„Es klingt tatsächlich nach The Lemonheads. Vielleicht sogar noch einen Tick besser.“ Evan Dando will bezüglich der neusten Reinkarnation seiner legendären Punkpop-Band, die er ursprünglich bereits vor zwanzig Jahren gründete, noch nicht allzu viel verraten. Was jedoch feststeht: In Kürze wird seine Band ihr insgesamt achtes Album auf die unwissende und wehrlose Menschheit loslassen. Doch wie genau verhält es sich, wenn man das kommende Album – übrigens das erste Lemonheads-Album auf Vagrant Records – mit Dandos wiederholt in den höchsten Tönen gelobten Soloprojekten der vergangen Jahre vergleicht? „Lauter, schneller, eher wie diejenige Art von Punkpop, die man von den Buzzcocks kennt. Und der Sound ist bei Weitem nicht so introvertiert!“
Die Geschehnisse der letzten Zeit lassen sich in der Tat treffend mit dem klassischen „Back To The Roots“-Ausdruck beschreiben: Bei Vagrant gelandet, versammelte Dando zwei seiner großen Idole um sich – ein knallhartes Duo, bestehend aus dem Schlagzeuger Bill Stevenson (Descendents, Black Flag) und dem Bassisten Karl Alvarez (Descendents) – und verzog sich mit ihnen zunächst in die Rocky Mountains. Im musikalischen Niemandsland machten sie sich im Lauf der nächsten anderthalb Jahre daran, das erste Lemonheads-Album nach einer zehnjährigen Pause zu schreiben und aufzunehmen. Fragt man Dando, übrigens noch immer Gitarrist, Sänger und Songschreiber der Reinkarnationstruppe, zu seinem Verhältnis mit Stevenson und Alvarez, berichtet er folgendes: „Ich wollte mal wieder eine verdammt laute Platte machen, und die beiden sind genau diejenigen Jungs, mit denen man so etwas auf die Beine stellen kann.“
Als „die Jungs“ sich also gefunden hatten, flog sofort der nötige Schalter um und es konnte losgehen: „Zunächst begaben wir uns klanglich in Richtung The Jam, in Richtung Buzzcocks“, berichtet Dando und zeigt währenddessen auf die grünen Parkas und die unfassbar schmalen Krawatten an der Studiowand. „Außerdem wird man auf dem Album auch eine Reihe von Songs hören, die fast schon wie Psychedelic-Country klingen“, erklärt er weiter, während er sich das überdimensionale Revers zurechtrückt. „Und doch stehen diese ganzen Einschläge noch immer ganz klar in der Tradition der Lemonheads!“
Dando und Stevenson haben das kommende Album gemeinsam co-produziert, und Stevenson war bei drei der elf Songs auch am Songwriting-Prozess beteiligt. Tom Morgan, ein alter Bekannter von Dandos Alben, half zudem mit zwei weiteren Song-Ideen aus. Und wie schon auf den vergangenen Lemonheads-Alben, kommen natürlich auch Instrumentalgastspiele auf dieser Platte nicht zu kurz: Auf den Songs tummeln sich u.a. das Bass-Wunderkind Josh Lattanzi („Poughkeepsie“, „Rule of Three“, „In Passing“), der erklärte Rockgigant Garth Hudson von The Band („Black Gown“ und „December“) und sogar ein J. Mascis von Dinosaur Jr. („No Backbone“, „Steve’s Boy“), der sich vollends an der Gitarre gehen lässt.
Evan Griffith Dando gründete The Lemonheads gemeinsam mit zwei High-School-Freunden im Winter des Jahres 1986 an der kleinen Commonwealth School in Boston. Schon wenige Monate später brachte die Band eines der begehrtesten Punk-Relikte der Achtziger hervor: die Indie-EP „Laughing All the Way to the Cleaners“. Das Bostoner Label Taang! Records wurde natürlich sofort hellhörig und veröffentlichte mit den Alben „Hate Your Friends“ (1987), „Creator“ (1988) und „Lick“ (1989) gleich einen ganzen Hattrick von Collegeradio-Favoriten. 1990 bemerkte dann auch Atlantic Records die gleichermaßen in Europa (sie hatten 1989 eine große Europatour absolviert) und den Staaten unglaublich schnell wachsende Fangemeinde von The Lemonheads. Ein neuer Vertrag wurde aufgesetzt, und ihre vierte LP „Lovey“ kam nicht nur in Cambridge, Massachusetts, gut an.
