(Foto: Klaus Thymann)
Puh, Sonntags-Konzerte. Eigentlich immer eine unschöne Angelegenheit. Man stolpert gerade noch aus der letzten Bar, der Morgen wird eingenommen vom Schädel-Gefühl und dem Duft des Rauchs und Exzesses, der sich beim ersten Haar-Wasser-Kontakt in der Dusche breitmacht. Das letzte, was man dann eigentlich will, ist wieder in dieser Umgebung mit Zigaretten und Bierflaschen zu sein. Bis … Wild Beasts sich ankündigen.
Und gestern, da wollte Berlin ein bisschen angeben.
Wild Beasts, die vier Herren aus Kendal, UK, sind momentan mit ihrem vierten Album „Present Tense“ in vier deutschen Städten unterwegs.
Asche auf mein Haupt, waren sie in ihrer ganzen Fabelhaftigkeit bis jetzt nicht Teil meines musikalischen Vokabulars. Einzig der Song „Wanderlust“ lockte mich auf das Konzert, da schon im Titel einerseits eines der schönsten bedeutungsschwangeren Wörter deutscher Sprache seinen Output gefunden hat. Andererseits die Zeile „Don’t confuse me for someone who gives a fuck“ generell eine der tollsten Aussprachen ever ist. Also hin da.
Dann setzt der Bass ein – und zwingt mit seinen Schwingungen jeden sonntaglich-gebrechlichen Menschen unausweichlich zur Bewegung. Berlin zog sich den Stock aus dem Arsch, gab einen überzeugten Schiss auf shoegazing und trat eine Welle der Körperwellen los. Was man den Wild Beasts lassen muss: Sie haben gut und gerne die sympathischste Fanbase der Welt. Locker hätte man bei den ganzen Schönheiten und der euphorisiert-ausgelassenen Stimmung ein Recap-Video fürs Tomorrowland drehen können.
Lag es am Wetter oder sind einfach alle Spanier direkt aus dem Berghain weiter ins Lido gezogen? Keine Ahnung, was es war, aber die Berliner hatten Lust auf ein Fest der Superlative.
Die Ausgelassenheit, mit der mitfünfziger Herren neben jungen Hipstern eskalierten, kenne ich eigentlich nur von sechzehnjährigen Jungs auf Hip-Hop-Konzerten.
Die Gegensätzlichkeit wird auch beim stimmlichen Zusammenspiel von Hayden Thorpe und Tom Fleming auf vorzüglichste Art auf die Spitze getrieben: Falsett gegen männliche-Markanz. Augen zu und man ist nicht mehr in der „present tense“ sondern im 80er Jahre-Set vom Prinzessin Fantaghiro-Märchenwald, um Eurythmics und der Rocky Horrow Picture Show beim Sing-Off beizuwohnen. Ausladende, überzogene Gesten treffen mit dem roten Samt-Vorhang der Lido-Bühne sowas von in das Herz eines Suckers für Musicals wie mir!
Auch alle um mich herum nicken sich nur kurz augenbrauenhochziehend zu, um den Gesangsleistungen da Props zu verleihen.
Zum ersten Mal kotzten mich außerdem die gezückten Handys nicht an, denn: über die Bildschirme wird mir die rhythmisch abgestimmte Lichtshow im Hintergrund bewusst.
Nach jedem der 17 gespielten Songs tobt es in der Menge, Zurückhaltung gibt es hier nicht. Da wird auf dem Boden gestampft wie früher im Zirkus – und die Band verabschiedet sich glücklich-überfordert und dankend von dem Publikum, das als mit hochgerissenen Armen klatschende Ballung der Zufriedenheit zu großen Teilen für die Atmosphäre beim Gig verantwortlich war. Statt mit einem Schädel fahre ich mit kribbelnden Klatsche-Händen nach Haus. Du kannst so wunderbar sein, Berlin!
Die Wild Beasts sind am 09.04.2014 für ihr letztes Konzert im Strom in München. Wenn ihr wisst, was gut ist, geht ihr da lieber hin…!
Vera Jakubeit
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