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Die ganz großen Shows, der Reiz des Verbotenen und sogar ein bisschen Tanzen – die DJ-Szene zwischen Megagagen und geheimen Wiesenraves.
(Foto: Bertram Fohrn/pixelio.de)
“Liegen Millionen Fans daneben?”, so fragte unlängst der Musikexpress seine Leser auf dem Cover zum “DJ-Phänomen Skrillex“. Was zweifelsohne als rhetorische Frage gelten muss, weil Fans immer Recht haben, wenn es um Popmusik geht, zumindest aus ihrer Sicht. Und sowieso aus der von Skrillex selbst, dem derzeit meistgehypten DJ der Welt, dessen gnadenlos überzüchteter “Brostep” – die Trendbezeichnung für das Party-taugliche Amalgam aus Dubstep-Bassanleihen und Proll-Rave-Appeal – Feingeistern allerdings ebenso widerwärtig ist, wie jenen, die sich gern als “Underground” begreifen oder auf “Authentizität” pochen. Was dem Erfolg natürlich keinen Abbruch tut und Skrillex im letzten Jahr ein Einkommen von 15 Millionen Dollar beschert haben soll. Damit ist er der zweitbestbezahlte DJ der Welt, noch vor den üblichen Verdächtigen David Guetta oder Swedish House Mafia. Nur der Niederländer Tiësto liegt mit 22 Millionen noch darüber, der – und das ist dann doch eine beeindruckende Summe – auch mal eine Viertelmillion Dollar pro Nacht kosten kann. Das zumindest vermeldete das amerikanische Wirtschaftsblatt Forbes.
Dass DJs nicht eben schlecht verdienen, gehört seit den Anfangstagen der Clubkultur, wie wir sie heute kennen, also seit gut zwanzig Jahren, zum grundlegenden Mythenkanon der Popkultur. Im DJ-Jetset zwischen Ibiza, New York und Tokio ist das Gagen- und Reisenbudget seit jeher üppig bemessen, auch im normal renommierten Club wird ein anderes Kalkulationslevel gefahren als in vergleichbaren Größenordnungen der Bandszene. Herausgebildet hat sich dabei ein Kreis von DJs, die quer durch Europa oder die Welt gebucht werden und an jedem Wochenende im Flieger sitzen. Es ist – da gleichen sich die Szenen dann wieder – nur ein Bruchteil, den dieses Los trifft. Darüber, wer von ihnen es denn auch verdient hat, streitet man sich gern und herzhaft – allerdings ohne das Publikum, das seine Entscheidung ja bekanntlich an der Kasse fällt und die Stars somit überhaupt erst bestimmt. Einigermaßen neu ist, dass Top-DJs immer mehr im angestammten “Live”-Business agieren.
Es ist noch gar nicht so lange her, als es als ernstes Problem angesehen wurde, elektronische Musik auch einem Konzertpublikum zu präsentieren, außerhalb des klassischen Clubs, in dem – theoretisch – ja vorwiegend getanzt, weniger geschaut wurde. Die Aufführung eigener Produktionen im Live-Club zählte angesichts statischer Laptop-Frickelei oder “Knöpfchendrehens” per se nicht zu den wirklich aufregenden Konzerterlebnissen. Die Folge war ein bis heute spürbarer Trend zur “echten” Band – was sicher auch mit dem generell spürbar zunehmenden Drang der Electronica-Produzenten zu instrumentalem Klangbild zu tun hat, vor allem aber auch etwas Personal und Action auf der Bühne bedeutet. In der Massenliga wird dieser Trend allerdings vollends konterkariert. Gerade der Alleinvertretungsanspruch des “DJ” – sei es klassisch mit Vinyl, als Laptop-Turntable-Hybrid oder gleich reiner Software-Künstler – macht hier den Reiz aus, der das Publikum zu Leuten wie Skrillex, Fatboy Slim oder – runtergerechnet auf deutsche Verhältnisse – Paul Kalkbrenner zieht. Auf eine Live-Anmutung können diese Auftritte verzichten, als optischen Ausgleich gibt es mehr Licht, mehr Feuer, mehr Video und einen großgestigen DJ, der mehr oder weniger simuliert, was im Club alltägliches Handwerkszeug ist. Bis hin zur grotesken Eigenparodie des Platten-über-den-Kopf-Schwenkens und “Guude-Laune”-Moderierens, wie es ein Sven Väth perfektioniert hat (und immer noch betreibt).
