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Caleb Followill im großen Uncut-Interview

Mit „Because Of The Times“ erscheint in diesen Tagen endlich das dritte Album der tollen Kings Of Leon. Dem Album vorangegangen ist eine intensive Rückbesinnung auf die ursprünglichen Werte der Band, die im Trubel der vielen Tourneen ein bisschen untergegangen waren. Wir sprachen mit KOL-Sänger Caleb Followill über lehrreiche Lektionen von Bono, anerkennende Worte von Bob Dylan, die Schwierigkeit, im Fokus der Öffentlichkeit erwachsen zu werden und ganz allgemein über das bislang beste Werk der Band aus Nashville.

Als ich „Because Of The Times“ zum ersten Mal hörte, hatte ich kurz den Gedanken, dass der Opener „Knocked Up“ mit seinen über sieben Minuten Spielzeit nur aus dem Grund so lang ist, um all die Hype-Hörer, die euch nur damals nur kauften, weil im NME
stand, dass ihr cool und das südliche Gegenstück zu den Strokes seid, gleich zu Beginn abzufangen, und jene, die euch um eurer Musik willen lieben im Anschluss mit dem Rest des Albums zu belohnen. Eine Art Schranke also.
Ein witziger Gedanke. Unsere Überlegung war aber eher so: Es gibt nur zwei Möglichkeiten, diesen Song zu platzieren, am Anfang oder ganz am Ende. Und am Schluss wäre die Nummer vielleicht ein
bisschen untergegangen und das wäre auch reichlich konventionell und damit langweilig gewesen – die längste Nummer am Schluss. Es fühlte sich richtig an, „Knocked Up“ wegen seiner Opener-Qualitäten an den Anfang zu stellen. Der Song ist wie eine Lokomotive, die ein ganzes Album mitziehen kann. Gleichzeitig war
uns das darin liegende Risiko bewusst. Weil uns auch insgesamt klar ist, dass wir mit dieser Platte ein ziemliches Risiko eingehen und das kann man ja dann gleich am Anfang schon klarmachen. In gewisser Weise hast du also Recht: Die Leute, die
sich da durchgehört haben, werden anschließend das restliche Album mögen. Und wer es nicht so weit schafft, hätte den Rest vermutlich sowieso nicht würdigen können.

In der Tat steht dieses Album für sich selbst und entspringt keinerlei musikalischen Moden. Vor allem steht es aber als Dokument für eine beeindruckende Entwicklung. Eure ersten beiden Platten waren gut – diese jetzt bedeutet einen Quantensprung.
Oh, danke! Wir wollten diesmal ein etwas größeres Album machen. Wir waren viel mit anderen Bands auf Tour und haben in deren Vorprogramm in all diesen Riesenarenen gespielt. Der hallige, raumgreifende Sound, den man in diesen großen Hallen beim
Soundcheck hat, hat uns den Sound, den wir gerne für die neue Platte haben wollten, quasi diktiert. Uns reizte der Gedanke, Songs zu schreiben, die irgendwie groß und erhaben klingen und in diesen Zusammenhängen funktionieren würden. Dazu kam, dass wir im Vergleich zu sonst ziemlich lange zuhause waren und Pause gemacht haben. So lange, bis wir irgendwann den Eindruck bekamen, man habe uns vergessen. Keiner schien mehr über uns zu sprechen oder
zu schreiben. Um dem entgegenzuwirken wollten wir uns so schnell wie möglich wieder an die Arbeit machen, um uns zurückmelden zu können. Mit einer Platte, die alles Bisherige in den Schatten stellen sollte. Der Vorteil dieses scheinbaren Vergessens war
natürlich auch, dass wir in aller Abgeschiedenheit und Ruhe völlig stressfrei und mit viel Zeit an den neuen Songs arbeiten konnten. Das war ein sehr natürlicher Entstehungsprozess.

