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“Keine Ahnung, wo wir gestern Nacht noch waren” – Angus Andrew von Liars im motor.de-Interview

Angus Andrew, Sänger der Liars, ist vielleicht einer der letzten echten Rockstars. Für den Schreibprozess der neuen Platte “WIXIW” hat er sich mit seinem Bandkollegen Aaron für einige Wochen komplett von der Außenwelt abgeschnitten.

Angus nimmt Platz, zündet sich eine Zigarette an und fühlt sich wohl. Denn hier in Berlin, wo er die Zeitungen und Werbeplakate sowieso nicht versteht, kann er entspannen. Und sich auf das konzentrieren, was er wirklich will. Der neue Langspieler der Liars “WIXIW” (sprich: Wish You) ist düsterer und elektronischer als alles, was die Band zuvor gemacht hat. Der Einfluss der Metropole Los Angeles war zunehmend unwichtiger geworden. Vielmehr empfanden Liars alle äußeren Einflüsse als Ablenkung und versuchten diese nun zu vermeiden.

Das gewagte Experiment fand tief im dunklen Wald in einer einsamen Blockhütte statt. Angus Andrew (Gesang/Gitarre) und Aaron Hemphill (Gitarre/Synths), die sonst nur sperat voneinander arbeiten, ließen sich einschneien und die Ablenkung der Großstadt für einen einzigartigen Moment hinter sich. Nach dem Auftritt im Roten Salon und einer durchzechten Nacht durch die kultigen Bars von Berlin Mitte, sitzt Angus Andrew auf einer ruhigen Terrasse, nicht weit vom Rosenthaler Platz.

Mit Klick aufs Cover zum Albumstream: Liars – “WIXIW”

motor.de: Dein Manager hat erzählt, dass ihr gestern im Odessa wart. Die Bar muss ja mindestens aus den frühen 90ern sein.

Angus: Ach tatsächlich? Keine Ahnung, wo wir waren. Ich weiß nur, dass ich mit ein paar alten Freunden rumgezogen bin.

motor.de: Wann hast du deine Berliner das letzte Mal getroffen?

Angus: Vermutlich auf der “Sisterworld”-Tour vor zwei Jahren. Aber ich habe vier Jahre in Berlin gelebt. Unglaublich eigentlich.

motor.de: Warum so lange?

Angus: In Berlin habe ich mich isoliert gefühlt. Das hat meiner Arbeit sehr gut getan hat, weil ich so weniger um die Ohren hatte. In Amerika fühle ich mich die ganze Zeit bombardiert, von Medien, News und anderer Musik. In Berlin gab es das nicht. Es war, wie in einer Blockhütte im Wald zu leben. Nur, dass du mehr als die verdammten Bäume um dich herum hast.

motor.de: In so einer Blockhütte habt ihr das aktuelle Album “WIXIW” geschrieben.

Angus: Das war unser Versuch einen Ort zu finden, wo du einfach tun kannst, was du möchtest. Und dich nicht die ganze Zeit von anderen Dingen ablenken lässt. Früher fanden wir es immer interessant, den Einfluss von Los Angeles auf unsere Musik zuzulassen. Dieses Mal wollten wir alles abschalten.

motor.de: Bist du oft in den Wald gegangen?

Angus: Ja, es hat geschneit. Aaron und ich mussten Feuerholz sammeln. Die Hütte war sehr klein, womit wir zu einem weiteren Vorteil kommen: erst in dieser Blockhütte waren wir beide gezwungen, wirklich miteinander zu arbeiten. Und nicht nur jeder für sich allein. Es war unmöglich an etwas zu arbeiten, ohne dass die andere Person davon etwas mitkriegen würde. Die ganze Situation war schon sehr merkwürdig. Jeden Abend mussten wir gemeinsam irgendwelche Eintöpfe vom Holzofen essen.

motor.de: War diese plötzliche Nähe zueinander nicht irgendwie befremdlich?

Angus: Klar, es war die ganze Zeit wie in diesem Film “The Shining”. Als wir dort angekommen sind, war mein erster Gedanke einfach nur: “Verfluchte Scheiße, hier gibt es nicht mal ein Telefon!” Es gab überhaupt keine Verbindung zur Außenwelt. Mir hat das gut gefallen, nur Aaron ist die meiste Zeit total ausgerastet und sogar manchmal für ein paar Tage zurück nach L.A. geflohen.

motor.de: Gab es eine Situation, die besonders gruselig war?

Angus: Unser Drummer Julian kam uns von Zeit zu Zeit besuchen, um zu kontrollieren, ob wir in Ordnung sind. Eines Tages kam er einfach nicht, was ungewöhnlich für den Typen ist. Es verging eine ganze Woche und wir hatten höllische Angst, ihm sei auf dem Weg zu uns etwas zugestoßen. Erst als wir herausfanden, dass sämtliche Wege zugeschneit waren und es absolut keine Chance gab, dass uns jemand besuchen würde oder wir irgendwohin fahren könnten, fanden wir wieder Ruhe.

motor.de: Für die Aufnahmen seid ihr dann aber beide zurück gefahren. War das nicht ein paradoxes Unternehmen — das absolut unberührte Material aus dem Wald in die schnelle Metropole L.A. zu schleppen?

Angus: Ehrlich gesagt sehe ich da keinen Unterschied. Du musst dir die Situation folgendermaßen vorstellen: unser Studio war kein Studio im engeren Sinne. Wir waren auf eine riesige, leerstehende Lagerhalle in der Vorstadt von L.A. gestoßen. Und diese stellte eine genauso große Isolation dar, wie die Blockhütte zuvor im Wald. Kein Fernseher, kein Radio, noch nicht einmal Fenster. Bist du erst einmal da drinnen, kommst du auch nicht so schnell wieder ins echte Leben zurück — besonders gedanklich.

Interview: Josa Valentin Mania-Schlegel



(Foto: Zen Sekizawa)

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