– Chad Kroeger – guitars/lead vocals
– Ryan Peake – guitars/vox
– Mike Kroeger – bass
– Daniel Adair – drums
Man sagt, das Schlimmste, was einer Rockband passieren kann, ist ein internationaler Single-Hit. Nickelback wissen genau, was das bedeutet. Aber nicht nur „How You Remind Me” von „Silver Side Up” (2001, 6 Millionen US-Käufer allein, Platin in Deutschland), sondern auch der Nachfolger „Someday” (zu finden auf dem 2003er-Album „The Long Road”, insgesamt 5 Millionen mal verkauft) war ein weltweiter Erfolg. Auch wenn sie es wahrscheinlich selbst am wenigsten erwartet hätten, im Jahr 2005 sind die vier Kanadier auf dem ganzen Globus immer noch eine geschätzte Größe im ‚Modern Rock’-Zirkus. Aber ähnlich wie im Fußball ist auch hier das nächste Spiel, respektive das nächste Album, das Schwerste. Die Messlatte hängt hoch, nicht zuletzt durch die eigenen Ansprüche, die die Band vom Tag ihrer Gründung an sich selbst gestellt hat. „Wir sind Perfektionisten”, bekräftigt Frontmann und Sänger Chad Kroeger. „Wenn man einen Song beendet, und er bleibt nicht in deinem eigenen Kopf hängen, wie kann er dann bei Menschen einen bleibenden Eindruck hinterlassen, die ihn im Gegensatz zu uns nur ein- oder zweimal gehört haben?”
Nach diesem Grundsatz arbeiteten Nickelback zusammen mit Joey Moi satte sieben Monate in Kroegers eigenem Studio an „All The Right Reasons”, ihrem fünften Longplayer. Zum erstenmal seit vielen Jahren allerdings waren die Vorzeichen anders: Kurz vor der Produktion trennten sie sich von ihrem Drummer Ryan Vikedal. In den meisten Bands ist das ein gewöhnlicher Vorgang, aber in diesem speziellen Fall fiel allen Beteiligten die Entscheidung nicht leicht, wie Kroeger freimütig zugibt: „Auch wenn er schon unser dritter Drummer war, wir haben mit Ryan unseren Durchbruch geschafft, er war Teil der Familie. Aber es war das Beste für beide Seiten. Wenn du nicht mehr an einem Strang ziehst, muss etwas passieren.”
Die Lösung des Problems befand sich – Zufall oder Schicksal? – im Keller von Chads Haus. Daniel Adair, ein guter Bekannter von Chads Freund Dave, probte während der Abwesenheit des Hausherren in dessen Übungsraum. Dave schwärmte gegenüber Chad, wie gut Daniel an seinem Instrument sei, aber das fanden auch die US-Kollegen von 3 Doors Down, die Daniel 2004 als Tourdrummer verpflichteten. „Als wir dann einen Ersatz für Ryan suchten, haben wir ihn einfach angerufen, und er sagte zu. Er kannte alle unsere Songs, er ist Fan der Band, also mussten wir nicht viel erklären. A perfect fit.”
Es ist ein Klischee, dass gerade neue Drummer einem etablierten Act zum nötigen Tritt in den Allerwertesten verhelfen, aber genauso war und ist es. Daniel gibt mit seinem variablen, sehr unterschiedlichen, aber doch kraftvollen Spiel den elf Songs auf „All The Right Reasons” den entscheidenden Kick. Von der ersten Single „Photograph”, einem weiteren Ohrwurm aus der Nickelback-Hitfabrik, bis zu den härteren Rockern wie dem Album-Opener „Animals” – Mr. Adair machte seinem Namensvetter, dem berühmten Brandfachmann Red Adair, alle Ehre und bestand seine Feuerprobe mit links. „Daniel ist nicht nur ein großartiger Musiker, er ist auch einer der lustigsten Menschen, die ich bisher kennen gelernt habe”, lacht Kroeger. „Er kommt in einen Raum und hat alle sofort auf seiner Seite.”