Die Plattenfirma hat also keinen Druck gemacht?
Eher andersrum: Wir haben in letzter Zeit der Plattenfirma Druck gemacht. Wir arbeiteten zwar ziemlich lange an den Songs, die eigentliche Produktionsphase hat aber nur etwa fünf Wochen in
Anspruch genommen. Das war vor über einem Jahr und seitdem sitzen wir hier untätig rum und warten, dass unser Label sich endlich entschließen kann, die Platte zu veröffentlichen.

Unfassbar. Warum hat das so lange gedauert?
Ich weiß es nicht genau. Zurzeit gibt es ja eine Menge
Umwälzungen und die großen Firmen haben alle Angst. Rock’n’Roll zählt im Amerika dieser Tage nicht mehr besonders viel. Vermutlich waren sie die ganze Zeit über damit beschäftigt, so viele Kelly Clarkson-Platten wie nur irgend möglich unters Volk zu bringen, wer kann das schon sagen? Davon können sie mehrere
Millionen absetzten während sie von unserem letzten Album weltweit mit viel Glück gerade mal eine Million zu verkaufen hoffen. Das scheint für einige Leute wohl keine ausreichende Motivation gewesen zu sein.

Was habt ihr denn die ganze Zeit über gemacht, während ihr auf die Veröffentlichung gewartet habt?
Vornehmlich Golf gespielt.

Oh, muss man sich bereits um euer Liebesleben Sorgen?
Wie bitte?
Naja, es gibt doch diesen Spruch: Spielen Sie schon Golf oder haben sie noch Sex?
(lacht) Wir haben das komplett neu definiert: Wir haben natürlich Sex AUF dem Golfplatz! Im Ernst: Ich spiele wirklich ab uns zu gerne Golf. Und dann hatten wir natürlich auch hin und wieder Konzerte, spielten auf Festivals und so.

Das war ja sicher auch mal eine prima Gelegenheit euer Privat- und Familienleben wieder auf Vordermann zu bringen, nach all den Jahren auf Tour.
Ja, das war toll. Wir hatten eine Menge Barbecues und andere Partys.

Jedenfalls habt ihr euch offenbar von keinerlei Erwartungen seitens der Plattenfirma oder von wem auch immer erweichen lassen. Wie leicht ist es, auf die Erwartungen sämtlicher Leute zu scheißen?
Wir beziehen natürlich mittlerweile ein gewisses
Selbstbewusstsein daraus, dass wir in der Vergangenheit den Geschmack vieler Leute getroffen haben, indem wir ausschließlich unsere eigenen Erwartungen erfüllten, das ist ja schon eine große
Leistung gewesen. Nun wollen wir aber auf keinen Fall damit anfangen, uns zu überlegen, was unsere Fans wohl als nächstes gerne von uns hören wollen, um dadurch so viele Platten wie möglich zu verkaufen. Scheißegal, ob wir Millionen oder nur ein paar tausend Platten verkaufen: Wir wollen, dass sich die Leute
einmal an ein paar Bands aus unserer Generation erinnern können, nicht nur als Nachlassverwalter von bereits Gewesenem, die zu imitierter Musik lustig herumhüpfen. Sondern in unserem Fall als eine Band, die versucht hat, zu ihrer Zeit und mit ihren Möglichkeiten etwas Eigenständiges und Frisches zu machen, neue Möglichkeiten zu erforschen statt nur vom Gestern zu zehren. Wir würden es als Kompliment empfinden, wenn wir vielleicht in der Zukunft auf ähnliche Weise andere Bands inspirieren könnten, wie
unsere musikalischen Helden uns beeinflusst haben. (Nicht weniger als einen festen Platz in den Geschichtsbüchern ist es, worauf Caleb aus ist)

