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Konzertbericht Daughter am 11.11. in Berlin

(Foto: Timmy Hargesheimer)

Jeder, der zu einem Konzert der englischen Indie-Rock Band Daughter geht, weiß worauf er sich da einlässt. Denn spätestens seit der Veröffentlichung des Debütalbums „If You Leave“ im März diesen Jahres ist klar: Diese Musik ist keine leichte Kost. Nicht mal für  abgeklärte MusikjournalistInnen. Und schon gar nicht für Menschen, die sich gerade selbst in einem Gefühlschaos befinden. Unfassbar eigentlich, dass diese Platte tatsächlich ihre Erste ist.

Inhaltlich dreht sich alles um zwischenmenschliche Beziehungen. Um den unerträglichen Schmerz, den eine Trennung nach sich ziehen kann. Um Verlust, abgestumpfte Gefühle und Vergänglichkeit. Und natürlich um die Frage des Warum. Eigentlich die beste Einstimmung auf den eigenen Abgang, schoss es mir schon öfter durch den Kopf, als ich diese Platte hörte. Wie schon mein Kollege beim The National-Konzert frage ich mich, wieso wir uns diese Trauermusik überhaupt und immer wieder freiwillig antun? Strebt der gesunde Mensch nicht eigentlich nach Glück und Heiterkeit? Und trotzdem. So sehr ich es auch versuche, kann ich mich diesen bittersüßen Klängen aus irgendeinem Grund nicht entziehen.

Meine erste Live-Begegnung mit dem Trio aus London hatte ich diesen Sommer auf einer Open Air Bühne. Eine Umgebung, die wie ich finde für diese Art von Musik nicht unpassender sein könnte. Viel zu sehr verlief sich die düstere, melancholische Stimmung, die diese Musik doch ausmacht, in den Weiten des Festivalgeländes und in der Hitze eines strahlendschönen Hochsommertages. Aus meiner großen Vorfreude wurde damals eine unerwartete Enttäuschung, die aber definitiv nichts mit der musikalischen Qualität der Band an sich zu tun hatte. Die ist nämlich hoch. Sehr hoch, um genau zu sein. Die Herrschaften beherrschen ihr Handwerk ohne Zweifel.

Ich war also gespannt auf den Abend im Postbahnhof. Gespannt zu sehen, wie und ob diese Intensität an Gefühlen in einem Konzertsaal besser funktioniert als damals auf dem Festival. Die Voraussetzungen konnten schon mal nicht besser sein. Eine kleine Bühne, ein ausverkaufter Saal, alles dunkel. Depri-Stimmung deluxe. Alles war bereit.

(Foto: Timmy Hargesheimer)

Ohne großes Aufsehen betritt die Band die in Kunstnebel getauchte Bühne. Von Sängerin Elena Tonra bekommt man erst etwas mit, als sie ihre unglaublich ausdrucksstarke Stimme zum ersten Mal erhebt. Wie gebannt starrt die Menge diese zarte und so zerbrechlich wirkende Person an, hängt regelrecht an ihren Lippen, verliert sich in der Tragik ihrer Texte. Als die letzten Töne des ersten Tracks verklingen, bricht ein Sturm an Begeisterung los. Sichtlich peinlich berührt wird ein leises „Thank you“ ins Mikrofon gehaucht. Kaum zu glauben, dass die Frau, die da singt auch jene ist, die wie ein verschrecktes Rehkitz am liebsten von der Bühne rennen würde, wenn es darum geht, sich bei ihren Fans zu bedanken.

Was folgt ist betretenes Schweigen, bis die Instrumente gewechselt und Gitarrist Igor Haefeli zum Geigenbogen greift. Die Erinnerung an Sigur Ròs drängt sich zwangsläufig auf und wird bei Tracks wie „Human“, der doch sehr nach „Gobbledigook“ (aus dem Album "Me› su› í eyrum vi› spilum end") klingt, noch verstärkt. Nicht weiter schlimm, immerhin kann man so auf mögliche und eigentlich auch sehr logische Inspirationsquellen schließen.

Gegen Mitte des Konzerts treten Probleme mit dem Equipment auf, was zu längeren – und für die Sängerin scheinbar qualvollen – Pausen führt. Ein wenig Gekicher und nervöses Gerede soll es wieder gut machen. Bei mir löst es eher Muttergefühle und das ständige Bedürfnis die Frontfrau in den Arm zu nehmen aus. Doch die Menge ist genügsam (was soll man ihr auch böse sein!) und wartet geduldig auf den nächsten musikalischen Gefühlsausbruch. Und der lässt nicht lange auf sich warten. Spätestens als sie sich an ihren ersten Hit „Youth“ machen, ist die Stimmung am Höhepunkt und das Konzert leider auch schon so gut wie vorbei. Auch wenn sich die Band die Zugabe – ein Cover von Daft Punks „Get Lucky“ – hätten sparen können, war das ein großes, wenn auch trauriges Konzert mit wenigen Längen, dafür umso mehr Gefühl. Daughter ist eindeutig eine Band, die auf jeden Fall in einen kleinen, intimen Konzertsaal gehören. Über ein präventives Konzertverbot während der grauen, kalten Wintermonate könnte man auch noch diskutieren. Aber das, ist eine andere Geschichte.


Daughter – Youth on MUZU.TV.

 

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