Der Hype wird an Lukas Graham vorbeigehen, weil der eh nichts mit der Realität zu tun hat. Dennoch wird es immer lauter um Lukas Graham und seine Band aus der Hippie-Kommune Christiana. Ein Gespräch über Heimat, unbändigen Optimismus, Liebe und ja, Gangsta-Rap.

(Foto: Universal)

Eine splitternackte Frau posiert inmitten leerer Alkoholflaschen, die sich um Gesäß und Beine drapieren. Nein, hier ist nicht das Cover eines Erotikkalenders 2013 gemeint, sondern das Cover des selbstbetitelten Debüts eines 23-jährigen Herren Namens Lukas Graham und seiner Band. Darauf begegnet man nicht nur Soul, Funk, R’n’R, Hip-Hop und der vollen Breitseite Pop, sondern begibt sich mit einem jungen Gesangs- und Showtalent auf eine Gefühlsreise, die viele an früher erinnern wird. Denn auf dem Plan stehen dabei Eifersuchtsstrapazen, One-Night-Stands, Rotwein-Romanzen und Entschuldigungen, die man gar nicht einsieht. Ach ja und natürlich durchzechte Nächte, in denen man noch morgens betrunken ist und sein oder eins seiner Babes anruft, weil man dank hochprozentiger Flüssigkeiten, plötzlich doch ganz schön verknallt ist.

Ob wir es hier mit einem Heranwachsenden zu tun haben, der sich mit seinem Debüt wieder ein bisschen in die Teenie-Jahre zurückstielt und aus dem coolen Nähkästchen plaudert? Ja, schon. Noch viel mehr hat man es hier aber mit jungen Vollblutmusikern zu tun, denen man guten Gewissens unterstellen darf, dass sie – nachdem sie in ihrer Heimat Dänemark schon unlängst den Starstatus erreicht haben – hierzulande zur Kategorie “Best Newcomer” gehören. In Dänemark erhielten sie in gleicher Kategorie bereits den Danish Music Award.

Da es sich bei ihrer Heimat genauer gesagt um Christiana handelt, einer “alternativen Wohnsiedlung in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen” (so sagt es Wikipedia), haben wir im Interview genauer nachgefragt, was Lukas Graham alles aus dieser Hippie-Kommune mitgenommen hat. Neben einer Kindheit, in der er dänischer Serienstar war, eine Ausbildung zum klassischen Sopranisten gemacht hat und Mitglied im Knabenchor war, das Motto “Hakuna Matata” (“Es gibt keine Probleme”) und auf jeden Fall das Herz am rechten Fleck. Ein Gespräch über Heimat, unbändigen Optimismus, ein fehlendes Instrument, das nicht fehlt, Liebe und ja, Gangsta-Rap.

Lukas Graham – “Drunk In The Morning”

motor.de: Du bist ja in Christiana aufgewachsen, kannst du mir etwas über deine Heimat erzählen? Dieser Ort ist ja schließlich schon sehr besonders zum Aufwachsen oder nicht?

Lukas Graham: Es hat keine Autos und wir haben gewissermaßen keine Straßenbeleuchtung. Wir haben viele Hunde, die frei herumlaufen, und einen großen See in der Mitte. Eigentlich ist es wie ein großer Park, in dem Leute leben. Stell dir den Mauerpark mit einem großen See in der Mitte und Leuten vor, die da leben, ca 800. Der Grund, warum ich an den Mauerpark denke, ist wegen des Lebensmittelmarktes da und den ganzen Buden, die am Sonntag geöffnet haben. Da ist dieser Vibe, den du auch in Christiana hast. Leute kommen dort zusammen, weil sie sich einig darüber sind, dass es gut ist dort, sie haben einfach eine gute Zeit zusammen. Und so ist es auch im Mauerpark, die Menschen kommen zusammen, um zu relaxen und ne tolle Zeit zusammen zu haben.

motor.de: Schon ein bisschen so ein Hippie-Ding oder?

Lukas Graham: Ne, kein Hippie-Ding. Die Sache ist, Christiana ist als ein Hippie-Ding gestartet. Heute ist es mehr diese Mentalität (denkt nach). Wir haben diese Regeln: Du kannst machen, was auch immer du willst, solange du niemand anderen daran hinderst, das zu tun, was er will. Das ist große Freiheit! Wenngleich mit der natürlich auch Verantwortung einhergeht. Du kannst ne Party machen, aber du musst halt deinen Nachbarn Bescheid geben. Du musst ihnen sagen “Ich hab ne’ Party, ne fette Party” (lachen).

motor.de: Hast du denn das Gefühl, dass deine Heimat deine Musik beziehungsweise dein Musikverständnis sehr beeinflusst hat?

Lukas Graham: Ich muss zugeben, ich weiß es nicht. Einfach weil ich nirgendwo anders aufgewachsen bin und ich auch noch nicht wirklich woanders gelebt habe. Deswegen ist es schwer für mich die besonderen Dinge in meiner Musik zu sehen, die speziell durch Christiana beeinflusst worden sind. Ich denke, was ich auf jeden Fall von Christiana habe, ist mein Sinn für Zugehörigkeit und das Gefühl, eine Gemeinschaft zu sein, wenn wir zusammen sind. Wie in der Band, beim Songs schreiben, wenn wir auf Tour sind…Jeder, der mitwirkt gehört dazu, Techniker wie die Lichtleute, der Fahrer unseres großen Trucks und so weiter. Auf der letzten großen Dänemark-Tour waren wir 19 Leute und ich möchte, dass quasi alle auf einem Level sind in einem großen Kreis. Wie ein großes “Hakuna Matata” (“Es gibt keine Probleme”) (lachen). Nein, ich denke jeder, der sich in so einem Kreis bewegt, der wird anfangen zu Teilen, seine Freude zu teilen. Die Belastungen werden insgesamt weniger, spezielle Belastungen von mir oder ihm werden letztlich unsere Belastungen, was es natürlich leichter macht, bestimmte Sachen zu Händeln.

motor.de: Hat denn der irische Background deines Vaters deine Musik maßgeblich beeinflusst?