Auf jeden Fall zeigt eure bisherige Entwicklung ja den in diesen Tagen seltenen klassischen Fall auf, wo eine Band sich in Ruhe von Album zu Album entwickelt und schließlich mit dem dritten Werk ihren Höhepunkt erreicht. Wobei ich ja nicht weiß, ob das jetzt schon der Höhepunkt ist.
Das empfinde ich als sehr enttäuschend, dass heute nur noch wenigen Bands diese Möglichkeit eingeräumt wird. Ich bilde mir auch nicht ein, dass das in unserem Fall aus Großherzigkeit geschah, sondern wir hatten einfach das Glück, bereits mit dem ersten Album so erfolgreich zu sein, dass man uns danach noch ein paar machen ließ. Wir sind das Plattenmachen stets mit großer Ernsthaftigkeit und Hingabe angegangen. Es war uns immer wichtig, dass nichts auf eines unserer Alben kommt, was wir live nicht reproduzieren könnten. Darin liegt sicher auch ein Grund, warum die Alben immer besser wurden. Weil wir eben über die Zeit durch die vielen Konzerte, die gewachsene Erfahrung, immer besser geworden sind und dieser Umstand sich zunehmend in unseren Aufnahmen widerspiegelte. Wir wollen nie einer bestimmten Richtung zugewiesen werden oder einer Bewegung, sondern als eine Band wahrgenommen werden, die stets in Bewegung bleibt und um Entwicklung bemüht ist.

Eine Entwicklung, die ja auch euerem Lebensalter entspricht. Nach „Youth And Young Manhood“ scheint das neue Album nun ein Dokument des vollzogenen Erwachsenwerdens zu sein.
Natürlich werden wir älter. Uns fehlen zwar noch einige Merkmale des Erwachenseins, keiner von uns ist etwa verheiratet oder hat Kinder, aber wenn ich nach einer langen Nacht morgens aufwache, tut mir mittlerweile alles weh – ich bin definitiv keine 17 mehr.

Wenn du das jetzt mit 25 schon sagst, was wirst du da erst sagen wenn du mal 40 bist?
Wir pflegen halt einen relativ schonungslosen Umgang mit unseren Körpern und unserer Gesundheit mit den ewigen Tourneen und so. Das ist kein leichtes Spiel, vergiss das nicht. Man altert schneller als andere Leute.

Verstehe. Du hast es gerade schon angesprochen: Ihr habt eure musikalischen Fertigkeiten enorm vertiefen können. Insbesondere dein Cousin Jared ist ein wahrer Bass-Virtuose geworden.
Ja, er ist ein kleines Genie, unfassbar. Dieser Typ schreibt zu jedem Song bis zu fünf verschiedene Basslinien und versucht sie auch alle unterzubringen. Wir anderen müssen ihn da mitunter bremsen, da er in seinem Eifer dazu neigt, die Songs zu überladen. Schließlich soll es ja immer noch ein Song sein und
kein Bassstück. (lacht)
Aber er ist ein brillanter Musiker, der mich sehr inspiriert.

In der Tat ist sein Spiel sehr inspirierend. Insbesondere in „Black Thumbnail“ die Art, wie er den Bass an- und abschwellen lässt. Sein erstes Basssolo! Da haben wir ihn sich austoben lassen.

