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Kid Simius im Interview

(Foto: Georg Roske)

Ich besuche Kid Simius in seinem natürlichen Lebensraum. Sein Studio liegt in einem Übungsraumkomplex, dort teil sich José Antonio García Soler seinen Habitat mit einem Haufen Künstler, die allesamt Vertreter der Gattung der elektronischen Musik sind, denn der Herr Hauseigentümer scheint mit „echten“ Drums nur Ruhestörung zu verbinden, also darf keine Band rein. Trotzdem rummst und bummst hinter jeder Wand. Kid Simius hat sich sein kleines Räumchen für genau zwei Dinge eingerichtet: zum fleißig sein und zum chillen. Auf der einen Seite des Zimmers stehen Sofas und ein Aschenbecher und die andere Hälfte ist vollgestellt mit Synthesizern, einem Computer und undefinierbaren Controllern, für noch undefinierbarere Sounds. Daneben stehen Gitarren, Keyboards, Verstärker und so weiter. Auf diesem musikalischen Spielplatz entsteht also der facettenreiche, liebevoll zusammengeschraubte und ansteckend gutgelaunte Krach, den der Künstler selbst Surf’n’Bass nennt. Kid Simius wird bald auf Tour gehen und seinen Sound unter Leute bringen, dafür sitzt er nun in seiner Bude und übt, übt, übt, denn sein Live-Set ist alles andere als bloßes Plattenauflegen, mixen und Bass rauf und runter. Ich habe den freundlichen Freak trotzdem kurz bei seinen Proben gestört und zu einer kleinen Fragerunde gewinnen können.

 

Wann bist du eigentlich nach Deutschland gekommen?

Das war 2009, ich wohne hier seit fünf Jahren.

 

Bist du hergekommen um hier Musik zu machen, oder bist du hier erst musikalisch angefixt worden?

Ja, ich wollte Mucke machen und hatte mich bei der UDK beworben. Berlin ist die Hauptstadt der elektronischen Musik, in Granada, meinem Heimatort, kannst du niemals so viele Leute kennenlernen wie hier, das ist eine wahnsinnige Informationsquelle hier, von Clubs über Künstler bis Bookingagenturen…

 

Warst du in diesem Stil, in dem du jetzt als Kid Simius Musik machst, schon vorher aktiv?

In Spanien machte ich mehr so Experimental-Zeugs, so Downtempo und in Berlin ging ich dann das erste Mal auf so richtig fette Partys, seitdem hatte ich Lust etwas clubbiger zu werden, das macht einfach mehr Spaß! Ich spiele trotzdem immer live und lege keine Platten auf, es gibt bei elektronischer Musik ja keine Regeln, wie man es zu machen hat. Man sieht kaum, was auf der Bühne eigentlich passiert. Mein Ziel ist, dass es auch eine optische Verbindung gibt zu den Sounds, die ich auf der Bühne bringe. Manchmal kommen 1000 Geräusche aus den Boxen und das Publikum weiß nicht, was der DJ jetzt eigentlich hinter seinem Laptop rumfummelt. Mir ist es wichtig, dass die Leute checken, dass es live gemacht ist. Deswegen hole ich mir auch Geräte, bei denen man sich bewegen muss. Bei einer Gitarre weiß jeder, wenn man eine Saite anschlägt, dann kommt ein Ton, das ist bei elektronischer Musik halt anders.  

 

Du bist ja auch dafür bekannt, dass du auf der Bühne krass abgehst. Tust du das auch, wenn du feiern gehst oder machst du das nur hinter deinen Instrumenten?

Früher war es halt so, dass ich sehr aufgeregt war. Das ist auch immer noch so – zum Glück, denn das ist gut, um konzentriert sein zu können. Früher wollte ich mich vom Publikum ablenken und wenn ich abgehe, dann bin ich ganz in meiner Welt, konzentriert im Takt meiner Musik, das ist meine Art mich zu fokussieren. Außerdem feier ich das ab, was ich mache! Ein DJ zum Beispiel legt ja in erster Linie Musik auf, die er nicht selbst gemacht hat. So würde ich nicht mit der gleichen Leidenschaft dahinter stehen.  Live spiele ich meine Babys!

 

Kannst du noch kurz erklären wie das damals in Spanien los ging?

