Kevin Devine über Heimat, Punkrock im 21. Jahrhundert und die richtige Art, seiner Wut über Gentrifizierungsprozesse Luft zu machen. Ein Songwriter-Interview mit Illustrationen.

Ein Selbstportrait: Kevin Devine beim Federball

Dem New Yorker Songwriter Kevin Devine gelingt es auf seinen unzähligen Tourneen immer wieder, das Publikum mit seinen wohlklingenden Songs zu überzeugen, ohne dabei Gefahr zu laufen, in die Weichspüler-Schublade abzurutschen. Wenn er Gott und Gesellschaft besingt, lässt der höfliche Liedermacher aus Brooklyn seine politisch- musikalischen Wurzeln, die im Punkrock liegen, nur selten hinter sich.
Kurz vor der ausverkauften Soloshow im Leipziger Paris Syndrom traf motor.de sich mit Kevin Devine zu einer Runde Federball im Park. Illustriert hat Devine dieses Interview selbst (siehe oben und unten).

motor.de: Kevin, du hast nicht als Songwriter mit dem Musizieren angefangen. Vor der Solokarriere hast du in einer Indie-Rock-Band namens Miracle of ´86 gespielt. Inwieweit hast du die Punk/DIY-Attitüde beibehalten?

Kevin: Ich finde immer noch, dass ich das, was ich tue, auf ziemlich DIY-mäßige Art und Weise mache. Das ist jetzt nicht unbedingt ausschließlich so, denn ich habe ein paar kleine Labels, die mir helfen und einen Manager, der mir manchmal ein bisschen unter die Arme greift, aber der Großteil der Touren, die ich mache – das bin ich im Auto, ich im Van oder ich im Zug. Auch die Solokonzerte auf dieser Tour habe ich selbst organisiert. Vieles läuft eben immer noch so.
Musikalisch ist das folgendermaßen: Wenn ich alleine auftrete ist es eben das, was es ist: Akustikgitarre und Gesang. Da ist man schon ein bisschen eingeschränkt, was die Dynamik angeht, mit der man normalerweise so arbeitet. Ich glaube, meine Platten zeigen aber ganz gut, dass ich es mag, ab und zu auch laut zu werden. Ich liebe es, viele verschiedene Instrumente einzubauen und finde es ebenso toll, einen Song auf unterschiedliche Arten zu präsentieren.
Außerdem glaube ich nicht, dass du, nur weil man dich “Singer/Songwriter” nennt, ausschließlich Akustikgitarre spielen musst. Wenn ich mit der “Goddamn Band” auf der Bühne stehe, ist das schon was anderes. Da gibt es dann auch laute Gitarren und Trommeln. In meiner Freizeit höre ich fast nur gitarrenlastigen Indie-Rock, was immer das auch heißen soll, und ich lasse viel von diesen Einflüssen in meine eigenen Songs einfließen.


motor.de: Obwohl deine Songs nicht mehr unbedingt punkig klingen, scheinen viele deiner Texte immer noch ziemlich politisch zu sein.


Kevin:
Merkwürdig ist, dass ich in einer Hardcorepunk-Szene aufgewachsen bin, in der die Leute sehr politische Musik gemacht haben und sehr viel über Sozialismus, Veganismus, Straight Edge, Anarchie und diesen ganzen Punkrock-Kram geredet haben. Ich glaube aber, dass Punkrock sich in eigenartiger Weise von Politik entfernt hat. Ich denke, du kannst ein Singer/Songwriter sein und schöne oder traurige oder was auch immer für Lieder schreiben und trotzdem den Spirit behalten, den du aus dieser Punkrock-Welt mitgenommen hast. Und das ist das, was ich hoffe zu tun. Ich glaube, da sollen aber besser andere Leute entscheiden, ob das nun so ist oder nicht.
Gleichzeitig bin ich mir aber auch sicher, dass es Leute gibt, die vielleicht nicht auf meine Texte achten und so auch gar nicht wissen können, wo ich mich selbst und meine Karriere einordne. Für die sind das dann vielleicht einfach nett klingende Songs über irgendwas, aber eigentlich handelt keines meiner Lieder von schönen Dingen. Du kannst in einem drei minütigen Popsong mit Akustikgitarre genauso einfach über die schrecklichen Dinge singen, die in der Welt passieren, wie mit lauten Gitarren und fetten Beats in einem Punkrock-Schuppen. Für mich ist es so, dass Punkrock mehr mit der Person selbst zu tun hat, als mit dem Stil, den sie benutzt, um das, was falsch läuft in der Welt, in ihren Liedern anzuprangern.


Derzeitiges Lieblingslied

motor.de: In letzter Zeit liest man in vielen deutschen Zeitungen von Gentrifizierung. Deine Heimatstadt Brooklyn dient dabei oft als Paradebeispiel für die schleichende Umstrukturierung von Stadtteilen.