Auch die Gitarre geht andere Wege. Es scheint, als würden du und dein Cousin Matthew mitunter Elemente von Post-Punk-Bands wie den Pixies und Fugazi in dein Spiel integrieren, was in Verbindung mit den klassischen Rock’n’Roll-Elementen einen sehr lebendigen und innovativen Stil ergibt, hast du dich mit dieser Art von Musik auseinandergesetzt?
Die Pixies sind auf jeden Fall generell ein wichtiger Einfluss. Was meine Gitarren auf dieser Platte angeht, so ging es mir vor allem darum, Stimmungen auszudrücken, die Songs soundtechnisch zu erweitern und Pausen und Freiräume nicht immer nur mit Standard-Rock-Solos zuzuspielen. Mehr songdienlichen Ausdruck zu integrieren und mit Sounds zu experimentieren. Ein Beispiel: Ist dir aufgefallen, dass einige Passagen auf der Platte so klingen, als benützten wir Keyboards?
Ja, durchaus.
Das ist alles Gitarre, ich schwöre! Diesen Sound kreierte ich mithilfe dieses Doppel-Hallpedals, das ich vor einiger Zeit entdeckt habe und seitdem unablässig benutze. (Anm. des Autors: Es handelt sich hierbei um Fenders legendäres ‚1965 Deluxe Reverb’-Fußpedal, von dem es seit einiger Zeit auch einen originalgetreuen Nachbau gibt. Followill benutzt aber das freilich seltene Original. Hier geht’s weiter:) Mein absolutes Lieblingsspielzeug, ich gehe den anderen damit schon auf die Nerven. Generell wollten wir eine eigene Atmosphäre kreieren, den richtigen Sound finden und nicht einfach nur Gas geben. Die Platte sollte so klingen, als würde man selbstvergessen auf dem Gipfel eines Berges spielen, ohne, dass das irgendjemand mitkriegt.

Diese Pixies-Einflüsse, die ich eben ansprach deuten für mich noch auf etwas anderes hin. Nämlich, dass ihr alles, was am klassischen Rock aus heutiger Sicht zu Recht stinkt – das Krachlederne, Schwitzige, Rockistische, Anbidernd-plumpe – weglasst, und die übrig bleibende Essenz mit genannten Einflüssen
von ausgerechnet jenen Band anreichert, die einst die große Rocklüge enttarnten und die Musik auf freilich ureigene Art zu ihren Ursprüngen zurückführten. In „Fans“ etwa habt ihr dieses akustische Led Zeppelin-artige Intro, aber ohne Plants Drachenlyrik. Oder „Trunk“ erinnert an „Riders on The Storm“ von den Doors ohne Morrisons unerträglichen Pathos. Und wenn ihr euch an den Stones orientiert, dann an jenen der „Exile On Mainstreet“-Phase.
Wow! Ich weiß überhaupt nicht, was ich dazu sagen soll. Das ist wahrscheinlich das beste Kompliment, was man uns überhaupt machen kann. Weil es ja tatsächlich genau das ist, was uns umtreibt. In der Vergangenheit wurden wir immer wieder darauf hingewiesen, wie diese oder jene Band zu klingen, was teilweise sicher auch stimmte. Auch wenn so was häufig unbewusst geschieht. Mit dieser Platte jetzt wollten wir aber Zukunftsmusik machen, mit den
besten Elementen der Vergangenheit. Und alles was wir an Musik lieben, wollen wir eben in diese Zukunft mitnehmen. Wir wissen natürlich, dass wir nicht das Rad neu erfinden können. Es war uns aber wichtig, keinen schlechten Song auf diesem Album zu haben
und etwas völlig Eigenes zu kreieren.

Im Song „Black Thumbnail“ beschwörst du: „I’ll be that person till my dying day I try so awful hard but I can’t change.” Rock’n’Roll bis ins Altersheim?
Ja, schon irgendwie. Ich weiß ja nicht, wie lange das hier noch läuft mit der Band. Das liegt ja auch nicht alles in unserer Hand. Aber falls da nichts von außen kommt, können wir alle uns nicht vorstellen, irgendwann einmal etwas ganz anderes zu machen als Musik. Um das zu erreichen ist es uns sehr wichtig, als Band und Familie intakt zu bleiben inmitten dieses wahnsinnigen Geschäfts. Unsere Geschicke selbst in die Hand zu nehmen und Sorge zu tragen, dass wir nicht irgendwann als eine Bande durchgeknallter Irrer enden wie so viele Leute.

