Die Zeiten, in denen Bayreuth das Wagner-Monopol inne hatte, sind gottlob vorbei. Seit anderthalb Jahrzehnten heißt die neue Wagner-Metropole Nashville.
Anlässlich des letzten Lambchop-Albums “Aw C’mon/No You C’mon” verkündete der charismatische Bandleader Kurt Wagner das Ende der Kurtifizierung von Lambchop. Tatsächlich war die Doppel-CD nicht nur fröhlicher als alle Lambchop-Platten zuvor, einige Stücke kamen ganz und gar ohne Wagners brüchigen Gesang aus. Auf “Damaged” ist Lambchop nun wieder voll auf Kurt. Die ausladenden Slide-Gitarren, die Tränenozeane der Streicher, die linearen Klanghorizonte – all das läuft in Wagners Stimme zusammen. Und Wagner selbst lenkt uns von seinen Texten ab, indem er sein introvertiertes Organ ebenfalls wie ein Instrument einsetzt. Man muss sich nicht dem traurigen Fluss der Texte hingeben – das Zusammenspiel aller Komponenten auf diesem Album drückt pure Verzweiflung aus. Nie waren Lambchop besser. Und nie klangen sie auswegloser.
Die Reise von Wagner und Lambchop begann 1993 in Nashville. Lambchop waren niemals eine normale Band sondern ein offenes, bis zu vierzehn Musiker umfassendes Kollektiv, dessen Energiezentrum Kurt Wagner alle Spielarten schlechten Geschmacks zu einem grandiosen Gesamtkunstwerk zu komponieren wusste. Mit ihren frühen Platten galten Lambchop schlicht als erste veritable alt.Country Big Band. Doch nachdem Wagner den obligatorischen Stetson gegen ein speckiges Basecap eingetauscht hatte, zog die Band auch andere Saiten auf. Das opulente “Nixon” ließ den Glamour (und Soul) der frühen Siebziger aufleben, auf dem reduzierten Meilenstein “Is A Woman” legte Wagner den Fokus auf seinen Bandneuzugang am Flügel, Tony Crow und gemeinsam huldigten sie nicht nur Chet Baker. Auf dem nachfolgenden Doppler “Aw C’mon/No You C’mon” besuchten sie gar die Klangwelt der Zwanziger zurückfallen. Mit den Songs dieses ungemein cineastischen Albums begleitete die Band Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilmklassiker “Sunrise”.
Auf “Damaged” kehren Lambchop jedoch wieder in die Gegenwart zurück. Und, wie Wagner erklärt, geht sein Blick diemal nach innen. Er sitzt nicht mehr auf der Frontporch vor seinem Haus und der Blick schweift in die Welt hinaus. Seine situativen Momentaufnahmen – wie Fotografien an die Wand zu hängen – sie schauen diesmal nach innen, ins Haus hinein. Wagner hatte gesundheitliche Untiefen zu durchschiffen und DAMAGED (die Vergangenheitsform ist dabei WICHTIG) ist davon stark beeinflußt. Oder, wie er sagt: “Damaged, das Wort ist vielleicht das eine verbindende Element, das all diese Songs haben.”
Kurt Wagner vollbringt mit Lambchop das seltene Kunststück, sich selbst überaus treu zu sein, aber mit jedem Album Neuland zu betreten. Selten hat die Band so viel Experimentiergeist an den Tag gelegt wie auf “Damaged” und doch fügen sich die Neuerungen geschmeidig ins gewohnte Breitwand-Soundbild der Gruppe. Ohrenfällig sind die Ambient-Vignetten am Anfang und Ende der Stücke. Jeder Song hat seine eigene kleine Ouvertüre (es handelt sich schließlich um Wagner) und sein Finale, die gleichermaßen Einstimmung und Ausklang, Widerhall des jeweils letzten und Vorbereitung aufs nächste Thema sind. Dieses Album will nicht in Tracks zerlegt, sondern von vorn bis hinten gehört werden. Obwohl Lambchop in voller Besetzung antreten, klingen sie auf dem neuen Album weniger orchestral. Das neue Soundgewand erinnert punktuell an Tortoise. Das cineastische Moment der visuell eindrucksvollen Klangflächen hat Wagner allerdings von “Aw C’mon/No You C’mon” mitgenommen. Und für die Kurtification von Lambchop ist es eben symptomatisch, dass gerade in den traurigsten und ausweglosesten Momenten immer ein Schimmer von Hoffnung und Glück aufzieht.
