Freiheit, das Leben im Hier und Jetzt und doch die Gabe, Kultur nicht nur zu machen, sondern gleichsam zu reflektieren. Patrick Föllmer ist Multiinstrumentalist, Reieseleiter vom Lilabungalow und Spaßgarant bei Klinke Auf Cinch. Wir haben mit dem Erfurter über seine Projekte, das Netzwerk Analogsoul und Transparenz im Musikbusiness gesprochen!

(Fotos: Christian Seeling)

Patrick Föllmer präsentiert sich selbst im Interview mit seinem “Superman-Cape”, wie er seinen zwischen marine- und azurblauen Anzug nennt. Es hat Stil, wirkt professionell und gepflegt, kann sich sehen lassen. Das Aussehen spielt aber auch hier nur eine untergeordnete Rolle, das Dahinter ist es doch wie immer das Interessante. “Bis eine Viertelstunde vor dem Aufritt bin ich kein Artist, sondern Mädchen für alles. Ich gehe alle Weg ab, vom Bändchen über das Catering bis hin zum Ton- und Lichtmann”, sagt er mitten im Gespräch. Keine Frage, der Dude ist auf dem Boden geblieben. Meine Mutter hätte gesagt, der Patrick, das ist einer von uns.

Doch derart Kollektivgefühl weckende Phrasen können schnell zu Hülsen verkommen, werden sie nicht mit ausreichend Inhalt gefüllt. Und Inhalt bedeutet bei seinem Projekt Lilabungalow vor allen Dingen Spaß und Freiheit. Bester Beweis ist das heute erscheinende Debütalbum des Kreativ-Caravans, das sich weder irgendwelche Zwänge auferlegt noch den lässigen Hang zum Perfektionismus verstecken kann. Immerhin war es ein langer Weg zu diesem Songdutzend. Mehr als vier Jahre hat es gebraucht, um Geschichten zu sammeln, die Songs immer wieder live mit wechselnden Besetzungen zu testen. Der Bungalow ist ein Hort des Ausprobierens, des Sich-Gegenseitig-Und-Sich-Selbst-Kennenlernens. Frei wie ein Schmetterling will sich die LP nicht an Grenzen halten, Konventionen werden gemieden, Schubladen tun sich mal auf, schließen sich aber genauso schnell wieder. Zu kitschig? Schon möglich, doch genau so läuft das in Erfurt.

Lilabungalow – “Sharp Guy”

motor.de: Mir fällt auf, dass du schon oft drauf angesprochen wirst. Du alter Berlin-Verweigerer wohnst und lebst noch immer Erfurt. Aber das ist eine bewusste Entscheidung von dir, nicht wahr?

Patrick Föllmer: Berlin kommt meinen provinziellen Gepflogenheiten nicht so sehr entgegen. Es gibt aber schon Großstädte, die mich reizen, wie zum Beispiel Hamburg. Früher als ich noch jünger war, war ich oft in Berlin und habe hier schon einige krasse Zeiten durch, ein wenig excessive-konnotiert. Hamburg ist nicht so gestresst, vielmehr chillig.

motor.de: Dass Erfurt deine Heimat ist, brauchen wir nicht mehr zu besprechen. Was bedeutet die Stadt für dich darüber hinaus?

Patrick Föllmer: Erfurt ist für mich in erster Linie Ruhepol, wo ich in Ruhe arbeiten kann und der auch unglaublich gut vernetzt ist. Es ist ja nun kein Geheimnis, dass Erfurt, obwohl es so klein ist, eine musikalische Metropole in Deutschland ist. Im kreativen Bereich, aber auch im menschlichen Bereich haut es da wirklich hin.

motor.de: Leipzig, Erfurt, Berlin – du bist derzeit nicht nur bei Lilabungalow eingebunden, sondern auch bei Klinke Auf Cinch. Hast du eigentlich selbst eine Art Prioritätenliste für deine ganzen Aktivitäten?

Patrick Föllmer: In den zwei bis zweieinhalb musikalischen Intensitäten, die ich betreibe, gibt es eigentlich keine Prioritäten in dem Sinne, sondern es wird geblockt und organisiert. Wenn ein Zeitraum geplant wird, dann ist er halt zu, da geht dann halt nichts anderes mehr. Da wir uns alle prächtig verstehen, ist es auch überhaupt kein Konkurrenzdenken oder so.

Analogsoul und Konkurrenz sind ohnehin zwei Paar Schuhe, die nicht zusammenpassen. Seit mehreren Jahren verfolgen wir mit großem Interesse (und nicht zu leugnender Faszination) die Arbeit des Leipziger Label-Netzwerkes. Mit anfassbarem DIY-Charme bietet die Plattform ein Forum für junge Bands, aufstrebende Musiker und gut vernetzte Kreativlinge – gerne auch mit Hilfe von Crowdfunding-Projekten. Fernab vom Mainstream sind hier Menschen am Werk, die nicht nur die analoge Magie zu schätzen wissen, auch Blicke in zeitgenössische, synthetische und durchaus avantgardistische Spähren werden nicht gescheut. Ob Me And Oceans, Mud Muhaka oder A Forest – Analogsoul beherbergt Künstler, die aus unserer Sicht schon keine Newcomer mehr sind. 2008 erschien bei Analogsoul auch die erste EP “Give Me A Chicken Sandwich” von Lilabungalow. Wo ging die Reise eigentlich los?