Die Vorraussetzungen dafür sind bei euch ja durchaus eher gegeben als bei vielen anderen Bands. Dadurch dass ihr eine Familie seid,euch also untereinander bereits euer ganzes Leben kennt und euer Schicksal ohnehin miteinander verbunden ist, egal, was ihr macht. Hat sich eure Beziehung untereinander noch einmal geändert im letzten Jahr?
Auf jeden Fall. Wir sind wieder sehr viel näher zueinander gerückt. Nach dieser wahnsinnigen Zeit mit all den Tourneen, den vielen Drogen, mussten wir uns erst einmal wieder in normale Menschen verwandeln. Diese Dinge, die viele Anerkennung und so weiter, hatten uns und unser Verhältnis zueinander sehr verändert, wir mussten danach erst wieder Freunde werden. Und jetzt, mit diesen Erfahrungen im Rücken, ist für uns die Musik und unser Verhältnis untereinander das absolut Wichtigste. Die Begleiterscheinungen des Biz haben wir ausgekostet, nun konzentrieren wir uns auf das Wesentliche.

Einige Dinge musstet ihr wohl auf die harte Tour lernen, richtig?
Aber nur so lernt man doch, oder? Wir trinken immer noch gerne und mögen immer noch schöne Frauen. Nur halten wir das mittlerweile in geregelten Bahnen weil wir bereits begannen, unter diesem Lifestyle Schaden zu nehmen. Da haben wir auch eine Menge von den Bands mit denen wir auf Tour waren gelernt.

Bands wie U2, Pearl Jam oder auch Bob Dylan, auf deren Tourneen ihr zuletzt gespielt habt?
Genau. Man sieht dann, dass die Leute, die einen wirklich langen Weg hinter sich haben, eben nicht jene sind, die jede Nacht in laute stinkige Bars mit jeder Menge Drogen und Alkohol gehen. Das hält nämlich keiner lange durch. Inzwischen weiß ich einen schönen Abend im Restaurant mit gutem Essen, Wein und Freunden ebenfalls zu schätzen. Man muss sich einfach immer wieder erden, sonst fängt man irgendwann an, seinen eigenen Hype zu glauben. Eine Band wie U2 kann einem in diesem Zusammenhang Demut lehren. Wenn man so lange dabei bleiben will wie sie, muss man es mit genauso viel Hingabe, Disziplin und Durchhaltevermögen machen. Und dann ihr Katalog: Sie können sich zweieinhalb Stunden auf die Bühne stellen und Hit auf Hit spielen, man kennt alles!
Beeindruckend.

Auf der Dylan-Tour kam ‚his bobness’ angeblich gar in eure Garderobe und lobte einen eurer Songs. Das ist dann wohl der ultimative Songwriting-Adelsschlag!
Wahnsinn. Er kam rein und sprach einige große Worte, die ich gar nicht glauben konnte. Ich bin generell sehr unsicher, was die Qualität meiner Arbeit betrifft. Das ist auch ein Grund, weshalb ich manchmal so undeutlich singe, damit man die Worte nicht versteht. Und dann kommt dieser Typ – Bob Dylan! – und sagt so etwas wie ‚die und die Nummer sei ‚one hell of a song’. Ich versank fast im Boden und dachte: okay, dann scheinst du ja doch ein ganz passabler Songwriter zu sein.

Du sprachst gerade von Unsicherheiten. Wie ist das überhaupt unter Kollegen, holt man sich da mitunter Bestätigung? Ihr seid gut mit Ben Kweller oder auch den Strokes befreundet. Wie muss man sich das vorstellen, sprecht ihr untereinander über euere Musik und beeinflusst euch vielleicht gar gegenseitig, oder lasst ihr diese Dinge außen vor wenn ihr euch trefft?
Wir sind beeinflussen einander extrem und legen viel Wert auf die Meinung dieser Leute. Da läuft auch so eine Art freundschaftlicher Wettbewerb. Wir spielen uns grundsätzlich unsere neuen Platten vor, sobald wir sie fertig haben. Noch vor der Veröffentlichung. Das läuft dann so: ‚hey, das ist fantastisch, was ihr da gemacht habt. Aber warte erstmal bis du meine nächste Platte gehört hast.’ Die Strokes und Ben Kweller sind definitiv ein Ansporn für uns und auch eine Art Messlatte.
Ich hoffe, das gilt auch andersrum.

