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Texas, Tennessee, Lonesome Hobo – wir können auch anders: Lambchop wagen sich mit “Mr. M” in bislang unerforschte Gefilde und haben keine Angst vor einer Bruchlandung. Im motor.de-Interview erklärt Chefdenker Kurt Wagner, warum er die Zeit reif fand, sich nach zehn Studioalben dem Gefühl der Liebe hinzugeben.
(Foto: Michael Schmelling)
“Spaß gemacht hat es ohne Frage”, meint er belustigt und so stimmt es also doch, Zeiten ändern dich – oder: Warum Lambchop nicht mehr allein unterwegs sein wollen, sondern Melodien für all jene im Angebot haben, die längst wussten: Heart means everything – kurios ist das nämlich schon. Die Helden des Americana und der individuellen Einkehr versuchen sich plötzlich am Wir-Gefühl? Beschwören auf ihrem neuen Album “Mr. M” die Zweisamkeit und klingen nur noch zwischen den Zeilen melancholisch? Ganz richtig, vordergründig wirkt die Band fast zuversichtlich: “Songs zu schreiben ist immer eine Frage der Perspektive”, mahnt Frontmann Kurt Wagner zu Beginn des Interviews, “du musst dich dafür regelmäßig von gewissen Dingen frei machen, Licht in dunkle Räume lassen und darfst dich freuen, wenn das Ergebnis positiv ausfällt.”
Überzeugungsarbeit leisten – das stehe aktuell ganz oben auf seiner der To Do-Liste und man merkt dies schnell, denn etwas nervös rückt er während seiner Erklärung das Cappi zurecht, schaut konzentriert dem Gegenüber in die Augen und freut sich über jedes zustimmende Nicken. Lambchop haben allen Anschein nach aufgeräumt und den ganzen Schmock hinter sich gelassen: Vergessen werden darf indes nicht, dass der hier so optimistisch wirkende Bandchef vor einigen Jahren dem Tod ins Auge schauen musste, als die Ärzte eine Krebs-Bedrohung diagnostizierten und das 2006 veröffentlichte Lambchop-Album “Damaged” offensiv um Reflexionen aus dem beschädigten Leben bemüht war. Auskünfte über das genaue Krankheitsbild verweigerte Wagner zu jeder Zeit, hielt sich selbst nach überstandener Talsohle beim bislang letzten Album “Oh Ohio” (2008) streng bedeckt bezüglich Fragen zum Gesundheitszustand. Umso schöner, dass sich die Situation entspannt hat – glaubt man zumindest seinen Ausführungen zwischen den Zeilen.
motor.de: Man hörte im Vorfeld des neuen Werks “Mr. M”, dass die Platte eigentlich “Mr. Met” heißen sollte – warum kam es nicht dazu?
Kurt Wagner: Das ist richtig, eigentlich sollte sie diesen Namen tragen. Als Hommage an die New York Mets. Doch die Liga-Verantwortlichen schickten nach unserer Anfrage sofort ihre Anwälte los, die uns postwendend ein Verbot der Nutzung zukommen ließen. Wir durften nicht einmal das Maskottchen abbilden und so musste “Mr. M” mit diesem Verbot auskommen, welches schon ein wenig albern war.
motor.de: Immerhin seid ihr innerhalb der Band begeisterte Fans der Mets!
Kurt Wagner: (lacht) Ja klar, wir versuchen selbst auf Tour jedes Spiel zu verfolgen – dank der Zeitumstellung klappt das manchmal ganz gut. Aber egal, das sind so rechtliche Geschichten, die irgendwann irgendwer festgelegt hat und teilweise kann ich das verstehen: Lambchop hätten ja auch einen Schmähsong über das Team aufnehmen können.
motor.de: Was jedoch verwundert: Die Platte hat nicht viel mit Baseball zu tun, geht das Thema – wenn überhaupt – nur im übertragenen Sinne an.
Kurt Wagner: Man muss ja nicht immer alles 1 zu 1 aufgreifen. Die wirkliche Herausforderung liegt darin, Themen so vielschichtig zu verhandeln, dass sie sowohl erkennbar als auch anders interpretierbar sind – “Mr. M” lässt diesen Interpretationsraum für jeden offen, der die Platte hört.
motor.de: Zweierlei fällt auf – zum einen hat man das Gefühl, der 2009 verstorbene Vic Chesnutt geistert durch die Platte…
Kurt Wagner: Stimmt, der Tod von Vic war ein sehr trauriges Ereignis und rüttelte mich zugleich wach (überlegt). Ich erkannte, dass es noch viel zu entdecken gibt und dass das Leben Geheimnisse hat, die nur darauf warten, gelüftet zu werden. Klingt naiv, war aber so.
motor.de: …und anderseits vernimmt man das Wort Liebe auf “Mr. M” mehr als einmal. Eine Premiere in deiner Laufbahn mit Lambchop.
