Mitte der 90er Jahre passierte in der musikalischen Welt etwas Unerwartetes, vielleicht jedoch lang Ersehntes: Eine vollkommen neue, bis dato nie da gewesene musikalische Stilrichtung nahm Einzug in die Plattenregale und Charts dieser Welt. Die Sensation bekam den Namen Trip-Hop, und Morcheeba waren die Mitbegründer dieser Innovation. Seither galten sie mit ihren leicht melancholischen Sounds als absolutes Synonym für gut besuchte, entspannte Kaffeehäuser, dunkelrote, beinahe schon kitschige Sonnenuntergänge und nächtliche Ausschweifungen: Mit ihrer gelungenen, einzigartigen Mischung aus Soul, Hip Hop und Blues, verfeinert mit einer Brise Country und Electronica, melodischen, leichten Beats und eindringlichen, sphärischen Klängen waren sie Architekten und Pioniere des Downtempo. Höchst erfolgreich vermittelte das englische Trio einer ganzen Hörerschar die (unerträgliche) Leichtigkeit des Seins und „Chillout“ wurde sehr schnell zum erfolgreichen (Mode)Wort einer ganzen Bewegung und Lebensgefühl vieler Menschen weltweit. Stimmlich untermalt wurde das Ganze von der sehr ausdruckstarken Sängerin Skye Edwards, deren engelsgleicher Gesang nach wie vor seinesgleichen sucht, und es schien, als seien die drei das perfekte Trio und förmlich auserkoren, die Welt mit ihrer Musik zu bereichern und zu bezirzen. Doch der Erfolg verlangte wie so oft einen Tribut: Nach weltweit millionenfach verkauften Alben sowie Gold- und Platin-Auszeichnungen und ausverkauften Welt-Tourneen war die Band ausgebrannt, ihr musikalischer In-, bzw. Output im wahrsten Sinne des Wortes verheizt. Man einigte sich wohlwollend auf eine Trennung, um andere, neue Pfade einzuschlagen.

Und das ist den Brüdern Paul und Ross Godfrey in den letzten zweieinhalb Jahren wahrhaftig gelungen! Zuerst nutzte ein jeder von ihnen unter anderem die Zeit für seine eigenen Projekte: Paul widmete sich mit dem Projekt „Capricorn 2“ wieder verstärkt seiner großen Liebe, dem Hip Hop, und Ross gründete „The Jukes“, mit denen er vornehmlich „alten“ Rock’n’Roll produzierte. In dieser Zeit aber geschah auch noch etwas anderes, wesentlich prägnanteres: Die Brüder entdeckten die Musik von Bands und Künstlern wie My Bloody Valentine, Sonic Youth, David Axelrod und Jefferson Airplane und vielen anderen mehr. Dies zu wissen, ist sehr hilfreich – beginnt man nämlich die Metamorphose Morcheebas zu verstehen: Die vielen neuen, musikalischen Eindrücke und Einflüsse ließen das Produzenten/Songwriter Geschwisterteams Godfrey weit über ihren Horizont hinaus wachsen und sie bewusst Abstand zu ihren vorherigen Arbeiten nehmen.

Ihr bisheriges Fundament hat sich weitgehend verändert – stark und offenkundig unterstützt durch die neue Sängerin Daisy Martey, ehemals Frontfrau der englischen Indie-Band Noonday Underground. Ihr sehr direkter Gesang – eine kraftvolle Mischung aus Herz, Mut und zuversichtlichem (Selbst)Vertrauen – unterstreicht die jetzt poppig-rockigen, jedoch nach wie vor melodischen Phrasen mit Ohrwurmcharakter auf dem neuen Album „The Antidote“. Kein Zweifel – dieses Album ist so ein unglaublicher, gewaltiger Sprung nach vorn und verdeutlicht die Abenteuerlust, die Neugierde und die schöpferische Innovation einer (förmlich) neuen Band mit hohem Anspruch. Die Keyboards, Soundmaschinen und Effektgeräte wurden gegen echte Instrumente ausgetauscht, das Album quasi „live“ aufgenommen. Ob das dramatische „Everybody Loves A Loser“, das wundervoll instrumentierte Titelstück „The Antidote“ mit seinen ungewöhnlichen, echten Fanfaren oder das beeindruckende, mächtig brodelnde und pulsierende Spiel von „Living Hell“ – selten war ein Album so vielseitig und abwechslungsreich wie „The Antidote“. Mit diesem Album haben sich Morcheeba selbst ein Gegen- bzw. Heilmittel (das nämlich bedeutet „The Antidote“ übersetzt) gegen Stagnation und Langeweile verabreicht und beweisen, dass es für Veränderungen niemals zu spät ist, man prinzipiell keine Angst vor solchen haben muss und man sich ruhig öfter auf seine Intuition verlassen sollte! Im Februar 2010 gibt Skye Edwards auf myspace bekannt, dass es eine Reunion geben wird. 2010 ist ein neues Album geplant, der Titel ist bisher unbekannt.