„Fans“ ist wohl eine Ode an euere zahlreichen Fans in England, diesem Land so weit weg von zuhause, das euerer Band so viele Sympathien entgegenbringt.
Zuerst ist es eine Ode an all unsere Fans überall auf der Welt. Und auch ein Dank dafür, dass sich so lange auf uns gewartet und uns die Treue gehalten haben. Die Vielseitigkeit und Begeisterungsfähigkeit unseres Publikums zu sehen, erfüllt mich mit sehr viel Stolz, Dank und Freude. Ein paar von diesen Leuten sind völlig verrückt, sie folgen uns überall hin. Und dann ist
natürlich der London-Aspekt schon wichtig. Wahnsinn, was wir in dieser Stadt, mit diesen Leuten alles erlebt haben.

In diesem Zusammenhang fällt auf, das Heimweh ein sich durch alle drei Alben ziehendes Hauptthema bei euch ist.
Wir hatten teilweise extremes Heimweh auf Tour. Insbesondere am Anfang, als einige von uns noch sehr jung waren. Das Witzige ist aber, dass wir, wenn wir dann endlich nach Hause kommen, am liebsten sofort wieder los wollen. Wir vermissen die Straße immer
sehr schnell, da wir ja praktisch unser ganzes Leben unterwegs waren.

Seid ihr bereits in der Kindheit durch den Beruf eures Vaters, der Wanderprediger war, ständig unterwegs wart.
Genau. Dadurch habe ich eigentlich immer Heimweh. Selbst zuhause könnte ich noch einen Song über Heimweh schreiben.

Ist also, um es mal etwas pathetisch-klischeehaft zu formulieren, letztlich Musik dein einziges wirkliches Zuhause?
Ich weiß nicht. Musik ist natürlich wichtig. Wo meine physische Heimat liegt, versuche ich gerade noch rauszufinden.

Nicht zuletzt zu diesem Zweck hast du dir vermutlich auch eine Farm gekauft.
Ja, das ist so toll! Wir haben 50 Hektar Land, einen großen Buick, ein Kutsche und einen tollen Trecker. Ich wohne dort zusammen mit meinem älteren Bruder Nathan. Gleich gegenüber steht das Haus unserer Mutter.

Also habt ihr offensichtlich nie die Schnauze voneinander voll, wenn ihr sogar zusammen wohnt.
Doch, das kommt durchaus vor. Wir haben aber so ein enges Verhältnis – ich denke, wir werden wohl zusammenbleiben bis wir heiraten. Also nicht untereinander, sondern jeder für sich (lacht) Jedenfalls kennen wir die Geheimnisse des jeweils anderen. Mittlerweile gilt das auch wieder für meinen kleinen
Bruder Jared, wir alle sind uns sehr verbunden. Mit Jared gab es allerdings zwischendurch Probleme. Er war ja erst 14, als wir begannen, auf Tour zu gehen.

Das ist extrem jung.
Ja, sehr jung. Und wenn man auf diese Weise aufwächst, verpasst man wesentliche Teile seiner Entwicklung. Nach außen hin lernt man natürlich was man sagen darf und was nicht und so weiter. Was
man nicht lernt ist, die unwichtigen von den wichtigen Dingen des Lebens zu unterscheiden, er hat zeitweise jedenfalls eine Menge Scheiße gebaut, es fehlte ihm an Orientierung. Jetzt nach Hause zu kommen und eine Zeitlang ein normales Leben zu führen hat ihm jedoch offenbar die Augen geöffnet, das hat uns allen die Augen geöffnet.

Aber hätte es nicht in der Verantwortung von euch älteren Brüdern gelegen, ein Stück weit auch die Vaterrolle zu übernehmen und auf ihn einzuwirken?
Nun, die meiste Zeit war es eher andersrum. Ich bin selber eine ganze Weile ziemlich durchgedreht. Generell müssen wir aber alle aufeinander aufpassen.