Alles perfekt, könnte man meinen, aber es liegt auch ein dunkler Schatten über „All The Right Reasons”: Mit dem Metal-Song „Side Of A Bullet” verneigen sich Nickelback vor ihrem Freund, dem Pantera- und Damageplan-Gitarristen Dimebag Darrell Abbott, der im Dezember 2004 auf offener Bühne von einem geistig verwirrten ‘Fan’ erschossen wurde. „Nachdem ich den Song geschrieben hatte, rief ich seinen Bruder Vinnie Paul an, um mir seine Erlaubnis und seine Einwilligung zu holen. Er sollte den Song hören, bevor wir ihn aufnahmen.” Doch Vinnie war so gerührt, dass er Chad alte Solo-Aufnahmen seines Bruders zur Verfügung stellte. Das Ergebnis ist ergreifend, aber auch ein Beispiel für die neue Reife, mit der Chad seine Texte schreibt. „Ich bin jetzt 30 Jahre alt, also habe ich auch mehr zu erzählen als früher”. Was lapidar klingt, erfährt in vielen Songs seine Bestätigung: In „Photograph”, wie erwähnt die erste Single, reflektiert Kroeger seine Teenager-Jahre, wie es jeder Mensch irgendwann tut. ,,I wonder if it’s too late, should I go back and try to graduate”. Mit diesen Geschichten aus dem wahren und aus vielen fiktiven Leben schafft Kroeger keine Distanz, sondern erzeugt Nähe. Nähe zu den Fans, die schon immer die Bodenständigkeit der Band aus British Columbia zu schätzen wussten. „Wir machen Musik für Musik-Fans wie uns selbst” ist ein Satz, der mehr aussagt als drei platte Ausgaben von ‚Behind The Music’. Nickelback sind ehrlich zu sich selbst und zu ihren Anhängern. Weil sie selbst noch Vorbilder und Idole haben.
Billy Gibbons von ZZ Top zum Beispiel spielt auf „Follow You Home” ein brillantes Solo, singt die dritte Strophe und steuert zu „Rock Star” die Backing Vocals bei. „Jimi Hendrix hatte nur einen Lieblings-Gitarristen, und der war Billy”, erklärt Chad voller Stolz. „Dass dieser Mann, eine Legende des Rock, unsere Band gut findet, ist mehr als ein Ritterschlag. Ich kann es kaum fassen.”
Der selbsternannte Workoholic Kroeger („Arbeit macht Spaß, mehr Arbeit macht noch mehr Spaß”) hat kein Problem damit, mit anderen Musikern Erfahrungen zu sammeln – im Gegenteil: „Je talentierter und versierter ein anderer Musiker ist, desto mehr werde ich selbst gefordert. Das kann nur gut sein.” Gene Simmons von Kiss hat einmal gesagt, auch ein guter Sportler beende nach Erreichen des Weltrekordes seine Laufbahn nicht, sondern versuche, seine eigene Bestmarke zu überbieten. Nickelback stehen in genau dieser Tradition sie sehen Rockmusik allerdings nicht als Wettbewerb an, sondern als Unterhaltung. Sie wollen nicht langweilen, sondern ihre Zuhörer in ihren Bann ziehen. „All The Right Reasons” ist genau deshalb ein solch dynamisches und abwechslungsreiches Album geworden, weil auch die Fans der Nordamerikaner keinen eingefahrenen Geschmack haben. „Es war eine bewusste Entscheidung, auf dieser Platte möglichst viele Facetten unserer Bandbreite zu zeigen.” Da darf es auch schon mal ein Piano sein, bei Nickelback bisher nicht zu hören. Nicht nur auf „Savin’ Me” spielt Timmy, Chads Gitarren-Techniker, seine ganze Virtuosität auf diesem Instrument aus. Obwohl die Band zuerst sehr skeptisch war, haben sie sich schnell mit der Tatsache angefreundet, dass auch ein Klavier zu einer Rockband passen kann. „Wir wollen nicht unsere ganze Karriere dieselben Schemata verwenden, das wäre zu langweilig. Auch Musiker brauchen Abwechslung.” Den eventuellen Vorwürfen, sie seien dadurch noch kommerzieller geworden, kann Kroeger nur ein leichtes ironisches Lächeln entgegnen: „Man sollte erst das komplette Album hören, um es zu beurteilen. Wir sind immer noch eine verdammte Rockband! Und wem das nicht gefällt, fein. Auf der anderen Seite: Hatten Evanescence nicht auch den einen oder anderen Piano-Part auf ihrer Scheibe?”
Die Freiheit, die ihnen der kommerzielle Erfolg beschert hat, ist der Band zu keiner Zeit zu Kopf gestiegen, auch wenn man „Rockstar”, das letzte Stück des Albums, fälschlicherweise so deuten könnte. Selbstironie oder einfach nur Reflektion? Entscheiden Sie selbst. Am Ende des Tages träumt jeder Fan davon, ein Rockstar zu sein… seine Lieblingsmusik zu spielen, von seiner Kreativität leben zu können, um die Welt zu reisen – es gibt durchaus schlimmere Jobs auf dieser Welt. Nickelback lieben ihren, und das merkt man auch an diesem Album wieder. Mit jeder einzelnen Note.
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