Ich habe angefangen wie jeder Spanier – mit klassischer Gitarre, dann kam ich zur elektronischen Musik und hab mit einem Kumpel eine Elektropunkband gemacht, in der ich Gitarre spielte und gebrüllt hab. Dann hab ich alleine mit abstraktem Ambient weiter gemacht, später wurde ich dann konkreter, hatte Bock auf Party und habe mehr Gas gegeben. Eigentlich hab ich immer nur gemacht, wo ich Bock drauf hatte und das ist glaube ich das wichtigste, dass man immer Spaß dabei hat.

 

Ich nehme an du hast auch viele Hip-Hop-Einflüsse gehabt, oder?

Ja, aber ich habe kaum richtige Rapmusik gehört, eher so Instrumentals. In der Zeit hatte ich die Downtempobeats gemacht, klassische Hip-Hop-Einflüsse hatte ich eigentlich nie. Es gibt keine gute oder schlechte Musik, es gibt nur Sachen, die man cool findet, oder  nicht und man lässt sich leicht beeinflussen.

BACKSPIN TV – Kid Simius "Hola Chica" on MUZU.TV.

In deiner Musik passiert so viel. Meistens hört man von Musikern, dass man komprimieren und den Sound auf die wichtigen Elemente konzentrieren möchte. Du hast ganz bewusst extrem viele Dinge über- und hintereinander.

Haha, ja, ich will das Coolste rausholen, hier noch eine Harmonie, da noch ein Break …

 

Oft muss ein Produzent den Musiker in die Schranken weisen …

Ja, das wäre bei mir wohl auch so, ich mache aber alles selber und habe keinen Produzenten. Wenn man das schon Tausend Mal gehört hat und man es immer noch gut findet, dann ist es geil! Egal, ob viel oder wenig passiert. Je öfter man das hört, desto mehr Gedanken macht man sich aber auch und desto komplexer wird alles. Das gute ist, dass man keinen Titel braucht, um Musiker zu sein. Wenn du Arzt werden willst, dann brauchst du eine Lizenz, ein fertiges Studium und so weiter, aber Musik kann jeder machen. Diese Punkattitüde ist ziemlich cool, man kann kein Instrument spielen, aber macht trotzdem Musik. Bei mir ist es ähnlich, ich bin nicht der beste Musiker, aber ich versuche zu lernen, was ich brauche.

 

Wie hast du das Produzieren gelernt?

Alles selber beigebracht! Man muss einfach machen! Ich war auch schon auf solchen Instrumentenschulen, wo man ein bisschen Klavier lernt und so, aber man lernt es eigentlich erst beim Machen! Die Technik ist da, um die Ideen umzusetzen und nicht das Gegenteil! Ich konnte zum Beispiel keine Tremologitarre spielen, wollte jetzt aber eine Surfplatte machen, also musste ich das können. Dann übe ich halt, bis ich das kann. Das hat natürlich gedauert und ich musste Samples zur Hilfe nehmen. Aber warum hätte ich das vorher schon können sollen, ich hatte es einfach nie gebraucht?! Sonst kann man nur lernen und lernen, das wird nur ein unendlicher Prozess, das bringt doch nichts. So war das auch an der UDK, mir war das egal, was mir ein Professor erzählt hatte.

 

Welches Fach hast du an der UDK studiert?

Sound Studies, habe aber abgebrochen. Man lernt einfach mehr durch Erfahrungen, als wenn man in einem Raum sitzt und Anderen zuhört. Klar, wenn man konkrete Ideen und Vorstellungen hat und den Dozenten bestimmte Fragen stellen kann, dann ist es vielleicht sinnvoll, aber prinzipiell nicht.

 

Würdest irgendwann gerne wieder zurück nach Spanien gehen?

Ich fühle mich hier sehr wohl, aber ich finde auch meine Heimatstadt in Spanien sehr geil. Gute Frage…

 

Bist du noch oft dort?

Ich versuche so oft wie möglich hinzufahren, meist so zwei oder drei Mal im Jahr. Vor allem im Winter ist es hier so depressiv, aber das ist auch gut, weil man dann im Studio ist und nicht draußen im Park chillt.

 

Wäre diese Karriere in Spanien gar nicht möglich gewesen, vielleicht in Madrid? Musste es zwangsläufig Berlin werden?

Weiß ich nicht, weil ich es nie in Madrid oder Barcelona versucht habe. Berlin hat einen sehr guten Ruf, du kannst überall spielen, es gibt unendlich viele Clubs! Du kannst bei so vielen Läden fragen oder eine Demo-CD abgeben und zwei oder drei Veranstalter sagen bestimmt: „Du kannst Dienstag eine Stunde haben“ oder so. Am Anfang hatte ich mit Kumpels in einem Laden gejamt und habe dadurch Leute, die Partys veranstalten kennengelernt, das geht ganz schnell. Hier in Berlin gibt es ganz viele Leute, die Mucke machen, ach, eigentlich alle! Ich glaube nicht, dass es in anderen Städten auch so ist, jedenfalls nicht so greifbar. Ich hatte immer das Gefühl, dass es in Berlin sehr einfach ist.