Viele Texte befassen sich mit allen Aspekten des Geschlechterverhältnisses, vor allem aber den negativen Ausprägungen. Ist das harmonische Miteinander von Mann und Frau die schwierigste Aufgabe, die das Leben für uns bereit hält?
Was mich betrifft, so ist es ein stetiges Auf und Ab. Ich treffe immer die falschen Frauen. Und wenn dann mal eine dabei ist, die wirklich etwas für mich empfindet, jagt mir das Angst ein. Ich habe keine Ahnung, warum das so ist. Im Idealfall kann eine gesunde Beziehung zwischen Mann und Frau ja dieses stetige Auf und Ab verkraften, da beide einander respektieren und tolerant miteinander umgehen – geben und nehmen, eine sehr vielschichtige Sache also. So sollte das ja sein. Bei mir ist Liebe bislang allerdings auf die reine Leidenschaft begrenzt. Ich muss wohl noch eine Menge lernen bis ich weiß, was Liebe wirklich bedeutet.

Sehnst du dich denn nach einer erfüllten Beziehung mit Kindern und so weiter?
Ja, sehr sogar. Tun wir das nicht alle? Die Familie ist das Wichtigste im Leben. Wir alle wollen irgendwann Kinder haben, die dann hoffentlich alle zusammen eine Band gründen. Abends sitzen wir Alten dann am Kamin und die Jungs spielen uns ihre Songs vor. Und dann brauche ich auch unbedingt eine helfende Hand auf der Farm. (lacht)

Neue Songs geschrieben?
Ja, ein paar Sachen haben wir schon. Ich versuche immer nichts zu machen, weil ich ja weiß, dass wir damit eh noch nichts machen können. Aber in den letzten zwei Wochen haben wir dann doch eine Menge Zeug gemacht. Ich versuche aber, diese Songs bewusst nicht fertig zu stellen, lasse sie noch ein bisschen liegen, arbeite dann vielleicht hier und da an dEtails. Wenn ich sie zu sehr ausarbeiten würde, würde ich sie auch gleich aufnemen und die nächste Platte machen wollen. Und da das nicht geht, würde es mich wahnsinnig machen.

Liest du von Zeit zu Zeit in der Bibel? In „The Runner“ singst du von täglichen Zwiegesprächen mit Jesus.
Nein, eigentlich gar nicht. Ich weiß, ich sollte. Wenn ich das nächste Mal eine sehe, nehme ich sie mit.

Wozu du auf Tour ausreichend Gelegenheit haben dürftest. Es gibt schließlich kaum ein Hotelzimmer ohne Bibel.
Stimmt, in den meisten Ländern ist das so.

Was würde dein Vater wohl zu deiner mangelnden Bibellektüre sagen?
Er und meine Mutter lesen die Bibel natürlich, sie sind gute, anständige Menschen. Sie haben ein großes Herz und versuchen gute Menschen zu sein. Sie schreiben uns aber nicht vor, wie wir unser Leben zu führen haben. Mit meiner Mutter sind wir natürlich ständig zusammen, da sie ja direkt gegenüber wohnt. Mein Vater wohnt in Oklahoma, er kommt aber zu vielen Shows. Er malt jetzt Häuser. Unsere Farm hat er auch schon gemalt.

Hat der Titel „Because Of The Times“ jenseits der offensichtlichen Bedeutung eine weitere?
Das ist eine Art vorweggenommene Entschuldigung für alle Eventualitäten. Was auch immer passiert, mit diesem Titel werden wir es erklären können. Wenn wir untergehen und sich kein Mensch mehr für uns interessiert, dann liegt das eben an der Zeit, in der wir leben. Und wenn wir Billionen Platten verkaufen und die ganze Welt uns sehen will – dann liegt auch das an den Zeiten. (lacht)

Text: Torsten Groß

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