(Foto: Red Telephone Box / Kobalt Label Service)
Es gibt gute Konzerte. Und viele davon in Berlin. Hier lassen sich die meisten Bands ohnehin irgendwann mal blicken, manchmal ist man fast schon etwas abgestumpft. Und dann gibt es nicht nur gute, sondern richtig schöne Konzerte. Die berühren, die mitnehmen, bei denen der Funke überspringt und für die man dankbar ist. Dankbar für einen Abend, von dem man anfangs wenig erwartet hat, den man aus Gründen wie Kopf- oder Seelenschmerz vielleicht fast verpasst hätte. Genau dann können zwei ehrliche Stunden mit Travis Wunder bewirken – zumindest ein Kleines.
Travis, das waren doch diese vier Typen, ohne die es Coldplay nie gegeben hätte. Die Schotten, die vier Jahre Pause voneinander gebraucht haben, bevor sie mit ihrem aktuellen Album Where You Stand ins Studio gehen konnten. Doch so richtig an alte Erfolge wollte das Ganze nicht anknüpfen. Man kommt also ins Astra Kulturhaus, sieht dort ein angenehmes und erwachsenes Publikum, aber das Gefühl, dass die Meisten eben doch nur wegen der ersten drei Alben hier sind, wird man nicht los. Zugegeben, auch wir waren im Grunde nur wegen "Sing", "Why Does It Always Rain On Me" und Co da. Wir sind keine Musikhipster, die immer „aber nur die alten Sachen“ hören, nö. Aber trotzdem. Und dann kommt Fran Healy auf die Bühne und macht einem einen Strich durch die eigene Erwartungs-Rechnung. Das Konzert hätte fast abgesagt werden müssen, berichtet er mit krächzender Stimme. Er klinge "wie ein furzendes Schaf im schottischen Hochlandnebel". Die Stimme ist fast weg, aber Travis-Konzerte werden nicht abgesagt, schon gar nicht in Berlin, seiner Wahlheimat. Er bittet also um Verständnis für so manchen möglichen schiefen Ton und fordert tatkräftige gesangliche Unterstützung seiner Fans. Machen wir doch gerne, antwortet das Beifall klatschende Publikum. Dann ging's los. Und wir standen da und fingen an, uns zu freuen. Das wird gut! Das wird authentisch! Das wird endlich mal wieder so richtig echt!
Travis – Where You Stand on MUZU.TV.
Trotz krasser Erkältung, die zugegebenermaßen unüberhörbar war, spielten Travis gute zwei Stunden. Zwei Stunden voller Menschlichkeit und Mut zur Fehlbarkeit. Und den brauchte der sympathische Sänger an jenem Abend mehr als alles andere, lies seine Stimmkraft von Song zu Song merklich nach. Doch war es gerade das, was dieses Konzert so besonders und vor allem menschlich machte. Es war dieses gewisse Gefühl von Zusammengehörigkeit, das aufkam, sobald Healys Stimme bei so manchem Refrain versagte und dann wahlweise von Bassist Dougie Payne (der kann das übrigens auch mit dem Singen!) oder dem Publikum gesungen wurde. Das glatte neue Album klang live und mit rauchiger Stimme auf einmal richtig schön. Und wie gut die alten Songs waren, hatte man in den letzten Jahren fast vergessen. „It’s nice to be home“, es ist schön zuhause zu sein, sagt Fran Healy. Zuhause auf der Bühne oder zuhause in Berlin? Wahrscheinlich beides. Ist aber auch egal. Im Mittelpunkt des Abends stand nämlich sowieso ein anderer. Denn mit dem siebenjährigen Sohnemann Clay war der jüngste und wahrscheinlich auch süßeste Roadie der Welt am Start. Der brachte Papa erst stolz und bald sehr müde seine Gitarren, die allesamt größer als er selbst waren. Zwischendrin gab’s eine Fanta als Wachmacher und später viel Bewunderung für die Fähigkeit, als Kind bei wirklich jeder Lautstärke schlafen zu können.
Vielleicht lag es an der Heimat, vielleicht an dem geschlossen versammelten Familiensupport, dass der Schotte so viel von sich Preis gab. Ob man in einem Interview je so viel erfahren hätte? Wer weiß. Das Publikum genoss sie jedenfalls, diese Nähe zu seinem Idol. Da war einmal der Mut zur unperfekten Stimme, gefolgt von einem Bonnie Tyler-Vergleich, einer Portion "Total Eclipse of the Heart" (alle, wirklich alle haben mitgesungen) und dem Nachsatz, „hey, manche Leute haben daraus eine Karriere gemacht!“. Geht es noch sympathischer? Kann man als Band toller sein?
(Foto: Red Telephone Box / Kobalt Label Service)
Ja, kann man. Denn dann folgte als Einschub auch noch – auswendig zitiert von Fran Healy – folgendes Gedicht:
"This Be The Verse" by Philip Larkin:
"They fuck you up, your mum and dad.
They may not mean to, but they do.
They fill you with the faults they had
And add some extra, just for you.
But they were fucked up in their turn
By fools in old-style hats and coats,
Who half the time were soppy-stern
And half at one another’s throats.
Man hands on misery to man.
It deepens like a coastal shelf.
Get out as early as you can,
And don’t have any kids yourself."
Berichte aus Healys Kindheit, von einem gewalttätigen Vater und einer leidenden Mutter. Zum Glück wissen wir, Fran Healy hat einen wundervollen Sohn und eine intakte Familie, für die er an jenem Abend gesungen hat. Auf der Bühne standen Freunde, nicht nur eine Band.
Zum goldenen Abschluss blieb nur eine Frage: Why does it always rain on me? und wieso fühlt es sich eigentlich immer so an, als würden wir diesen – unseren eigenen – Song covern? Gute Frage, tut aber in dem Momemt nichts zur Sache. Denn es ist Zeit für eine alte Travis-Tradition: „Beim letzten Refrain alle hüpfen! Könnt ihr das, ihr coolen Berliner?“ Ja, sie können, die vielen coolen Menschen. Sie mussten sogar ein wenig gebremst werden („Hey, das ist erst die Bridge!“). Wir lachen. Und dann springen wir. Danke, Travis. Für Authentizität, echte Musik und Ehrlichkeit. Und für’s Nicht-Absagen. Das Konzert wäre mit perfekter Stimme wahrscheinlich nicht ganz so besonders gewesen.
(Valerie Marouche / Mariella Gittler)
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