Den Grammy hätte er fast gewonnen und nur knapp verfehlte M. Ward den kommerziellen Ritterschlag: Mit “A Wasteland Companion” forscht er jedoch unbeirrt im eigenen Unterbewusstsein weiter und packt die Ergebnisse im motor.de-Interview offen auf den Tisch.
(Foto: Merge Records)
Schaut man sich nur kurz den Werdegang dieses Künstlers an, versteht man eigentlich nicht, wie er all die Nebenprojekte gestemmt bekommt: Als Mitglied der Supergroup Monsters Of Folk ist M. Ward aktiv, fabriziert mit seiner Kollegin Zooey Deschanel im Kreise von She & Him hinreißenden Indie-Folk und wenn dann noch Zeit bleibt, kümmert er sich um seine Karriere als Solokünstler. “A Wasteland Companion” lautet der Titel des neuen, nunmehr sechsten Albums und entstanden ist es unter der Mithilfe einer Reihe von Musikern, deren Namen keineswegs unbekannt sind: Mike Mogis von den Bright Eyes, Howe Gelb von Giant Sand oder auch PJ Harvey-Kollege John Parish schauten neben vielen anderen im Studio vorbei. Herausgekommen ist Wards bis dato facettenreichstes Werk, denn die Songs tummeln sich nicht allein im alternativen Akustik-Genre, sondern bedienen beim Calypso genauso wie bei verwandten Weltmusik-Stilen – für den Schöpfer ein logischer und konsequenter Schritt, es schlicht offener zu gestalten:
“Ich habe in den vergangenen Jahren zu viele Projekte betreut, als das keine Einflüsse daraus auf mein Songwriting abgefärbt wären“, sagt er und betont, dass zwischen den einzelnen Veröffentlichungen niemals klassische Pausen lagen, um Dingen wie Urlaub oder Freizeit nachzugehen. Für den nimmermüden Arbeitsvorgang hätte er mit She & Him zuletzt fast einen Grammy abgeräumt, doch dann ging der Award an ihm vorbei. “Was bedeutet das schon – einen Grammy zu haben?“, lacht Ward heute darüber und trotzdem sieht man ihm den Verdruss über die Nullrunde an, “natürlich bringt so etwas einem Justin Vernon (Bon Iver-Frontmann, Anm.d.R) unheimlich nach vorn. Allerdings hat er nicht in irgendwelchen Nebenkategorien abgesahnt, sondern die Big Points gesetzt. Ich gönnen ihm die Auszeichnungen, ein toller Typ!“
Welche Ziele M. Ward aber selbst verfolgt, warum das neue Album “A Wasteland Companion” mit festem Blick aus dem Tourbus heraus entstand und was der Neoliberalismus mit allem zu tun, erfuhr motor.de im ausführlichen Gespräch.
motor.de: Momentan verfolgst du drei Projekte zugleich: Deine Solokarriere, She & Him und die Monsters Of Folk sollen ebenfalls reaktiviert werden – wie behältst du den Überblick?
M. Ward: Das ist kein Problem, ich arbeite im Hintergrund einfach immer weiter an meinen eigenen Songs, da gibt es keinen Pausen und so verliert sich nie der Fokus zwischen den verschiedenen Projekten – für mich selbst bin ich in erster Linie halt Gitarrist und erst danach Sänger. Passt schon alles.
motor.de: In einem älteren Interview meintest du sogar, dass Singen nicht unbedingt zu deinen Stärken gehört: Die Kritiker sehen das anders.
M. Ward: Was wirklich überraschend ist! (lacht) Manchmal stehe ich im Studio, schaue meine Kollegen an und die finden das vollkommen in Ordnung, obwohl es meiner Meinung nach schief klingt. Vielleicht sollte ich da entspannter werden, wenn ich ehrlich bin.
M. Ward – “The First Time I Ran Away”
motor.de: Das neue Werk “A Wasteland Companion” wird als On-the-Road-Album verhandelt, da es auf Reisen durch die USA entstand – stimmt das?
M. Ward: Europa, Asien und der Rest von Amerika kamen sogar noch dazu. Ich wollte eine Art Live-Aufnahme machen, die nicht auf der Bühne ihren Grundcharakter findet, sondern an verschiedenen Plätzen und Orten entsteht. Deshalb nahm ich mir auf der Tour mit She & Him immer wieder Zeit mich zurückzuziehen und an Demos zu schrauben, diese teilweise schon aufzunehmen. Ein tolle Erfahrung: Du sitzt in einem Hotelzimmer in Frankreich und die Basis für einen Song entsteht – der daheim nur noch zu Ende gedacht werden muss.
motor.de: Man wird das Gefühl nicht los, dass du mit dem Wasteland im Titel die Vereinigten Staaten meinst und nicht Frankreich oder den Rest Europas.