Paul Kalkbrenner – “A Live Documentary, Altes Kamuffel/Berlin”
Dass derlei Alleinunterhaltung funktioniert, ist nicht nur für die DJs selbst eine gute Nachricht, sondern vor allem auch für deren jeweilige Veranstalter. Deutlich einfacher kalkulierbar sind solche Events, obendrein besser planbar und logistisch umzusetzen. Und überhaupt: Warum eigentlich einen ganzen Rave mit vielleicht Dutzenden DJs organisieren, wenn man für einen Bruchteil des Aufwandes und einem einzigen Künstler und etwas Brimborium drumherum die gleiche Menge Leute anziehen kann. Damit rechnen sich dann auch die Mordsgagen für den Einzel-Act. Im Mainstream-Konzertbetrieb sind diese Produzenten-DJs also längst angekommen, selbstverständlich misstrauisch verachtet von der “echten” Szene, die gerade wieder die Anarchie für sich entdeckt.
In jeder halbwegs großen Stadt finden sie permanent statt: illegale Raves, verbreitet per Mundpropaganda und Facebook, nicht wirklich geheim, wenn man weiß, wo man nachschauen oder welche Gruppennews man abonnieren muss. Es ist – das wissen viele der Aktivisten tatsächlich nicht – die zweite große Welle, nachdem in den frühen Neunzigern gerade im Osten verlassenes Fabrik-Ödland, Abrisshaus-Keller oder Brücken als temporäre Orte für Technopartys annektiert wurden. Die Jetztgeneration mag es allerdings etwas weniger Industrie-rustikal, sie bevorzugt Naherholungsgebiete, Parks oder Strände für’s hedonistische Tanztreiben. Der Erfolg ist oftmals enorm, wer gut vernetzt ist und ein Händchen für Location und angesagte Soundfarbe hat, kann schnell Hunderte aktivieren, die sich die Samstagnacht und den halben Sonntag auf der Wiese beschallen lassen. Einnahmen erzielt der Getränkeumsatz. Lästige Auflagen durch Ämter, Kosten durch eine permanent instand zu haltende Infrastruktur oder gar – da braucht man sich wohl nichts vorzumachen – GEMA und Steuern fallen weg. Gut möglich, dass am Ende also noch ein gutes Stück Gewinn übrig bleibt – sicher auch ein Grund für die ständig wachsende Zahl an Veranstaltungen und die damit auch größere Konkurrenz.
Ganz besonders argwöhnisch wird diese Entwicklung denn auch von jenen beobachtet, die auf das gleiche Publikum spekulieren: die Clubs. Die haben nämlich all die anderen unerfreulichen Dinge am Hals: Toiletten schrubben, sich mit dem Brandschutz rumärgern, GEMA-Abrechnungen machen – während die Zielgruppe es vielleicht vorzieht, auf der Wiese zu tanzen, statt im regulären Laden. So zehrt, was früher zur Herausbildung einer Infrastruktur überhaupt erst maßgeblich beigetragen hat, jetzt an deren Substanz. Von Auseinandersetzungen zwischen den Etablierten und den Neuen wird man in Zukunft sicher öfter hören. So, wie in Halle. Die Stadt an der Saale ist zu klein, um sich in der Szene nicht in die Quere zu kommen – jetzt wurde vom Ordnungsamt eine harte Linie mit potenziell hohen Strafen gegen illegale Veranstaltungen angekündigt. Man spekuliert in der Diskussion zum Thema offen, es hätte dazu den einen oder anderen Tipp von Clubbetreibern gegeben.
Jörg Augsburg
(Foto: Warner Music Group)
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