Die alte Ironie hat sich überlebt, das hat Justin Timberlake mal eben der deutschen Unterhaltungsindustrie verklickert. Normalerweise sollte man da mitziehen. Doch Lanz-Deutschland setzt lieber auf Schockzustand. Ist doch alles nur Spahaaaß.
Lanz will den ungreifbaren Timberlake seinem Langweiler-Publikum schmackhaft machen. Zum Glück (für Lanz) dreht der den Spieß gekonnt um. Ein Lehrstück des Scheiterns.
Dass man älter wird merkt man zum Beispiel daran, dass man sich in scheinbar immer kleiner werdenden Abständen die Fingernägel schneiden muss. Oder daran, dass schon wieder WM ist. Oder Olympia oder so was. Oder aber daran, dass ein Kerl namens Justin Timberlake um die Ecke biegt und behauptet, sein Comeback zu geben. Nach sieben Jahren Pause. Und dabei doch nie so richtig weg war. Oder? Was ist in sieben Jahren eigentlich alles passiert?
In Deutschland scheint zumindest eine neue Ära der Fernsehunterhaltung angebrochen zu sein. Harald Schmidt hat den Dienst mit Bravour abgeleistet. Seine alte Festung, die Ironie und sein unumstößlicher Zynismus haben sich nun überlebt. Das Zepter darf weitergereicht werden, eine neue Haltung muss her. Und Typen wie Markus Lanz und Oliver Welke scheinen fest entschlossen, dieses neue Gesicht der spätnächtlichen Unterhaltung zu zeichnen. Blöd nur, dass sie bisher absolut nichts kapiert haben.
Tom Hanks, Halle Berry und wie “Wetten Dass?” wirklich ist, abseits der gütigen Linse seines geduldigen Stammpublikums.
Obwohl “Wetten Dass?” mit den neuen lanz’schen Ausgaben zunehmend seine einst mühsam erarbeitete Kredibilität verspielt, nimmt am Samstag, den 23. Februar ein bestens gelaunter Justin Timberlake Platz auf der Couch. Er ahnt bald, in welche biedere Schublade man ihn hier stecken will und dreht den Spieß kurzerhand rum. Während Tom Hanks (“In Amerika hätte man Lanz nach der Sendung gefeuert“) und Michael Bublé (“Hätte ich das gewusst, hätte ich Gras geraucht“) sich noch benommen haben verhunzen lassen, vom spießigen TV-Deutschland, nimmt Justin die Sache lieber mit viel Humor und irgendwann die ganze reaktionäre Sendung selbst auf den Arm.
Er zeigt den 10 Millionen Zuschauern: “Leute, das hier ist nichts.” Lanz erwidert ihm mit Ironie, versucht die eigene Unmöglichkeit lächelnd zu überspielen. Und verkommt schließlich zum Nebendarsteller, zur Marionette der Marketingstrategie eines US-Superstars, ist plötzlich Gast auf seiner eigenen Party. Im Moment des Scheiterns seiner im Fremdschäm-Modus vorgetragenen Pseudo-Coolness eine übrigens mehr als dankbare Rolle. Der Rest der Live-Übertragung zeigt ganz unkaschiert die außerordentliche Humorlosigkeit der Deutschen, wie man es sonst nur aus der heute-show mit Oliver Welke kennt. War’s das jetzt also mit dem Fernsehen? Werden zukünftige TV-Abende vor dem MacBook, in den Mediatheken und Streamportalen des sperrigen Darknet ausgetragen — und eben nicht mehr im warmen Röhrenschein direkt nach der Tagesschau?
Lanz begleitet Timberlake auf dem Klavier.
Zurück in der Heimat gibt es für Justin die Auflösung. Schluss mit der verkehrten Welt! Natürlich ist die Sache mit dem Fernsehen noch längst nicht ausgestanden, schon gar nicht für US-Bürger. Und hat sich Lanz angesehen — und das sollte er! unbedingt! — was sein amerikanischer Kollege Fallon mit Justin Timberlake auf der TV-Bühne vollbringt, dann dürfte ihm das eine echtes Lehrstück gewesen sein. Routinemäßig nimmt der Sänger seinen Gastgeber gleich mit auf den persönlichen Höhenflug. Zur Erinnerung: in Deutschland war ihm noch die fragwürdige Mutprobe gestellt, immer mehr deutsch-amerikanische Gags in die qualvollen Minuten auf der Couch zu quasseln. (Es gibt auch wirklich schönere Aufgaben, als einem prall gefüllten Rentnerauflauf mit den eigenen paar deutschen Wortbrocken nervöse Freudentränchen in die Augen zu treiben. “Hach, uns versteht er also auch! Ein goldiger Weltstar!”. Und Justin: “Hoffentlich wird diese ultimative Peinlichkeit hier nie nie nie in Amerika übertragen…” usw.)
Diese oberlehrerhafte Sportskanone einer altväterlichen Gottschalk-Imitation ist eben auch das genau Gegenteil von Jimmy Fallon, auf den Justin einige Tage später in New York trifft. Der ist mit seiner Late-Night-Show zum Pionier einer neuen, ehrlicheren Haltung im US-Fernsehen geworden. Seine Show bekennt Farbe und für Fallon wäre es allerhöchstens eine Notlösung mit ironischen Witzeleien und Respectvor und Ehrfurcht vor den Stars die Minuten bis zum nächsten Show-Highlight zu überbrücken. Fallon begegnet seinem Gast mit gewohnt naiver Freundlichkeit und verschmitztem Feixen. Und trifft damit genau Justins Geschmack.
Timberlake und Fallon, Entertainer unter sich.
Wieviel Spaß man wirklich mit einem Typen wie Timberlake haben kann, wie gut sich diese Chance verwerten lässt, das machen die beiden in Fallons “Late Night” vor. Das Ergebnis ist ein wahres Karaoke Fest: die vier(!)teilige “History of Rap”, performt von Timberlake vs. Fallon höchstpersönlich. Unbeschreiblich witzig und viel ehrlicher vorgetragen als Lanz’ künstliches Elvis-Duett. Und nur ein weiterer Beweis dafür, dass den deutschen Entertainern um Lanz und Welke eigentlich noch viele schlaflose Nächte mit Zahnstochern zwischen den Lidern und dem vierbuchstabigen Bildungsprogramm “US-TV” bevorstehen.
PS: Dass überhaupt noch jemand “Wetten Dass?” guckt, ist vermutlich schlicht der verdrängten Trauer über eine weitere verlorene Bastion der deutschen TV-Landschaft geschuldet. Keiner will es so richtig wahr haben — und das nicht erst seit Samuel Koch. Über die Relevanz der arg bemühten heute-show muss erst gar nicht diskutiert werden, man sehe sich nur eine Ausgabe von Jon Stewart’s Daily Show an und erkenne, was auf diesem — in hiesigen Gefilden noch gänzlich unbestellten Acker — wirklich möglich ist.
Harald Schmidt war mal unser guter Zyniker. Der, der dafür sorgt, dass der Nebenmann eine warme Suppe hat. Damit er seine Ruhe hat. Schmidt ist nicht mehr und die Suppe irgendwie kalt. Und die deutschen Fernsehmacher rühren sich derweil kaputt, an dieser immerzähen Pampe.
PPS: (Fallons Studioband heißt übrigens The Roots. Verdammt, geht’s eigentlich noch cooler?!)
Josa Valentin Mania-Schlegel
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