 

Gibt es hier nicht vielleicht auch zu viele Musiker? Es sind ja nicht alle gut. Oder anders herum, viele sind auch gut, was eine hohe Konkurrenz untereinander bringen müsste.

Konkurrenz ist super! Sie macht dich besser! Heute braucht man kaum noch Kohle, um elektronische Musik zu machen, jeder kann sich einen Laptop leisten, Ableton kannst du im Prinzip illegal runterladen.

 

Dann drückt man eine Taste und direkt ist alles Eingespielte im Takt.

Ja, das ist eine Demokratisierung des Musikmachens! Leute, die früher nicht die Möglichkeit gehabt hätten, können das heute machen, das ist cool! Die Musiker sind durch diese ganze Technikscheiße aber schlechter geworden heutzutage. Ich hätte früher keine Tremolo-Surf-Gitarren aufnehmen können, weil ich zu schlecht bin, aber ich habe jetzt die Möglichkeit, die Beats ein bisschen langsamer zu machen, darauf zu spielen und es dann wieder schneller zu machen. Aber nur Technik ohne Ideen bringt halt auch nix! Ich finde es super, wie es ist!

 

Wo bekommst du am besten Ideen her?

Man sollte im Studio sein und falls Inspiration kommt, kann man das gleich festhalten. Ich habe zum kreativen Prozess noch keine Erklärung gefunden. Wenn es einen bestimmten Weg gebe, würden es ja alle so machen. Viel läuft auch über Empirie, wenn du eine Million Songs gemacht hast, dann sind ganz sicher hundert davon fett.

 

Noch eine Sache zu Spanien, was einem da in den Kopf schießt ist ja, dass es für Leute unseres Alters gerade richtig schwer ist. Du bist ja wegen der Musik hergekommen und nicht vor dem Arbeitsmarkt geflüchtet. Wie weit hast du mit der Situation in Spanien zu tun?

Ja, das ist richtig krass. Viele meiner Kumpels, die noch da wohnen, haben Schwierigkeiten. Es gibt Leute, die 35 sind und wieder zu ihren Eltern ziehen müssen, weil sie keine Kohle haben. Noch schlimmer ist es für die älteren Leute, denen gekündigt wird und die eine Familie ernähren müssen. Mit 55 nimmt dich niemand mehr, die sind total am Arsch! Trauriger finde ich es aber, wenn die jungen Leute, die alle gut ausgebildet sind – es ist nämlich die höchstqualifizierte Generation in Spanien, die es je gab –  wenn die alle keinen Job finden, das ist richtig scheiße!

Ich bin abgehauen, kurz bevor die Krise losging, aber Spanien gehen auch die jungen Leute aus. Ich habe ganz großen Respekt vor den Leuten, die da bleiben! Die haben auf jeden Fall Eier! Klar kannst du sofort abhauen, kriegst einen Job in London und alles ist supergeil! Aber du kannst auch dableiben und sagen „Nee Alter, hier muss etwas passieren!“ Vielleicht ändert sich bald etwas, im Moment sieht alles ein bisschen scheiße aus.

 

Wenn du tourst ist das auch meistens in Deutschland, international bist du noch nicht unterwegs, oder?

Das ist auch eigentlich meine erste richtige Veröffentlichung und natürlich hoffe ich, dass ich etwas öfter im Ausland auftreten kann. Ich war letztes Jahr im Amiland beim SXSW Festival, in Tschechien und Luxembourg habe ich schon Festivals gespielt, ansonsten eher Deutschland, Österreich und die Schweiz, ja.

 

Hast du schon mal in deiner Heimatstadt Granada gespielt?

Das war zu Silvester vor einem Jahr. Ich war total aufgeregt, mein Vater war sogar da! Es war okay… Es ist immer das gleiche, man darf in den Läden in Granada nicht zu laut spielen, die haben da so ein Lautstärkemessgerät und das Ding ist mit dem Rathaus connected. Wenn es zu laut ist, kommen also sofort die Bullen! Die meisten Läden klingen auch richtig scheiße. Die machen einfach den Subwoofer aus und so … Die Freiheit, die es hier gibt, hast du dort nicht.

(Marc Augustat)

 

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