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Entschuldigung, wenn ich gleich persönlich werden muss, aber es geht einfach nicht anders. Ich hatte meine erste und prägende Madsen-Erfahrung im Februar 2005 in Berlin. Aber ganz von Anfang an: zusammen mit einem Kollegen war ich zur Premiere des Kinofilms „Keine Lieder über Liebe“ auf der Berlinale eingeladen worden. Nach der Vorführung gab es eine Aftershow-Party. Das ist so üblich im Showgeschäft. Da treffen sich wichtige und weniger wichtige Menschen zum Trinken und andere-Sachen-machen. Am Eingang zur Party wurden mein Kollege und ich vom Tomte-Manager empfangen: „Schön, dass ihr da seid, Jungs. Geht erst mal an die Bar und trinkt einen Absinth“. Wir haben die freundliche Aufforderung als Befehl aufgefasst und nicht nur einen Absinth getrunken. Sondern zwei, oder fünf, oder sieben. Absinth, muss man wissen, verschafft vollkommen legal ein Rauscherlebnis, das sehr nahe dran ist an solchen Rauscherlebnissen, die man sich sonst auf nicht so legale Art verschaffen muss. Ich weiß nicht mehr, wie ich ins Hotel gekommen bin, ich weiß aber noch, dass ich am nächsten Vormittag mit einem Brummschädel aufgewacht bin, wie niemals zuvor.
Mein Kollege und ich hatten an diesem Vormittag einen Termin bei „Universal Music“. Das ist so üblich im Showgeschäft – nicht nur, um unserer Dienstreise zur Filmpremiere einen halbwegs geschäftlichen Anstrich zu geben. Alle paar Monate besuchen sich die „Medienpartner“ gegenseitig, um sich auszutauschen. Die Plattenfirmenmenschen erzählen dann uns Musikjournalisten, welche heißen Themen als nächstes auf uns zukommen, spielen uns manchmal ein bisschen Musik vor und verabreichen uns eine Aspirin-Tablette, falls wir danach verlangen, weil wir einen Brummschädel haben. Meine Aufmerksamkeitsspanne hielt sich an diesem Vormittag eher im unteren Bereich. Bis zu dem Zeitpunkt, als das Aspirin langsam zu wirken begann und eine Plattenfirmenfrau mit der gebrannten CD einer deutschen Band ankam. Die Band hieß Madsen. Und, um es kurz zu machen, ich fuhr total auf diese Band ab. Weil die Musik direkt, ohne Umwege ins Musikaufnahmezentrum meines Gehirns geströmt ist, weil sie emotional war, ohne „Emo“ zu sein. Weil mir die Texte in ihrer konkreten Abstraktion, mehr über mein Leben erzählt haben, als das Gesamtwerk manch anderer Band, die von der Indie-Polizei aufs Coolness-Podest gehoben wird. Ich hatte das Gefühl, nicht mehr leben zu können ohne diese Musik, die ich gerade gehört hatte. Also sagte ich zu der Plattenfirmenfrau „Ich kann nicht mehr leben ohne diese Musik. Darf ich die CD bitte bitte bitte mitnehmen?“ Irgendwo trieb die Plattenfirmenfrau noch eine gebrannte CD mit der Madsen-Musik auf und gab sie mir mit. Ich weiß nicht, ob sie das hätte tun dürfen. Auf jeden Fall habe ich ihr Vertrauen nicht missbraucht und die Musik nicht „ins Internet gestellt“. Nicht nur, weil ich gar nicht weiß, wie das gehen soll, Musik „ins Internet stellen.“ Ich habe die CD aber in meinen iPod gesaugt und in den nächsten paar Wochen nichts anderes gehört als Madsen.