Zu den Neuerungen auf “Damaged” gehören einige Modifikationen im Lambchop-Kader. Zum Beispiel die Ernennung eines Kronprinzen. Obwohl oder gerade weil “Damaged” vielleicht das persönlichste Album ist, das Wagner jemals gemacht hat, brauchte er ein kritisches Gegenüber, mit dem er die Songs austüftelt und vollendet. William Tyler, das jüngste Mitgleid von Lambchop, ist zwar schon seit “Nixon” bei der Band, doch kam ihm niemals eine derart zentrale Rolle zu wie hier. Tyler, der auch schon für Will Oldham, die Silver Jews und Lou Barlow gearbeitet hat, gehört zu den jungen Hoffnungsträgern der Nashville-Szene. Er ist mit verschiedensten Musikrichtungen aufgewachsen, bringt diverse Erfahrungen von Neo-Americana ein und hatte vor allem auf den Aufnahmeprozess großen Einfluss. Auch Ryan Norris und Scott Martin von dem Electronic-Duo Hands Off Cuba arbeiteten als separate Einheit an “Damaged” mit und gaben dem Album einen unaufdringlichen digitalen Layer mit auf den Weg, der der ganzen Platte in manchen Momenten eine düstere Ambient-Note verleiht. Als klanglichen Kontrapunkt zu den elektronischen Sounds heuerte Wagner einen texanischen String Arrangeur an, der aus dem breiten Fundus der NeoAvantgarde Szene, die es tatsächlich ausgerechnet in Austin, Texas gibt, ein Streicher Ensemble zusammenstellte, das sich an dem Klang und Stil des polnischen Dafo String Quartet orientierte, mit dem die Band die letzten (und auch die kommenden)Touren bestritt.
„Damaged“ ist beim besten Willen kein heiteres Album, und dennoch macht es Spaß, sich in den zehn Songs treiben, und von Lambchop entführen zu lassen. Es ist vielleicht die ambitionierteste, mit Sicherheit die komplexeste CD einer Band, deren Vielseitigkeit ohnehin nicht zu toppen ist. Eine Platte, die ähnlich funktioniert wie erstklassiger Rotwein. Braucht etwas zum Entwickeln, muß man sich evtl. sogar erarbeiten, dann aber ist der Genuß um so reichhaltiger Ein sanftes, funkelndes Meisterwerk, eine Schatztruhe, in der zu wühlen sich immer wieder lohnt, weil man bei jedem Durchgang neue Perlen zutage fördern wird. Vielleicht ist „Damaged“ auch die europäischste Platte einer der amerikanischsten Bands der Gegenwart. Nicht zuletzt ist „Damaged“ das leidenschaftliche Bekenntnis, dass das Leben nicht immer cool ist, und dass nur hoffen kann, wer auch zu leiden bereit ist.
Die Ambitionen aber gehen noch weiter. Die Tour zur Platte wird ein ganz besondere Genuss. Beschreibt Wagner:
„Well, the idea is to try to represent the different elements of the record in a way which creates an evening where it becomes sort of cumulative. So, these elements seem sort of strange at first, but then, as they start to interact together, it all makes sense in this record that we just finished. To present it live that way, it would be interesting, so the Hands Off Cuba guys will start off the evening, doing what they do, which is powerful, instrumental material. And then the Dafo String Quartet will then go on stage while probably the Hands Off Cuba guys will just hang out and watch them onstage. And when they’re finished, there will probably be some sort of transitional piece where Lambchop comes in and joins those two guys that are already seated onstage. At some point or another, I’ll end up being your classic MC, where I’ll have to go out and introduce the Dafos and introduce Hands Off Cuba, so that people understand the evening’s begun and that it is something that I’m, uhm, sponsoring.“
„The ambitious part in addition is to introduce some sort of visual element to our live thing. I mean, I’m a visual person and one of the things that I’ve always wanted to do, but I’ve been completely overwhelmed with other parts of performing live, is to introduce a live visual element. So it occured to me, as I’m really into films right now, the combination of music and films in a live context. We sort of experimented with that with the Sunrise film, you know, creating a live score for a film, and doing that H&I. I learned some things that I really liked about that, and I found that it can be an interesting way to present things. The challenge for us was, how do you do it that’s a little bit more unique, and I came up with this idea of projecting film on giant balls instead of a screen. It’ll appear more like planets in a planetarium or something like that. So, you’ll have this sort of dark space with these glowing balls that have moving images on them that move and change, and I think that will be an interesting visual element to what we do.“
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