Lilabungalow – “Homeflow” (Live) 

motor.de: Nimm mich doch mal mit auf die Route, die der Bungalow in den letzten Monaten und Jahren genommen hat. Es fing eigentlich als Ein-Mann-Projekt an, oder?

Patrick Föllmer: Es ist so ein bisschen aus der Motivation gestartet, dass ich lange Siteman war und halt anderen Künstlern zugearbeitet habe, auch weil ich das so wollte. Aber irgendwann war das Potential und mein Interesse so groß, dass ich mich gefragt habe, wie ich das in eine Solo-Show umsetzen kann – das war so ein wenig die Initiative. Das war noch gar nicht mit einer großen Ambition verbunden, sondern einfach um meine persönliche Musikalität und Persönlichkeit zu entwickeln. Lange habe ich es alleine gemacht, hatte aber auch zu dieser Zeit immer Kontakt zu Musikern, die mit mir im Studio waren, oder die auch an den Songs mitgeschrieben haben. Es war schon immer so ein Community-Ding. Über die ersten drei Jahre hat sich dann eine kleine Besetzung zusammengebaut aus meinem Schlagzeuger Uwe Schneider und Jan Rösler – das war eine interessante Mischung: Posaune, Laptop, Schlagzeug. Alex Binder hat dann erst nach fünf Jahren den Bass mit reingebracht und dann ging die Fluktuation extrem los. Danach haben wir einfach ausprobiert, angefangen mit einer Achterbesetzung, um zu gucken, was passiert, wenn wir den Laptop weglassen. Nach der Tour sind dann zu der Conclusio gekommen, dass es gut ist, aber irgendwie nicht den gewünschten Effekt hatte, den wir uns vorgestellt haben. Danach haben wir eigentlich viele Besetzungen getestet und zu einem Quartett hingegeneriert (lacht).

motor.de: Das muss doch auch live einen kleinen Rattenschwanz mit sich gezogen haben.

Patrick Föllmer: Eine kleine Revolution war für uns die Umstieg vom reinen Playback-Set mit Logic auf Ableton – das muss man einfach so sagen, denn das hat uns live viel flexibler gemacht. Wir können nun Sets bauen, so eine Mischung aus DJing und Live-Arrangements und dem Dazuspielen, das wiederum ist vom Gefühl her näher an dem Weg dran, den das Lilabungalow gehen wird.

motor.de: Lass uns über das Album sprechen. Ein Großteil der Songs liegt mir ja bereits schon seit über einem Jahr vor, die aktuelle Version der Songs, sind die noch mit der alten Besetzung aufgenommen?

Patrick Föllmer: Da sind schon fast die Besetzungen der vergangenen vier Jahre mit drauf.

motor.de: Die ganze Lilabungalow-Geschichte zeigt sich in den zwölf Songs?

Patrick Föllmer: Genau, da sind auch Stücke drauf, die recht alt sind. Viele haben wir natürlich noch bearbeitet, aber die Signale, die wir damals aufgefangen haben, sind so auf der Platte.

motor.de: Ehrlich gesagt, fällt es mir unglaublich schwer, das Album zu greifen. Ich kann mit meinem sowieso abzugewöhnenden Schubladendenken nicht rangehen, meine sonst greifenden Assoziationsketten funktionieren nur bedingt. Nach dem ersten Durchgang braucht es auf jeden Fall eine Wiederholung.

Patrick Föllmer: (schweigt)

motor.de: Gibt es eigentlich ein Thema, dass das Album dominiert. Bestimmt schwierig zu sagen, weil die LP ja mehr oder minder vier Jahre Arbeit mit den unterschiedlichsten Menschen konserviert.

Patrick Föllmer: (Überlegt) Es gibt eine Grundmotivation, so wie ich halt Musik mache, d.h. aus dem Spielen und aus dem Moment heraus. Wenn es ein Thema gäbe, dann wäre es immer der Moment. Die Betrachtung dessen, was gerade im Mittelpunkt steht. Es gibt Songs, bei denen ich mich genau erinnern kann, wer da in meinem Geist mit anwesend war, damit das so passiert ist. Es geht um Eigenheiten, Freunde, Freiheiten, Betrachtungen und Momente der letzten fünf Jahre.

motor.de: Gibt es einen speziellen Moment, den du noch präsent hast und teilen willst?

Patrick Föllmer: Wenn ich mich an meinen ersten Abend in der Bar 25 erinnere, wo ich mir das dort angeguckt habe, war das nur so what? Wie Krass. Vielleicht hatte ich auch einen exzessiven Abend erwischt. Ich bin automatisch draußen, du kommst rein und bist trotzdem draußen, das war ich vorher nicht gewöhnt. Ich sehe die Leute mit dem MDMA-Kajal und alle sind am Checken und so, du nimmst automatisch eine Betrachterposition ein, du nimmst eigentlich ein vollkommen surreale Welt wahr. Das sind Sachen, wo ich mir meine Umgebung angucke. Das ist, was mich interessiert: Emotion und Vibration, je nach dem welche Stimmung gerade im Raum ist.

motor.de: Und wie verarbeitet man die Support-Gigs für Herbert Grönemeyer?

