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Mit Cap und Hornbrille in die nächste Dekade

Lambchop wirbelten mit “OH (Ohio)” eine Menge Staub auf. Motor.de traf Mastermind Kurt Wagner und befragte ihn zur aktuellen Tour und seiner Meinung zum Rolling Stone-Release.

Kurt Wagner ist eine markante Erscheinung. Ohne Basecap und Hornbrille hat ihn wahrscheinlich noch keine Menschenseele zu Gesicht bekommen und seine mittlerweile ergrauten Kotletten erzählen von einem halben Jahrhundert Lebenserfahrung. Alle Jahre wieder lässt er seine Heimat Nashville in Tennessee zurück, um ein neues Album des Bandkollektivs Lambchop in die Welt zu tragen. “OH (Ohio)” heißt die neuste Sammlung ihres depressiv entrückten Countries, mit der sie gerade Europa betouren.

„Es läuft richtig gut. Ich würde sogar sagen es ist einer meiner schönsten Touren. Es macht einen Riesenspaß die Songs zu spielen. Und jede Show ist etwas Besonderes.“

Kurt Wagner ist bester Laune. Der Südstaaten-Mann ist so etwas wie der Lambchop-Vorsteher, der Songschreiber und die ewige Konstante in dem losen Bandgefüge. OH (Ohio) ist bereits das zehnte Album seit dem 94er Debüt. Eine, in der aktuelle Musikindustrie, fast ungewohnte Kontinuität, die Kurt Wagner in 14 Jahren Lambchop um den halben Erdball reisen ließ. Auf der aktuellen Tour heißt es Back-To-The-Roots statt Effekthascherei.

„Auf der letzten Tour zu “Damage” war alles etwas komplizierter. Wir projizierten Filme auf große Ballons, hatten Streichersätze mit dabei. Es war eher eine richtige Produktion. Und das war toll, weil ich so etwas schon immer machen wollte. Diese Tour ist auf das wesentlich reduziert. Sieben Leute stehen auf der Bühne und machen einfach Musik. Es ist eine andere Herangehensweise mit mehr Flexibilität und Platz für Improvisation, Spontaneität. Manchmal klappt es wunderbar und manchmal geht es eben gegen den Baum. Aber die Möglichkeit, dass es richtig gut wird, ist besser als wenn man immer das Gleiche spielt und macht.“

Wie die Tour so das Album. Kurt Wagner macht bei “OH (Ohio)” gleich alles anders. Das Album wurde als Beilage zum Rolling Stone veröffentlicht. Einfach so. Für ein paar Euro mehr als gewöhnlich klebte die zehnte Lambchop-Platte am Heft.

„Ich und das Label waren sehr überzeugt von “Ohio” und wollten, dass es so viele Leute wie möglich hören können. Wir dachten, allein die traditionellen Weg der Vergangenheit, wären nicht effektiv genug. Und so kam die Idee mit dem Rolling Stone. Vielleicht kauften die Leute das Magazin, um das Album danach wegzuschmeißen, ich weiß es nicht. Vielleicht hören sie mal rein und finden es gut. Aber für mich war das schon eine tolle Sache“.

Des einen Freud ist des anderen Leid. Die Betreiber der Plattenläden waren alles andere als begeistert und drohten auch den Lambchop-Backkatalog aus dem Programm zu nehmen. Ein Problem, dem Kurt Wagner eher entspannt gegenüber steht.

„Es geht gar nicht mehr so sehr um Eigentum. Bei mir zu Hause in Tennesse ist Musik allgegenwärtig und eher Teil anderer Medien geworden. So etwas wie eine Begleiterscheinung, zum Beispiel eines Films oder Videospiels. Natürlich machen wir auf diese Weise kein Geld mit dem Album und wir könnten es gut gebrauchen (lacht). Aber ehrlich gesagt ist das auch nicht der Grund warum ich anfing, Musik zu machen. Klar ist es toll, dass ich davon leben kann und vielleicht wird es nicht mehr so sein, wenn die Leute komplett aufhören, Platten zu kaufen. Ich weiß es nicht. Aber auch wenn es so kommen sollte, wird es mich nicht davon abhalten, weiter Musik zu machen.“

Ob die Welt noch weitere Alben von Kurt Wagner zu hören bekommt, stand 2006 in den Sternen. Eine schwere Erkrankung machte die Zukunft des bekennenden Ketterauchers ungewiss. Die harte Zeit verarbeitete er zu dem “OH (Ohio)” Vorgänger „Damaged“. Mittlerweile denkt Christof Ellinghaus, Cityslang-Chef und Freund Wagners, in Bezug auf Lambchop weit voraus. Er meint: „In Bezug auf Lambchop rechne ich nicht in Alben, sondern in Dekaden.“ Kurt Wagner selbst muss laut lachen, als er das hört.

„Wenn du mich fragst, wie lange ich noch Musik machen werde, dann könntest du mich genauso fragen, wie lange ich noch essen und trinken werde. Musik ist für mich eine Sache, die ich nicht mache, weil ich sie plane. Ich tue es einfach und hoffe, dass ich das auch noch einige Jahre tun kann. Ob es Dekaden werden…Ich hoffe doch (lacht).“

Text: Florian Sievers
Fotos: Stephan Klingebiel

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