Lukas Graham: Ja, sehr sogar. Das ist meine Kultur, mein kulturelles Erbe ist für mich auf jeden Fall irisch. Außerdem hat mich irische Musik maßgeblich beeinflusst. Ich will, dass meine Melodien in der Lage sind, für sich allein zu stehen, ohne Musik. Es ist das Gleiche wie mit den Worten. Ich denke dieser Gedanke basiert sehr auf Folk-Musik, halt dass die Worte und die Melodie für sich allein stark genug sein sollten und mit der Musik nur besser werden können.

motor.de: Du spielst auf der Bühne nie ein Instrument oder?

Lukas Graham: Ich kann kein Instrument spielen, ich schreibe nur Songs.

motor.de: Ist das für dich auch ein Stück weit ein Weg, dich nur auf deine Stimme und deine Texte zu konzentrieren?

Lukas Graham: Ich hab mich einfach nie danach gefühlt, ein Instrument zu spielen. Tatsächlich Zufall…

motor.de: Hast du eine denn eine besondere Emotion, aus der du deine Inspiration zum Songschreiben schöpfst?

Lukas Graham: Liebe! Aber Liebe muss nicht durch Traurigkeit oder Glück definiert werden, Liebe kann alles sein. Wir haben gestern ein Interview über Lovesongs gegeben und ich hätte beinah zum Spaß zurückgeschrieben “Ist nicht jeder Song über Liebe? Ist nicht jeder Song ein Lovesong?” Ist nicht “Killing In The Name Of” von Rage Against The Machine auch ein Lovesong? Du kannst Liebe nicht von Musik trennen, denn um Musik schreiben zu können, musst du gleichzeitig auch in der Lage sein zu Lieben.

motor.de: Wann hast du denn deinen ersten Song geschrieben?

Likas Graham: Im Oktober 2008

motor.de: Ok, da warst du 20.

Lukas Graham: Ja aber ich schreibe Songtexte seit ich zwölf bin, also Rap-Musik in meinen Teenagerjahren. Ich hab eigentlich acht Jahre gebraucht, um zu realisieren, dass ich Songs schreiben will.

motor.de: Du hast auch schon ganz schön früh Kontakt mit Bühnen gehabt. Du warst unter anderem als Kind ein Serien-Star in Dänemark, hast nicht nur im Knabenchor gesungen, sondern auch eine Ausbildung zum klassischen Sopranisten gemacht. Wann war der Zeitpunkt, an dem dir klar wurde, dass du dein Geld mit Musik verdienen willst?

Lukas Graham: Das war nie eine Entscheidung, das ist einfach immer wieder passiert. Ich habe niemals aktiv die Entscheidung gefällt, dass ich jetzt ein Popstar auf der Bühne werden möchte, ich hab’s einfach nur gemacht. Du hast einfach zwei Arten von Menschen, der eine Typ Mensch lebt, der andere plant – und ich lebe. Wenn du dich darauf fokussierst, dass jeder Tag der beste deines Leben ist, dann kann er es auch sein. Fakt ist: der schlimmste Tag in meinem Leben ist so trotzdem der beste Tag meines Lebens. Die beste Zeit deines Lebens muss jetzt sein.

motor.de: Schöne Lebensphilosophie, nur manchmal vielleicht schwer umzusetzen.

Lukas Graham: Ja, aber ein Philosophie, die dich immer wieder aufstehen lässt, wenn du down bist.

motor.de: Hast du Ängste in Bezug darauf, dass vielleicht in nächster Zeit ein Hype um deine Person beziehungsweise deine Musik entstehen könnte? Dass plötzlich von Lukas Graham als “Das nächste große Ding” gesprochen wird?

Lukas Graham: Ein Hype ist eine künstlich aufgepumpte Blase, wie ein Bankkredit mit Zinsen. Das ist etwas, was wir künstlich herstellen. Und wir existieren schließlich. Keine Ahnung, das Ding ist, wenn wir anfangen zu zweifeln, uns zu fürchten und Angst zu haben, dann wird das auch eintreten, wovor wir uns fürchten. Warum also ängstlich sein?

motor.de: Nun zu deinem Album. Da ist ja einiges vertreten – Soul, Pop, Funk, Hip-Hop. Wo hast du deine Wurzeln, im Hip-Hop? Du sagtest, du hättest damals Rap-Musik geschrieben.

Lukas Graham: Ja, richtig. Ich denke Hip-Hop ist definitiv das größte Element, Hip-Hop und Pop sind vielleicht die stärksten Komponenten auf dem Album. Klanglich hört es sich eher nach R’n’B, vielleicht wie Old School R’n’B oder Rock’n’Roll an, wie B.B. King vielleicht. Er ist einer der Väter des Rock’n’Roll, wenn nicht DER Vater. Old School, R’n’B und Soul sind sehr in unsrem Sound verankert, unsere Musik ist jedoch letztlich auf Hip-Hop, Pop- und Rap-Musik aufgebaut. Und unsere Musik ist natürlich inspiriert vom 90’s Gangsta-Rap… (lacht)

Text & Interview: Katharina Lauck