Kurt Wagner: Wenn du das so sagst, klingt es fast, als wäre es mein später Versuch, Songs über die Liebe zu schreiben und auf eine gewisse Art und Weise ist das auch so. Wobei “Mr. M” sich nicht nur auf Personen bezieht, sondern ebenfalls aus der Sicht der Leidenschaft verstanden werden darf. Ich liebe zum Beispiel das, was ich mit Lambchop seit nunmehr zehn Alben mache und wollte etwas Schönes zum Ausdruck bringen.
Lambchop – “Gone Tomorrow”
motor.de: Es gibt ja diesen Journalistenwitz, dass Lambchop alle drei Jahre dieselbe Platte aufnehmen, nur immer ein bisschen besser.
Kurt Wagner: (schaut überrascht) Das hat mir bislang noch keiner gesagt, aber ich lese auch wenig Beiträge in Magazinen oder so. Lambchop sind eine sehr traditionelle Band und ich vermute einfach mal, dass niemand eine elektronische Platte erwarten würde, wenn es heißt, da kommt ein neues Album. Was soll ich sagen, wir klangen schon in jungen Jahren, als würden wir unser Alterswerk vorbereiten.
motor.de: Empfindest du das so?
Kurt Wagner: Schon. Folk gehört zu der Musik, mit der ich aufgewachsen bin, Country ebenso und weswegen dann nicht den eigenen Interessen nachgehen? Klar, Bands wie AC/DC haben “Highway To Hell”, das Generations-übergreifend auf sämtlichen Partys läuft – aber ebenso musst du das als Band dann auch fortführen und mir würde es schwer fallen, heute noch die Rocksau auf der Bühne zu geben. Stattdessen ist uns erlaubt zu sitzen und niemand stört sich daran. Home Run Lambchop! (lacht)
motor.de: Inzwischen scheint die Band als Kollektiv loser Musiker ziemlich gefestigt – sind Lambchop im Jahre 2012 bei sich angekommen?
Kurt Wagner: Ich werde gerne als sehr pragmatischer Chef bezeichnet. Wenn auf einem Lambchop-Album Banjos drauf seinen sollen, dann müssen Banjospieler her und die sollten dann auch auf Tour mit dabei sein – so geschieht es ab und an, dass völlig neue Typen hinter uns stehen und die Leute im Publikum manchmal denken: Wer ist der denn schon wieder? Ein Freund von mir, der eben mal am Banjo aushilft – möchte ich dann immer antworten.
Lambchop – “If Not I’ll Just Die”
motor.de: Nachdem 2010 zwei Lambchop-Alben als Reissues (“Is A Woman” & “Nixon”) veröffentlicht wurden und es sich dabei um wegweisende Werke handelt, darf man fast behaupten, dass “Mr. M” nicht weit davon entfernt ist.
Kurt Wagner: Wirklich? Als Musiker kann man das schwer einschätzen, aber freut mich, denn auf Konzerten habe ich schon das Gefühl, dass die Leute Songs dieser Platten zu schätzen wissen. Somit haben wir auch eine Art “Highway To Hell”, wenn ich es mir recht überlege (lächelt). Aber mal im Ernst, das ist purer Zufall: Niemand aus den Reihen Lambchops hört privat die eigenen Alben, behaupte ich mal.
motor.de: 2007 gab es von dir auf Tour Soloaufnahmen zu kaufen – hast du je darüber nachgedacht, Lambchop pausieren zu lassen und es ernsthaft allein zu versuchen?
Kurt Wagner: Um mir dann anhören zu müssen: Kurt Wagner klingt solo wie Lambchop? Nein, lass mal gut sein, mein Songwriting kommt im Kreise meiner Band sehr gut zur Geltung. 2007 war das eher ein Versuch und nichts, was ich wirklich verfolgen will.
motor.de: Dein persönliches Fazit zu “Mr. M” fällt rundum positiv aus – richtig?
Kurt Wagner: Kritisieren müssen die Platte andere – denn obwohl ich das Wort Liebe jahrelang gemieden habe und recht gut alleine klarkomme, hat mir die Arbeit am Album gezeigt, wie wichtig mir die Gesellschaft anderer Menschen ist und wenn manchmal Anwälte dazwischen stänkern, muss man dies hinnehmen. Haben halt ihren eigenen Humor, die Herren im Anzug.
Marcus Willfroth
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