Ein Tag im August: Eben habe ich mit Russel Simmins, Judah Bauer und Jon Spencer gesprochen. Die heißen jetzt nur noch Blues Explosion. Ohne ‘The Jon Spencer’. Das Gespräch hat mich etwas ratlos zurückgelassen. Ich bin verärgert. Die Jungs ziehen ihre ‘kings of cool’-Nummer auf meine Kosten ab, antworten gar nicht, von oben herab oder nicht auf das, was ich gefragt habe. Der Kollege, mit dem ich für das Interview zusammen gelegt wurde, geht nach zehn Minuten. Ich bleibe.

In der Vergangenheit habt ihr meist ein dominierendes musikalisches Thema für ein Album gewählt. Auf dem neuen Werk “Damage” jedoch findet sich mit Blues, Soul, DJ-Sounds und sogar HipHop euer gesamtes Klangspektrum auf einer Platte vereint, so dass das Album mitunter fast wie ein Sampler klingt…

Jon: Keine Ahnung, was du meinst.
Judah: Blättert in einem herumliegenden Magazin.
Russel: Gähnt.

Gut, das war also nichts. Themawechsel:
Setzt ihr euch textlich mit aktuellen, politischen Geschehnissen auseinander?

Jon: Ja.

Kannst du konkreter werden?

Jon: Nein, ich überlasse es dir, deine eigene Interpretation zu finden.

Seht ihr euch denn als politische Band?

Jon: Keineswegs. Für mich, der ich die Lyrics schreibe, sind politische Erwägungen schon wichtig. Aber wir sind deshalb keine politische Band.

Also nehmt ihr keinen Bezug auf die bald stattfindenden Wahlen?

Jon: (Lacht, schüttelt den Kopf.) Nein.

Und so geht das dann weiter: Als hätten sie es geprobt, spielt Bauer den unverschämt grinsenden Totalverweigerer, Spencer den obercoolen, über allem und jedem stehenden Snob und Simmins ist der zwar tendenziell gelangweilte, aber wenigstens ansatzweise um Vermittlung bemühte Diplomat.

Danach: Hier draußen, auf der Terrasse ist es ein wunderschöner Sommertag. Ich schlendere zwischen den Tischen umher und frage die Kollegen: “Und, wie ist es bei dir gelaufen?”. “Schlimm, ich stelle die erste Frage, Spencer fragt meinen Partner, ob er eine substanziellere auf Lager hätte.” Erleichterung. Es lag also nicht an meinen Fragen, den anderen ging es keinen Deut besser. Grübelnd gehe ich rüber zu Erik. Wir machen noch Fotos. Spencer und Judah Bauer haben für das Shooting ihre All-Stars gegen Motorradstiefel ausgetauscht. Simmins lässt noch auf sich warten. Während Bauer seine Frise im Schaufenster checkt, fragt mich Jon, ob ich die Vorband des heutigen Abends kenne. Ich traue meinen Augen und Ohren nicht. Vor mir steht ein eloquenter, redefreudiger Jon Spencer, der mir in den nächsten zehn Minuten erzählt, dass es wohl keine Boss Hog-Platte mehr geben wird. Dass ihn mittlerweile der New Yorker Lärm sehr stört, er die Stadt aber immer noch liebt. Wir reden über Karen O von den YeahYeahYeahs. Jon meint, dass die gemeinsame Tour mit der Blues Explosion für Karen die Hölle war: “Talent alleine reicht nicht aus, du musst für dieses Leben geschaffen sein. Es ist etwas völlig anderes, ob du zu Hause zweimal im Monat vor deinen Freunden spielst oder dich monatelang in fremden Städten vor Wildfremden beweisen musst. Karen hatte große Probleme, sich an das Leben auf der Straße zu gewöhnen. Es wird sich erst noch herausstellen, ob sie dauerhaft damit klar kommt.” Etwas ähnliches hatte Sie auch mir erzählt, als ich sie vor einiger Zeit kurz nach ihrem Nervenzusammenbruch interviewte. Das wirklich überraschende für mich ist die wundersame Wandlung Spencers. Später erzählt mir der Promoter der Plattenfirma, dass das mit den Jungs immer so sei. Die drei sind die nettesten Menschen der Welt – bis es zum Interview geht. Sowas nennt man wohl ‘Imagepflege’. Alles relativiert sich. Ich kenne die Vorband übrigens nicht.

Später kommen Lars und Jens, wir wollen mit der Blues Explosion rocken. Für Lars ist es der erste Tag seit vielen Wochen, der etwas Ablenkung bringt. Seine Freundin Anja hatte eine Frühgeburt, das Kind liegt auf der Intensivstation. Seit Wochen bangen wir nun alle mit dem kleinen Samson. Lars erzählt mir, wie sie bei ihren täglichen Besuchen im Krankenhaus jeden noch so kleinen Fortschritt feiern. Habe ich mich eben über ein verpatztes Interview geärgert? Mir ist zum Heulen zumute, diesmal aus den richtigen Gründen. Die Haltung, mit der Lars und Anja mit dem Problem umgehen, macht mich sprachlos. Was für eine Kraft.

Die Blues Explosion live ist unbeschreiblich, wie immer. Diese Jungs haben den Rock’n’Roll verstanden. ‘Fed Up And Low Down’ ist mein Favorit vom neuen Album ‘Damage’. Der Song ist ein explosiver Clash zwischen der rauhen Garagen-Punk-Urgewalt der Blues Explosion und DJ-Shadow an den Turntables. Dazwischen kreischt ein irres Saxophon. Die perfekte Vermählung von Rock und DJ-Kultur. Aber live? Das Ding funktioniert auch ohne Shadow. So wie hier eigentlich alles funktioniert. Mit zwei Gitarren und ohne Bass. Wahnsinn. Wir fragen uns nur, wer die Idee hatte, das Konzert im Palais der Berliner Kulturbrauerei stattfinden zu lassen. Eine üble Yuppie-Location mit verspiegelten Wänden und Stehtischen. Man will so eine Show natürlich lieber in einem verranzten Keller in Harlem sehen. Jon Spencer ficht das nicht an. Der Enddreißiger ist schon wieder auf den Knien. Was für eine Kraft.

Einige Tage später: Jetzt, beim Abhören des Interviews, fallen mir die vielen Steilvorlagen auf. Vielleicht wäre es besser gewesen, die Verweigerungshaltung der Band zum Thema zu machen. Die besten Ideen kommen sowieso immer später. Mann, die waren zu dritt! Eben habe ich mit Lars telefoniert. Der hat vor einigen Tagen die Korken knallen lassen. Der kleine Samson wiegt nun über 1.000 Gramm und hat das Gröbste wohl hinter sich. Ich suche eine alte James Brown-Single raus: ‘Make It Funky, Part 1 & 2’. Auf dem Cover sitzt ein Mädchen mit hautenger Star Spangled Banner-Hose auf einer Harley. Ein schönes Geschenk, auch wenn es weh tut. Morgen gehe ich zu Lars, wir feiern Geburtstag. Den der Eltern, sie haben beide in der selben Woche und sich eine kleine Party verdient. Vielleicht legen wir Jon Spencer auf.

Text: Torsten Groß