New York, London, Berlin. HipHop, Punkrock, Techno. Fetisch reitet seit den späten 80ern ohne Sattel und Steigbügel auf dieser Achse. Mit Terranova hat er die düstere Verlockung Berliner Kellergewölbe in Downtempo und TripHop gewuchtet, als Lotterboys (auf Eskimo) trieb er letztes Jahr mit Paris The Black Fu von den “Detroit Grand Pubahs” den Funkrock durchs Meteoritenfeld.
Für den Start seines neuen Labels TNT hat er sich den nächsten Gang aufgespart. Die Lotterboys waren Stufe eins. Die Lottergirls sind Stufe zwei. Cath Coffey von Stereo MCs bis hin zu Ari Up von den Slits liehen Fetischs Projekt Terranova ihre charismatischen Stimmen — und ihre Aura.
Für das Projekt Lottergirls muss es aber jemand ganz Besonderes sein, jemand, der die Dreier-Achse von Fetisch genauso im Blut hat wie er selbst. Jemand, dessen Vorlieben von Iggy (Pop) über Biggie (Notorious B.I.G.) zu Ziggy (Stardust/David Bowie) reichen. Auftritt des Bad Babysitters, der Princess Superstar. Die New Yorkerin Concetta Kirschner aka Princess Superstar wird in den USA als die weibliche Antwort auf die Beastie Boys gefeiert, in Europa als Techno-DJ mit sexy Lästerschnauze geliebt und will eigentlich nur Iggy Pop sein. 2000 landet sie mit “Bad Babysitter” einen großen HipHop-Hit, gerade knackt sie die UK-Charts (Top 5) mit “Perfect Exceeder”.
Fetisch, großer Fan der ersten Stunde, hat eine dieser abwegigen Eingebungen, die einem nur kommen, wenn man sich von einer Persönlichkeit wirklich angemacht fühlt. Seine erste Idee: Princess Superstar singt mit Paris The Black Fu “Summer Loving” nach, das alte Duett von Olivia Newton John und John Travolta. Das Stück entpuppt sich leider als zähes totes Kaugummi, das nicht wieder belebbar ist. Aber schon der nächste Geistesblitz weist in die richtige Richtung: Princess Superstar mimt Ozzy Osborne in Black Sabbaths “Iron Man”. Die Lottergirls sind geboren.
Fetisch gibt die musikalische Geschmacksrichtung vor, Princess Superstar bringt Lyrics, Melodien und Glamour dazu. Statt gleichgültiger Maschinen, die alles mit sich machen lassen, werden Gastmusiker mit Geschichte und eigenem Kopf eingeladen: Manuel “E2-E4” Göttsching, Amanda “Surrealer als Salvador Dali” Lear, Paris The Black Fu, Rudi Moser von den Einstürzenden Neubauten und — als besonderes Geschenk an Princess Superstar — der Drummer von Iggy Pop.
So furios “Right On” mit einer schmetternden Fanfare einsteigt, so mächtig springt es in Lederjacke durch die Disco, in Paillettentop auf die Harley, kopfüber in den Schweinekoben des discoiden Rocks und rockigen Funks und findet jede Glamour-Perle zwischen sleazigen Bass-Riffs, verschwitzen Verführungen, sexy Verzerrungen und langhaarigem Moshen.
Die großen Crossover-Club-Rocker von LCD Soundsystem, Soulwax oder den Franzosen auf dem Ed-Banger-Label können ganz schön schmutzig austeilen. Aber so dreckig und saftig, vollmundig und dreist wie Lottergirls klingen sie nicht. Denn Lottergirls sind live. So live, wie Rockmusik für die ganz großen Bühnen eben sein muss. Und für die großen Rockbühnen ist Lottergirls gedacht. Rock wie in: Boxentürme, Lightshow, Stagediving. Rock wie in: Chaos und Absturz immer in Reichweite.
Aber wenn, dann bitte mit gläsernem Grand Piano, Gogo-Tänzerinnen und David Copperfield im Vorprogramm.
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