Kennen gelernt habe ich Madsen nach ihrem Auftritt im Vorprogramm von Wir sind Helden in München. Wir sind uns in den folgenden Monaten noch ein paar Mal über den Weg gelaufen. Bei „Rock am Ring“, wo Madsen zur Unzeit am frühen Nachmittag eine gar nicht mal so kleine Crowd rockten. Und bei einem Kostenlos-Open-air-Auftritt im Olympiapark in München. Selten habe ich so sympathische, so unrockstar-hafte Rockstars getroffen. Als meine Begleitung in München die Madsen-Jungs nach ihrem Auftritt fragte, ob sie noch Lust hätten, zusammen mit uns in einen der beiden lokalen Indie-Clubs zu kommen, in die man so geht, wenn man cool ist, lehnten sie freundlich ab und fuhren mit ihrem Madsen-Mobil zurück in ihr Hotel. Das hat mich beeindruckt. Menschen, die sich in ihrer Post-Coolness-Phase befinden, beeindrucken mich.
Schluss jetzt! Der Leser giert nach Fakten: Madsen sind: Sebastian Madsen (Gitarre, Gesang), Johannes Madsen (Gitarre), Sascha Madsen (Schlagzeug), Niko Maurer (Bass) und Folkert Jahnke (Orgel). Schon 1993 gründen Sebastian und Johannes die Band Ganz Klar (Punk). 1996 kommt Niko dazu. Die Band heißt jetzt Alices Gun (Rock). Zwei Jahre später folgt Hoerstuatz (nennen wir es „Crossover“). Seit Sommer 2004 heißt die Band Madsen und macht Madsenmusik. Im Frühjahr 2005 rotiert das Video zur ersten Single „Die Perfektion“ ziemlich heavy auf MTV. Ab da geht die Rockstarkarriere ihren Gang. „Das war klischeehaft, bilderbuchmäßig“, erinnert sich Sebastian. Ende Mai erscheint das Debütalbum „Madsen“. Die Reaktion der Medien auf das Album ist „insgesamt sehr gut“ (Sebastian). „Natürlich gab es genug Gründe, uns nicht gut zu finden, die wurden auch genannt“. Von da an touren Madsen monatelang kreuz und quer durchs Land. Das Leben auf Tour ist für eine Band nicht halb so glamourös, wie man sich das gerne ausmalt in seinen romantischen Rockstar-Vorstellungen. 90 Prozent davon besteht aus Warten und Rumhängen. Sebastian nutzt das „kranke Tourleben“ um Songs zu schreiben. Er schreibt permanent Songs. Im Februar und März 2006 gehen Madsen mit diesen Songs ins Gaga-Studio in Hamburg, um ihr zweites Album „Godbye Logik“ aufzunehmen.
Die Musik auf „Goodbye Logik“ klingt – nennen wir es – „ausgefeilter“ als die auf dem Debüt. „Madsen“ funktionierte als Album, das in einem Rutsch durchgehört werden wollte. Die „Hits“ offenbarten sich dem Hörer nach und nach. Auf dem zweiten Album springen die Hits den Hörer sofort an: „Goodybe Logik“, „Ich rette die Welt“. „Unzerbrechlich“ – bis irgendwann alle elf Songs als Hits funktionieren und „Goodbye Logik“ als Album. „Goodbye Logik“ ist „typisch“ Madsen, weil die Musik direkt, ohne Umwege ins Musikaufnahmezentrum des Gehirns strömt, weil sie emotional ist, ohne „Emo“ zu sein. Weil die Texte in ihrer konkreten Abstraktion, mehr über das Leben erzählen, als das Gesamtwerk manch anderer Band, die von der Indie-Polizei aufs Coolness-Podest gehoben wird. Weil Sebastian Madsen mit seinen Worten die Verlorenheit und die Hoffnungen nicht einer Generation, sondern der ganzen Menschheit ausdrückt. Nehmen wir nur „Ein Produkt“. Selten hat ein Popsänger pointierter über seine Gefühle in einer Beziehung, die sich im Sterben befindet, gesungen. Aber man kann jeden Text auf „Goodbye Logik“ hernehmen und darüber staunen, wie jemand in der Lage ist, seine Gefühle in solche Worte zu fassen, die dem Hörer selber hätten einfallen sollen. Nur sind sie das eben nicht. Man kann aber auch jetzt endlich dieses Blatt Papier zur Seite und – verdammt nochmal – „Goodbye Logik“ in den CD-Player legen, um zu sehen, ob das alles stimmt,.was hier geschrieben steht.
Albert Koch, Juni 2006
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