Doch schon damals war das Line-Up von The Lemonheads alles andere als beständig: In nur fünf Jahren gab es über ein Dutzend verschiedener Bandbesetzungen, es war ein ständiges Kommen und Gehen, und nur Dando war der musikalische Fels in der Personal-Brandung. Das ganze Chaos ging soweit, dass sich ein gewisser Drummer, nachdem er erst eine Woche zuvor aus der Band geflogen war, nach besagten sieben Tagen schon wieder auf eine Anzeige der Band meldete, um als möglicher Nachfolgedrummer einzusteigen. Selbst vorsichtige Schätzungen lassen auf mindestens zehn Bassisten und über ein Dutzend Schlagzeuger schließen, die im Laufe der Jahre ein kurzes Gastspiel an der Seite von Dando absolvierten.
Aus diesem Gründungschaos sollte sich jedoch schon bald ein unglaublicher Höhenflug für The Lemonheads entwickeln: Eine Tour im Jahr 1991 brachte Evan nach Australien, wo er zufällig auf den Songschreiber Tom Morgan traf. Auch den zukünftigen Bassisten der Band, Nic Dalton, sammelte er auf diesem Abstecher ein. Diejenige Magie, die in dieser Konstellation entstand, war letztlich die Erfolgsgarantie für „It’s A Shame About Ray“ (1992), ihre zweite Platte für Atlantic, die mit nur knapp unter einen halben Stunde Spielzeit klarstellt, wie perfekt konzentrierter Pop zu klingen hat. Mit Songs wie „Confetti“, „My Drug Buddy“, „Rudderless“ und „Ceiling Fan in My Spoon“ traf Dando den Nagel einer gänzlich anderen Zuhörerschaft auf den Kopf: „Sie werden immer jünger“, gestand er damals der Sängerin Kathie Lee Gifford.
Zu diesem Zeitpunkt ging auch der Medienrummel um The Lemonheads so richtig los – beispielsweise wurde lange Zeit darüber spekuliert, wie es zwischen Dando und seiner alten Freundin Juliana Hatfield, die für das „Ray“-Album auch gesungen und Bass gespielt hatte, wirklich stand. Natürlich tat es nicht wirklich weh, als das People-Magazin Evan im Jahr 1993 mit einer Seite bedachte und ihn derweil zu einem der „Fünfzig Schönsten Menschen der Welt“ erklärte. Evan erfuhr von der überraschenden Ehre, als er gerade in Neuseeland war und seinen 26. Geburtstag feierte. Eine Mitarbeiterin des Magazins rief ihn an, um ihm mitzuteilen, dass er nun zu den „fünfzig `dishiest´ [hübschesten] Menschen überhaupt“ gehört, und Dando erinnert sich noch genau: „Ich hatte `busiest´ [umtriebigsten] verstanden, also sagte ich, `Stimmt schon!´ Ich war ja auch busy, so viel wie ich damals in der Welt unterwegs war!“
Atlantic veröffentlichte den erfolgreichen Nachfolger „Come on Feel the Lemonheads“ im Oktober 1993. Neben einem wahren Chart-Smash-Hit („Into your Arms“) brachte Dando mit diesem Album auch eine Reihe von Lemonheads-Klassikern hervor: u.a. „Great Big No“, „Down About It“, „Being Around“ und „You Can Take it with You“. Im darauffolgenden Winter war Evan Dando dann sogar bei den Leuten im Wohnzimmer anzutreffen, denn er wurde u.a. in die Late-Night-Shows von Letterman und Leno eingeladen. Was an diesem Punkt wohl unausweichlich war: Der 20-jährige Jeff Fox aus Warrington, Pennsylvania, veröffentlichte in besagtem Winter auch die erste Ausgabe seines Miesmacher-Magazins namens „Die Evan Dando, Die“.