M. Ward: (überlegt lange) Als Songwriter solltest du dir überlegen, was deinen Beiträgen inhaltlich guttut. Ich kann natürlich über England singen und Spanien in den Mittelpunkt rücken, aber wenn der Tourbus durch die Staaten rollt, fühle ich ein größeres Verständnis für das, was dort passiert: Die Armut nimmt augenscheinlich zu, die Leute rennen zwischen zwei Jobs hin und her und irgendwie arbeitet sich jeder an den Verhältnissen kaputt, ohne dass der Wohlstand eintritt.
motor.de: Es handelt sich also um neoliberale Kritik, ohne soziologisch klingen zu wollen?
M. Ward: Es geht mehr um die Ohnmacht der Leute, denn manchmal wirkt es, als dass sie keine Mittel und Wege mehr finden, Alternative zu suchen und deshalb des Spiel mitspielen, weil ihnen nichts anderes übrig bleibt. Es schockiert mich, dass dieses System des ständigen Funktionierens so mächtig geworden ist und man den Regeln Blindlinks folgt – weil sie als natürlich erscheinen.
motor.de: Und welche Rolle spielt der Companion, Begleiter dabei?
M. Ward: Es dreht sich um uns alle, die wir der Situation ausgeliefert sind und doch sollte der Anspruch eines jeden einzelnen sein, das Schwarze dahinter bunt zu färben. Der Ohnmacht zu umgehen.
motor.de: Demgegenüber ist “A Wasteland Companion” musikalisch beschwingt geraten – einige Songs verschreiben sich gar dem Calypso, wie kam es dazu?
M. Ward: Das hat viel mit den Leuten zu tun, die regelmäßig im Studio mithelfen. Howe (Gelb, Frontmann Giant Sand, Anm.d.R.) experimentierte zuletzt mit verschiedensten Stilen und ich war sehr angetan davon – also probierten wir das auch zusammen aus und ich muss sagen: Obwohl es eigentlich nicht zu meiner Herangehensweise passt, wirkt das Ergebnis stimmig.
motor.de: Es scheint generell so zu sein, dass Freunde immensen Einfluss auf deine Arbeit ausüben, oder?
M. Ward: Sehr sogar. Jedes Mal, wenn ich mit Zooey und She & Him aktiv werde, erkenne ich, wie einfach und schnell eine Platte entstehen kann – während mir Jim James von My Morning Jacket den R’n’B näherbrachte. Obwohl er mit seiner Band selbst keinen spielt, ist er riesiger Fan und all diese Ansätze spiegeln sich nun in den Songs wieder.
M. Ward – “Primitive”
motor.de: Manche Magazine bezeichnen dich als “man out of time” und behaupten, dass du als Musiker wie aus der Zeit gefallen wirkst.
M. Ward: Ich fühle mich weder zu spät, noch zu früh geboren – meine Platten passen hier ganz gut rein und sind keine Reminiszenzen an die 1960er oder 1970er Jahre. Was die Journalisten damit meinen, können sie jedem anderen Songwriter auch unterstellen: Das Prinzip Gitarre/Gesang ist nichts Neues und wurde freilich durch eben erwähnte Jahrzehnte stark geprägt.
motor.de: Ein gern genommenes Klischee deines Genres erfüllst du zweifelsohne: Man liest, dass nächtliche Träume Zugang zu deinen Liedern finden.
M. Ward: Absolut und darüber freue ich mich total – immerhin nimmt mir mein Unterbewusstsein die ganze Arbeit ab (lacht). Du wachst auf und plötzlich fallen dir Szenarien ein. Mit ein wenig Phantasie und Abstraktionsgabe können daraus wundervolle Sachen entstehen.
motor.de: Welche deiner Platten hat dieses Prinzip bislang am besten umgesetzt und wovon träumt M. Ward dieser Tage?
M. Ward: Das ist eine Klischeeantwort, aber “A Wasteland Companion” funktioniert aus meiner Sicht perfekt, weil es das Surreale mit dem Tagesgeschehen zu kombinieren weiß – sich der Utopie hingibt, aber niemals naiv wirkt. Zum zweiten Teil der Frage: Von sehr tollen Dingen, interessant und versöhnlich sind sie und ich werde davon berichten, mit meinem kommenden Album hoffentlich – sobald ich die Zeit dafür finde.
Interview + Text: Marcus Willfroth
M Ward – “A Wasteland Companion”
Vö: 06.04.12
Label: Cooperative Music/Universal
Tracklist:
01. Clean Slate
02. Primitive Girl
03. Me And My Shadow
04. Sweetheart
05. I Get Ideas
06. The First Time I Ran Away
07. A Wasteland Companion
08. Watch The Show
09. There’s A Key
10. Crawl After You
11. Wild Goose
12. Pure Joy
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