Schon länger raunte man, das nächste Album von Erdmöbel werde eines mit lauter Neuinterpretationen großer Hits. Und freute sich vielleicht schon darauf, denn „die Meister der inkommensurablen Übersetzung“ (Rolling Stone) hatten zuletzt mit ihrer „Weihnachten ist mir doch egal“-Version von Wham!s „Last Christmas“ einen ganz eigenen Hit gelandet und sich selbst erstmals in der Bandgeschichte in die Singlecharts befördert.
Aber, was Erdmöbel hier machen, hat dann doch wieder keiner erwartet. Ein Unding und etwas Übergroßes. „No.1 Hits“ heißt es und ist ganz einfach das, was der Name sagt. Also nicht irgendeins von diesen geschmäcklerischen Obskure-Lieblingslieder-Coveralben, sondern eins, das sich nur die ganz großen Hits vornimmt. Die Spitze der Hitparaden irgendwo auf der Welt. Top of the Pops. Also (igittigitt!) den Geschmack der oft geschmähten breiten Masse. Übersetzt, gespielt, gesungen von Erdmöbel: Nirvana, Kylie Minogue, Robbie Williams, Vengaboys, Bee Gees, Procul Harum, Tom Jones, Kraftwerk … „Geht nicht!“ ist da der erste Impuls. Aber das genau ist der Anfang von Erdmöbels Devise: „Geht nicht? – Dann mal los!”
Erdmöbel waren schon in einer Menge Schubladen. Independent, Alternative, Deutschrock, Easy Listening, Hamburger Schule … Irgendwie klemmte das alles und stimmte noch weniger als bei anderen Bands.
Unabhängig von der Independent Szene. Alternativ natürlich, aber klingt nicht so. Deutschsprachig, aber kein Rock. Leicht zu hören mit Tiefgang. Schule ja, aber aus Köln. Erdmöbel sind Erdmöbel! Und der einzige Stilbegriff, den die Band selbst immer akzeptiert hat, ist: Pop. Nur was heißt das schon? „Lasst uns das Wort Pop mal ernst nehmen“, sagte sich die Band. „Mögen wir echte populäre Musik? Mögen wir die populärste Musik? No.1? Können wir mit Deppen-Techno, Kommerz-Machismo, Schmuseschlagern, Mode-Torheiten, billigem Pathos?“ Natürlich nicht! Aber das ist der springende Punkt: An der No. 1-Position der Hitparaden dieser Welt wippt immer wieder neu die musikalische Wiege der Kultur in und von der wir leben: Pop. Und immer wieder sind tolle Songs da oben, wo die Masse so entsetzlich breit ist. Die Beatles waren auch da, und spätestens hier merkt so mancher, dass es mit dem eigenen elitären Musikgeschmack nicht all zu weit her ist.
Das war der Ausgangspunkt für das neue Album von Erdmöbel. Und wie schon so oft bei den seltsamen „Erzsympathen“(FAZ) aus Köln scheint auf „No.1 Hits“ das Unmögliche wie von leichter Hand gelöst. Sie nähern sich den großen Hits und die nähern sich ihnen. Am Ende ist ein Wunder geschehen. Die Charts der Welt werden bevölkert von lauter umwerfenden Melodien mit herzergreifenden deutschen Texten. Und dir ist, als hörtest du sie zum allerersten Mal.
„Was geht, Muschikatz?“ heißt der verrückte Opener des Albums und so saublöd sich diese Übersetzung von Tom Jones’ „What’s New, Pussycat“ lesen mag, so herrlich durchgeknallt, charmant und romantisch hört sich das an, was Erdmöbel mit dem Hit des Tigers machen. „Was geht?“, fragt hier eine Band und probiert es einfach aus.
Wer rechnet danach mit „Riecht wie Teen Spirit“? Die Nirvana-Nummer 1 knöpfen sich Erdmöbel als nächstes vor. Ein Sakrileg? Wenn, dann eins, das täglich tausendfach in Proberäumen von unvorstellbar gruseligen Bands begangen wird. Aber Erdmöbel können das. Wer hätte je beim Abrocken auf den Sinn geachtet? Erdmöbel haben Kurt Cobains Depressionen trefflich übersetzt und dann den Rock weggelassen: „hallo, hallo, hallo, k.o.“ Voller Respekt und – wie immer auf diesem Album – sich verneigend vor dem Original.
Der Text macht die Musik. Es kann doch eigentlich gar nicht sein, dass z.B. die Bee Gees oder Gilbert O’Sullivan so gute Lyrics haben. Auf „No. 1 Hits“ ist das so, und manche beim Radiohören schon oft bewusstlos mitgesummte Zeile bekommt plötzlich neue Bedeutung, wirkt irritierend vielleicht oder einfach nur wunderschön oder eigentlich meistens beides. Selbst, wenn Erdmöbel eins zu eins übersetzen, ist die Wirkung umwerfend, wie z.B. bei „Gott ist groß, Gott ist gut“ („One Of Us“ von Joan Osborne).
Und vor allem die Adaption von Kylies „Can’t Get You Out Of My Head“ stößt in neue Dimensionen vor. Unwiderstehliche Tanzmusik wie das Original, aber das berühmte „Lalala“ singt der Erdmöbelchor. Stellt euch vor, die Massen auf der Tanzfläche singen mit Markus Berges: „Wir sind frei“.
Insgesamt hat Produzent Ekimas die kleine Band Erdmöbel noch mehr als bei früheren Alben auf ihren ureigenen unverwechselbaren Sound reduziert. Dieses Ensemble hat einen Klang und das liegt an irgendwas Unerklärlichem, denn diesmal hören wir selten mehr als nur Schlagzeug, Bass, akustische Gitarre, akustisches Klavier, Posaune und Gesang. Vielleicht bezaubert so, dass bei jedem Detail der besondere Aspekt gesucht und gefunden und dann zu einem Ganzen zusammengefügt wird, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Das Ergebnis klingt schlicht berückend.
„No.1 Hits“: zum Lachen, Weinen, Hineinstürzen. Auch zum Nebenbei- oder Garnichthinhören. Und dann zum Ohrwurm-nicht-mehr-los-werden. Hits eben. Von Erdmöbel. Leicht zu Hören beim ersten Mal, ein Abenteuer beim zwanzigsten.
Erdmöbel machen ein Album mit Neuinterpretationen großer Hits. Und nach einigen allerbesten Alben ihr allerbestes. Im September 2010 erscheint “Krokus”, das achte Studioalbum der Kölner, das hervorragende Kritiken bekommt. Allen Songs der Platte widmet die Band ein Musikvideo.
promo@erdmöbel
No Comment