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Am 3. Februar posten My Bloody Valentine auf ihre Facebookseite: “The album is now live”. 21 Jahre mussten Fans auf diesen Augenblick warten. Keine 12 Stunden hielt sich die Musikpresse mit ersten Urteilen zurück. Wem nützt das?
Es ist 1991. Die Brüder Gallagher werden in einigen Wochen eine Band gründen und jene Spielwiese betreten, deren Keime Typen wie Iain Curtis und Steven Patrick Morrissey Jahre zuvor in den verlassenen, bierfeuchten Nährboden der britischen Punks gedrückt hatten. Und in fünfzehn Jahren werden Typen wie Peter Doherty die eben noch herrlich grüne Anlage dermaßen misshandeln, dass es eine Art hat. England brennt noch nicht, es lodert aber. Und ruft förmlich nach flammen-fördernden Maßnahmen, einer leichten Böe etwa die der ganzen Chose buchstäblich Leben einhauchen würde.
Wer seinen Atem nicht in den knisternden Reisig befördern wird ist Kevin Shields. Anstatt mit Ian Brown und Konsorten, den Musikern der Stunde also, in ”Madchester” die Straßen unsicher zu machen und das Glück der Stunde zu begießen, scheint er in seiner ganz eigenen Welt zu leben. Er träumt einen Traum von Beständigkeit und spart sich seine Puste für eine Sache die jedem neuen Hype trotzen würde, der kein Produkt der britischen Genrefabriken etwas anhaben könnte. Die spürbar anstehenden Exzesse und Prozesse des British Rock lassen ihn jedenfalls völlig kalt.
In einer vom zweiten Weltkrieg gezeichneten Kirche im Londoner Südosten spielt Shields Anfang der 90er mit seiner Band My Bloody Valentine das Album “Loveless” ein und verwirklicht seinen Traum. Mit einem beispiellosen Verschleiß an Equipment, Tontechnikern und insbesondere Zeit treibt er sein Label Creative Records beinahe in den Ruin. Für über 250k Pfund mietet sich Shields über einen Zeitraum von zwei Jahren in 18 weitere Studios ein, auf der ständigen Suche nach den perfekten Klangwerkzeugen, nach dem einzig wahren, optimalen Ergebnis.
My Bloody Valentine — Live @ Liberty Lunch, Austin 1992
Heute ist klar, dass die Band genau wusste was sie tat — kaum eine 90er-Bestenliste die “Loveless” unterhalb der Top 5 anführt, kaum ein Shoegazer oder Dreampopper dessen musikalischer Werdegang ohne die Experimentierfreude des Virtuosen Shields möglich gewesen wäre. Die Ehrfurcht des Frontmanns, vor seinem eigenen Meisterwerk, ließ ihn ungeheuerliche 22 Jahre auf den nächsten Saitenschlag warten. Eine Dauer, die jeden Musikkenner selbst mit ungeheuerlicher Ehrfurcht erfüllen dürfte.
Dennoch mussten sich die nervösen Online-Musikredakteure um Pitchfork und Konsorten nur wenige Stunden nachdem sie Zugang zur neuen LP “mbv” hatten, schon das Maul um sie zerreißen und sie gar mit ihren sinnleeren, numerischen Bewertungen in Dezimalzahlen abspeisen. Das ist schade bis respektlos, es ist ein Zeichen des Schwachsinns, ein Zeichen der Angst. Die eiligen Texter interessiert leider nicht die Musik selbst, sondern nur ihre Neuheit. Dabei ist ein Kevin Shields-Album kein Event oder eine Nachricht — es hat keine Eile, das ist Teil seiner Schönheit. Warum nur hat der Journalismus dafür jegliches Gefühl verloren?
Josa Valentin Mania-Schlegel
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