Kevin: Darüber habe ich gestern Abend schon mit dem Organisator der Show heute gesprochen. Er hat erzählt, dass das hier in einigen Leipziger Stadtteilen auch passiert. Es ist seltsam. Der Typ sagte, dass ein paar Punks Farbbeutel gegen die Wände und Türen von Leuten werfen, die in neue Häuser in der Gegend ziehen. Sie wollen, dass die Juppies wieder gehen.
Ich selbst lebe in einer normalen Wohnung in Park Slope/ Brooklyn, aber ein Stückchen weiter stehen all diese alten Brownstone-Apartments, die mittlerweile superteuer geworden sind. Nur ein bestimmter Kreis von Menschen kann es sich leisten, dort zu leben. Meine Familie stammt aus dieser Gegend, aber das ist schon so 70 oder 80 Jahre her. Da war das noch ein sehr armes Working-Class-Viertel.
In Williamsburg war das ähnlich. Da waren viele polnische und lateinamerikanische Einwanderer mit ziemlich geringem Einkommen damals. Und dann zog es die ersten Künstler in den Stadtteil, dann kamen die Leute, die den Künstlern folgten und dann die, die den Leuten folgten, die den Künstlern gefolgt waren. Am Ende hast du dann einen Haufen Leute mit demselben Haarschnitt. Die sind nicht kreativ oder interessant.
Das ist wie in diesem LCD Soundsystem-Song (New York I Love You): “So the boring collect/ I mean all disrespect/ In the neighborhood bars/ I’d once dreamt I would drink”
Das ist Williamsburg. Es sind nicht die coolen Leute, die dort jetzt wohnen. Da sind ökonomische Probleme und Schwierigkeiten im System Schuld und ich denke, dass die Wut über solche Gentrifizierungsprozesse berechtigt ist. Auch die Zurückweisung solcher Prozesse ist richtig. Aber die Schuld auf die Menschen schieben? Das alles ist ein bisschen in die falsche Richtung gelaufen. Ich weiß nicht, wo all diese Wut hin soll, aber ich denke auf keinen Fall, dass es die richtige Antwort ist, Farbe auf die Häuser von Menschen zu werfen.

motor.de: Fühlst auch du als “Brooklyn Boy” die Veränderungen in der Stadt? Wie denkst du darüber?

Kevin: Ich sehe die Veränderungen schon. Besonders in Manhattan. Vor zehn Jahren habe ich da mal für drei Jahre gelebt. Wenn ich jetzt dorthin zurückkomme, frage ich mich jedes Mal, wie jemand dort leben kann ohne reich zu sein. Es ist alles so unglaublich teuer dort. Alle Viertel, alle Restaurants und Hotels. Das CBGB ist jetzt ein Designer-Store. John Varvatos hat dadrin gerade einen Klamottenladen eröffnet. Es ist ein bisschen traurig aber ich weiß nicht, was man dagegen machen kann.
Ich denke, wenn du anfängst, große Unternehmen wie Burger King, Walmart und Starbucks zu boykottieren, ist das die richtige Art, deiner Wut Luft zu machen. Es sind schließlich die großen Firmen, die an der Gentrifizierung verdienen und für mich ist das das Schlimme an der Sache. Es ist nicht gut, aber ich weiß auch nicht genau, was die Antwort auf all das ist. Ich denke, du solltest einfach versuchen, dein Leben zu leben, den Mund aufzumachen und aufmerksam zu sein.

Kevin Devine – Brooklyn Boy


motor.de: Inwieweit hat Brooklyn dich selbst und deine Musik beeinflusst?

Kevin: Wenn ich an New Yorker Songwriter oder Bands denke, fallen mir The Velvet Underground, Bob Dylan, The Ramones, die Strokes, die Yeah Yeah Yeahs und heute vielleicht noch LCD Soundsystem ein. Das sind alles Menschen, die die Stimmung in New York in ihren Songs einfangen. Ich finde, ich passe da nicht so ganz rein.
Ich glaube nicht, dass ich ein typischer New-York-Songwriter bin, aber ich denke schon, dass das Leben in New York, und vor allem das Leben in Brooklyn mich beeinflusst, indem es mich dazu zwingt, andauernd die Rolle eines Beobachters einzunehmen. Das ist manchmal, als wäre ich ein Journalist oder ein Schriftsteller: Man fängt an, alles sehr aufmerksam wahrzunehmen. Es passiert so viel. Da sind so viele Leute und so viele verschiedene interessante und anregende Dinge. Ich selbst versuche dann all das mit meinen eigenen Erfahrungen in Verbindung zu bringen und in meine Musik einzubauen.
Auf diese Weise beeinflusst Brooklyn mich schon. Es ist eben dieses konstante Überwachen der Dinge, die um einen herum passieren. Dabei mache ich mir dann immer kleine Notizen in meinem Gedächtnis, um das dann später in meine Musik einzubringen. Ich versuche mir dann vorzustellen, dass da überall Geschichten sind und das probiere ich auch in meinen Liedern ein bisschen auszudrücken.


“Informer” – Der schlechteste Song aller Zeiten

Interview: Lydia Meyer