Weiter ging es mit einem brutalen Tourneeplan, der The Lemonheads mehrfach um die ganze Welt führte. Unterwegs ließ Dando sich nicht entgehen, das eine oder andere Interview zu geben – und siehe da: die oftmals nach Schwachstellen Ausschau haltende Presse suchte in diesem Fall vergeblich. Nunmehr mit den Bostoner Freunden John Strohm (Gitarre) und Murph (Schlagzeug) besetzt, schafften es The Lemonheads mit dem trotzigen „Car Button Cloth“-Album (1996) die Latte noch ein Stück höher zu legen. Songs wie „It’s All True“, „If I Could Talk I’d Tell You“ und „Tenderfoot“ zählen bis heute zu ihren eindrucksvollsten Melodic-Punkpop-Stücken. Nachdem sie das Album jedoch das ganze Jahr promotet hatten, verkündete Dando beim 1997er Reading-Festival die Auflösung der Band. Atlantic veröffentlichte 1998 dann noch ein „Best Of“-Album von The Lemonheads, und eigentlich dachten alle, dass die Geschichte hiermit ein Ende habe.
„Ich hatte mich einfach nur dazu entschlossen, für eine Weile unterzutauchen“, erklärt Dando im Nachhinein seinen zwischenzeitlichen Rückzug aus der Musikszene. „Ich konnte an dem Punkt einfach nicht mehr weitermachen. Erst ein Jahr später, 1998, als ich meine Frau kennen gelernt hatte, da verspürte ich wieder das alte Gefühl. Plötzlich hatte ich wieder Lust auf Musik.“ Die Frau, auf die Dando anspielt, ist Elizabeth Moses, eine in Newcastle geborene Musikerin und Supermodel. Nach ihrer Hochzeit im Jahr 2000 erwachte in Dando schließlich das alte Feuer komplett: 2001 veröffentlichte er das Live-Album „Live at the Brattle Theater/Griffith Sunset“, und 2003 legte er das erfolgreiche Soloalbum „Baby I’m Bored“ nach.
Ein weiteres Jahr später konnte man Evan Dando dann sogar als Ersatzfrontmann der wiedervereinigten MC5, der schroffsten amerikanischen Rockband der 1960er, erleben, als er sie auf einer ausgiebigen Tour (41 Auftritte!) durch die Staaten begleitete. Kaum zu übersehen (und überhören!) war Dando schließlich auch, als er die vergangenen anderthalb Jahre dazu nutzte, in den unterschiedlichsten Konstellationen durch Nordamerika und Europa zu touren: Am Bass war entweder Juliana Hatfield oder Josh Lattanzi dabei, zu den Schlagzeugern zählten Größen wie Bill Stevenson, Chris Brokaw (von der Band COME) oder George Berz von Dinosaur Jr. Manchmal allerdings konnte man ihn auch alleine bestaunen; als elektrifizierte Einmannshow der chaotischsten Sorte! Unvergessen sind dabei sicherlich die beiden Londoner Auftritte von Dando, Stevenson und Lattanzi. Während der beiden sofort ausverkauften Shows im Rahmen der „Don’t Look Back“-Konzertreihe spielte das Trio sogar das komplette „It’s A Shame About Ray“-Album an einem Stück!
Abschließend noch ein paar Worte zum neuen Album, „The Lemonheads“, das auf Vagrant Records erscheint. Man kann sich das Album gewissermaßen wie ein „Best of The Lemonheads Volume II“-Album vorstellen, mit dem Unterschied, das die auf „The Lemonheads“ vertretenen Songs aus einer Hochphase der Band stammen, von der bisher noch gar keiner wusste! Und dann müsste man noch hinzufügen, dass die Songs noch einen Tick lauter und selbstverständlich auch einen Tick schneller sind. „Um sich vorstellen zu können, in welche Richtung wir mit diesem Album gegangen sind, sollte man sich am besten einfach das `Milo Goes To College´-Album von den Descendents [1982] anhören“, berichtet Evan über den Sound seiner neu gegründeten (alten) Band. „Schließlich wollte ich eine Rockplatte machen. Ein melodisches Rockalbum.“ Doch insgeheim: „Mir geht es einfach auf die Eier, immer nur Solo-T-Shirts zu verkaufen.“
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