Patrick Föllmer: Das war von vornherein eine surreale Geschichte (lacht). Du kommst am ersten Venue an und weißt sofort, okay das ist jetzt eine Ausnahmesituation. Das wird nun eine Woche so sein und das ist auch okay. Ich bin in Montreux von der Bühne gegangen und mein Kollege aus der Musikschule Erfurt ruft mich an und sagt: “Ey, Patrick ich muss nächste Woche nachunterrichten, kann ich mal deinen Raum haben, geht das vielleicht?” So holt mich das Leben auch schnell wieder zurück (lacht).

Um den ganzen Spaß hier zu finanzieren, sagt er, gibt er Musikkurse an Schulen. Bei Patrick ist mehr Sein als Schein, das macht nicht nur ihn so sympathisch, seine Musik eben auch so einnehmend. Der studierte Musiklehrer ist ein glücklicher Mensch, das merkt jeder, der einmal mit ihm gesprochen hat. Er liebt Musik und lebt diese auch. Damit nur kein Floskelalarm ausgelöst wird, schnell eine unterstützende Anekdote nachschieben: Vor über einem Jahr habe ich Patrick kennengelernt. Mit seinem Projekt Klinke Auf Cinch hatte er damals in der Galerie KUB in Leipzig einen intimen und ausgelassenen Auftritt hinter sich. Für Patrick, Lutz Hartmann, Clemens Kynast und Martin Pfützenreuter ist es selbstverständlich mit Menschen in Kontakt zu treten. Das kann man Netzwerken schimpfen, oder als das betrachten, was es ist: den Moment zu genießen. Dann passiert es schon mal, dass man in einer Männergruppe zusammensitzt und “Re:Stacks” von Bon Iver im Chor singt.


Was nach zu vielen Informationen klingt, gehört bei Klinke Auf Cinch und Analogsoul zum täglich Brot. Für das Debütalbum wurde eigens die Internetseite Releasingarecord.de ins Leben gerufen. Altmodisch betrachtet, ist es ein protokollarischer Blog über das Schaffen der Band. In Wirklichkeit treibt es den Gedanken der Transparenz im Musikbiz auf eine nachvollziehbare Ebene. Der Musikliebhaber, Fan und Interessierte ist hier bei jedem Schritt involviert. Ob das Erstellen des Promo-Textes, die Preise für das Mastering oder die Entstehung des Artwork – Klinke Auf Cinch dokumentiert die Meilensteine bis zum Release, die normalerweise im Verborgenen stattfinden.

Patrick Föllmer: Der Auslöser war die Veröffentlichung von Bodi Bill, als die ihre Verkaufszahlen und Umsätze veröffentlicht haben. Das hatte damals ein ziemlich großes Medieninteresse geweckt. Gut, das ist natürliche eine Größenordnung, mit der wir bei Finanzen jetzt nicht mitreden können, aber was wir halt immer wieder merken, Musik machen ist so abstrakt geworden, die Leute sehen ja nur noch das Endprodukt.

motor.de: Die meisten haben keine Ahnung oder sagen wir eher konkrete Vorstellung davon, was alles passieren muss, bis es zum Release kommt.

Patrick Föllmer: Gut, die denken vielleicht, einen Proberaum muss es irgendwie geben usw., aber alles, was dazwischen liegt, haben die Wenigsten im Blick. Man konsumiert die ganze Zeit, weiß aber gar nicht, wie das alles funktioniert, also an was ein Label alles denken muss. Wir haben uns genau dieser Tatsache gewidmet, woran muss eine Band denken. Den Kreislauf, hier fängt die Band an und hier steht das Publikum, diesen Weg wollten wir so gut es geht verkürzen. Wir wollen Interessierten nichts vorenthalten, es geht mehr um Partizipation und Aufklärung.

“Mit ‘deepen Harmoniearrangements’ kann ich mich gar nicht anfreunden. Wieso nicht einfach ‘tiefen Harmoniearrangements'”, fragt Marcus auf der Seite. Er hat sich mit dem Pressetext beschäftigt. Feedback muss nicht immer liquid sein. Es geht um Teilhabe, um das Gefühl, Musik nicht nur hören zu können. Es wird kein Wir-Hier und Ihr-Dort evoziert, warum auch. Wir alle lieben Musik, und es gehört manchmal eben doch mehr dazu, als nur eine CD in den Receiver zu legen. Patrick und Föllmer und seine Freunde zeigen uns, was es bedeutet, für Musik zu leben. Man könnte beinahe sagen, Analogsoul sind die Piraten unter den deutschen Indie-Labels. Der einzige Unterschied: sie wissen, was sie tun.

Sebastian Weiß