Bei dem ganzen Kerzen ziehen, Bananenbrot backen und Pilze im Abstellraum züchten, das man in den Sozialen Medien sieht, könnte man meinen, dass der Lockdown die Kreativität nur so befeuert.
Ein Blick auf die Nachrichten trübt das Bild bekanntermaßen recht schnell. Ein Großteil der Menschen, die von ihrer Kreativität leben, haben schließlich seit März 2020 ein quasi Berufsverbot. Aus vielen Lagern hört man, dass man sich in den letzten Monaten eben auf den Schaffungsprozess der Kunst konzentrierte, im Studio neue Songs aufnahm, ein Buch schrieb. Doch passierte dieser Prozess mit der gleichen Kreativität wie vor der Pandemie? Braucht es für Kreativität nicht auch immer die Interaktion mit anderen Menschen?
Kreativität als Erfahrung des In-sich-gehen
Über diese Frage schrieb Kae Tempest während des ersten britischen Lockdowns. Das Ergebnis von Kaes Gedanken wurde nun von faber unter dem Titel „On connection“ veröffentlicht.
Dabei definiert Kae „Kreativität“ als einen ziemlich offenen Begriff, der nicht nur auf Kunst bezogen ist, sondern jeden Akt von „machen“ betrifft und immer mit der Fähigkeit einhergeht, neugierig zu sein („to feel wonder“) und auf diese Neugier zu reagieren. Dabei ist „Kreativität“ auch immer die Gabe das Äußere zu vergessen, in sich selbst einzukehren.
Rammsteins Produktivität
Für dieses In-sich-gehen hatten viele während des Lockdowns mehr als genug Zeit. Unter diesen vielen ist auch die Band Rammstein, deren Keyboarder Flake berichtet:
„Dadurch, dass wir nicht live auftreten konnten, hat sich unsere Kreativität vergrößert. Wir hatten mehr Zeit uns neue Sachen auszudenken und weniger Ablenkung. Dadurch haben wir eine Platte aufgenommen, die wir so nicht geplant hatten.“
Rammstein hatte die Platte in relativer Normalität analog im September in Frankreich aufgenommen. Auch die Band Giant Rooks schrieb im Herbst analog und auf einem Bauernhof an neuen Songs. Doch sie probierten sich auch online aus, spielten im August im Tempodrom ein Streaming Konzert, dass dieses von mehreren tausend Leuten angeschaut wurde, freut Finn von Giant Rooks noch immer.
Wenn der Lockdown zur falschen Zeit kommt
Doch generell änderte sich auch für Giant Rooks der Jahresplan extrem:
„Wir hatten unser Album kurz vorm Lockdown fertig aufgenommen. Der erste Lockdown war deshalb für uns eher eine Entspannungsphase, was Songwriting anging. Generell haben wir eben ganz andere Sachen gemacht als vor Corona. Wir waren vor Corona die ganze Zeit auf Tour, sowie wir auch 2020 eigentlich auf Tour gewesen wären. Ende des Jahres haben wir dafür wieder geschrieben. Beim Musizieren kommt dann auch dennoch die gleiche Energie auf und man kann Corona mal für einen Moment vergessen.“
Die Sache mit dem Internet und dem echten Zufall
Bei all dem Songwriting fragt man sich, wie es mit der Inspiration in diesen Zeiten aussieht? Kae schreibt, dass Kreativität zum Wachsen Beziehungen („connection“) mit anderen Menschen braucht. Und diese Beziehungen fallen während Corona weg. Klar gibt es online Möglichkeiten zum Austausch, doch Kae spricht den einen wesentlichen Punkt an, weshalb Kreativität online nicht oder nur anders gefördert wird:
„The internet makes it possible for like people to find each other, and this is extremly important. But it makes it difficult for unlike people to contact each other without their defences up.“
In der Pandemie ging der Zufall verloren und die erleuchtenden Momente wurden weniger. Man starrte nicht für fünf Stunden das gleiche Bild in der Galerie an und kam nicht mit dem alten Mann, der neben einem starrte, ins Gespräch. Man lungerte nicht in Antiquariaten rum und wurde plötzlich zu einem Buch hingezogen, von einem Autor, den niemand kennt und dessen Worte doch wie die eigenen klingen. Man fängt um vier Uhr morgens keine Gespräche in der U-Bahn an und bekommt lebensverändernde Musiktipps aus Chile. Keine Erinnerungen werden mehr kreiert, weil irgendwann ist die Gedanken-Schublade „Zuhause Netflix schauen“ auch gefüllt. Die Inspiration, die Kreativität steckt im Teufelskreis fest.
„What we are left with is something to watch, not something to be a part of“, schreibt Kae und bereits ein zustimmendes Nicken Richtung Kae scheint zu viel Arbeit in der akuten Monotonie.
Die Beklopptheit der Menschen ist immer ein gutes Thema
Doch die Monotonie kann auch helfen. So sagt Flake, dass er mehr Muse und nun mal auch mehr Zeit hatte um Neuerscheinungen und alte Schätze bewusst zu hören. Außerdem hätten Rammstein auch keine Probleme mit der Inspiration zur Themenfindung gehabt, was er mit der allgemeinen Themenwahl der Band begründet:
„Unsere Themen sind ja generell aus dem täglichen Erleben und aus dem Weltgeschehen und da passiert ja immer was. Unser Thema ist grundsätzlich die Beklopptheit der Menschen und die ist zu Corona Zeiten nicht viel anders als zu normalen Zeiten. Also Donald Trump war ja auch letztes Jahr sehr präsent, da konnte man auch viele Wesenszüge entnehmen und von den Leuten generell, wie sie sich verhalten haben im Lockdown. Also die Inspirationsquellen sind eigentlich immer da. Die meisten Sachen, mit denen man sich beschäftigt, finden am Ende ja sowieso im eigenen Kopf statt. Von außen kommen bloß so kleine Anstöße und da kommt auch genug durch, wenn die Straßen nur halb so voll sind.“
Eine andere Form von Inspiration
Auch Finn kann der neuen Normalität im kreativen Prozess mit der Band etwas abgewinnen:
„Das Leben ist deutlich langsamer geworden, aber ich finde gerade daraus kam man auch ganz neue Ideen schöpfen. Es ist ja gerade auch interessant zu sehen, was aus dieser anderen Form von Inspiration heraus entsteht.“
Am Ende können wir Konsument*innen uns auf all die Lockdown-Alben freuen – und vor allem auf all die Touren, die dazu folgen werden. Wobei der größte Hoffnungsschimmer für die Kreativität aller bleibt: Nach der Spanischen Grippe, folgten die goldenen Zwanziger.
Hier geht es zur offiziellen Giant Rooks Website.
Hier geht es zur offiziellen Rammstein Website.
Das Artikelbild ist von der Künstlerin Hannah Bielecki .
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