliche ginge uns nichts an – hat sich aber als 80er-Jahre-Klischee herausgestellt, welches heute nur noch ganz selten zutrifft. Marcus und Reimer, die das Label zusammen mit Thees Uhlmann betreiben, haben schon eine Mehrfachbelastung, aber sie nahmen über die letzten Jahre immer mehr Mitarbeiter auf und haben ein tolles Team zusammengestellt, das ihnen viel Arbeit abnimmt und Zeit gibt. Die Zeit nutzen sie für Kettcar. Sie haben entschieden in erster Linie Musiker zu sein anstatt Labelbetreiber. Aber es ist natürlich eine große Verantwortung, denn ohne Tomte und Kettcar würde sich das Label nicht tragen können. Das treibt die Band aber nicht an, also wir machen nicht nur Musik, um Hits zu produzieren.
motor.de: Gibt es weitere Projekte, die ihr euch wünschen würdet oder seit ihr im Augenblick gut ausgefüllt?
Erik: Fieten spielt ja noch bei Home Of The Lame. Neulich, als er allein im Proberaum war, wurde er von zwei Jungs von nebenan angesprochen und die haben daraufhin miteinander gejammt. Vielleicht entsteht daraus ja noch was.
motor.de: Und bei dir persönlich?
Erik: Ja, schon. Wobei ich mich derzeit sehr ausgelastet fühle mit Kettcar und Angst hätte, es zeitlich nicht hinzubekommen noch ein weiteres Projekt zu machen. Ich bin momentan ganz glücklich, meine musikalische Energie in die Band zu stecken. Lars hat früher in Lüneburg immer beim Karaoke-Wettbewerb mitgemacht und wurde jetzt gefragt, ob er nicht in der Jury sitzen möchte, aber was daraus wird weiß ich nicht (lacht). Die Lüneburger Post hatte letztens auch die Überschrift “Zwischen Rock und Räucherfisch”, weil er auf einem kleinen Dorf in der Nähe von Lüneburg eine kleine Fischräucherei von seinem Opa übernommen hat, ist aber auch schon wieder zehn Jahre her. Das ist inzwischen sein Nebenprojekt.
(Fotos: Grand Hotel Van Cleef)
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