Von Orange Is The New Black bis zum neuen Lil Nas Video: das Gefängnis hat als Schauplatz einen festen Platz in der Popkultur. Dadurch hat die Kunst auch einen extremen Einfluss darauf, wie die Menschen außerhalb der Gefängnisse eben diese wahrnehmen – doch wie sieht es darin wirklich aus? Jemand, der über den Medienkonsum heraus in die Parallelwelt geschaut hat ist die Künstlerin Diana Ezerex, denn seit 2017 spielt sie Konzerte in Gefängnissen. Wir haben mit ihr über die Wirkung von Musik, das Gefühl vor Verurteilten zu spielen und den Grund für ihr neues Album “My Past’s Gravity” gesprochen.
Motor.de: Wie kam es zu deinen Gefängniskonzerten?
Diana: Ich hatte schon lange eine gewisse Faszination für das Gefängnis als Parallelwelt, in der Menschen von der Gesellschaft abgeschottet sind, aber aus eben dieser auch wieder zurückkommen, da lebenslänglich in Deutschland ja meist nicht wirklich lebenslänglich ist. Zudem habe ich viel mit Jugendlichen gearbeitet unter denen auch welche waren, die bereits im Gefängnis gesessen hatten. Irgendwann kam da die Idee auf, Menschen mit meiner Musik etwas Abwechslung zu verschaffen, ihnen zu begegnen und so eine Brücke zu schlagen.
Motor.de: Was macht es mit dir in dieser Parallelwelt zu spielen?
Diana: Tatsächlich fühlt es sich oft überraschend normal an. Klar, ich muss davor ein Führungszeugnis und meinen Personalausweis vorlegen, aber sobald ich drin bin, ist es wirklich wie ein gewöhnliches Konzert. Die Räume sehen auch nicht aus, wie man sich ein Gefängnis vorstellt, sondern sind meist Mehrzweckräume, die für Sport oder Gottesdienste genutzt werden. Hinzu kommt, dass Menschen ihre Vergangenheit nicht angesehen werden kann – Natürlich haben einige wirklich schlimme Sachen getan, aber ich denke, dass eines der größten Probleme im Umgang mit Gefangenen ist, dass sie mit ihren Straftaten gleichgesetzt werden und ihr Hintergrund gar nicht mit einbezogen wird. Deshalb höre ich den „Zeit Verbrechen“-Podcast sehr gerne, da Sabine Rückert oft betont, dass der Podcast gerade auch produziert wird, um zu zeigen, dass jeder Mensch in einer bestimmten Situation in der Lage wäre, schreckliche Dinge zu tun. Die persönliche Geschichte ist zwar keine Entschuldigung, aber es dient möglicherweise einem besseren Verständnis, weshalb Menschen in selbst- oder fremdverschuldeten Situationen solche Maßnahmen ergriffen haben.
Der Podcast hat neben individuellen Biografien auch viel zu meiner Recherche für das Album beigetragen – an Menschen interessiert mich besonders, wie sie sozialisiert und geprägt wurden und was hinter der Art, ie sie sich mir gegenüber verhalten, verbirgt. Im Gefängnis kann die Hintergrundgeschichte der Personen ganz intensiv erspürt werden.
Motor.de: Wie kamst du auf die Idee diese Thematik als Albumkonzept zu nutzen?
Diana: Ich habe letztes Jahr an einem Popkurs in Hamburg teilgenommen. Der Dozent lehrte dort, dass wir mit unserer Musik dem Publikum verschiedene Geschenke machen können – eins davon wäre dem Publikum einen Blick durchs Schlüsselloch zu geben. Diese Sichtweise hat mich fasziniert und auch dazu inspiriert, über das Gefängnis zu schreiben, aber eben nicht nur darüber, sondern über all die Thematiken, die damit gesellschaftskritisch verbunden sind.
Für mich wurde das Projekt dadurch nochmal auf eine andere Ebene gehoben: Zuvor lag mein Einsatz eher innerhalb des Gefängnisses und für die Gefangenen. Jetzt kann ich Menschen außerhalb des Gefängnisses diese andere Perspektive zeigen und sie auf Hintergründe und Probleme aufmerksam machen.
Motor.de: Hat Musik für dich dann schon fast einen lehrreichen Moment?
Diana: Musik ist für mich auf jeden Fall eine Art der Vermittlung und bildet eine Brücke zwischen den Welten, Konstruktionen und Realitäten.
Motor.de: Das Gefängnis wird ja auch immer wieder gern als Metapher verwendet. Findest du das nach deinen Erfahrungen immer noch passend?
Diana: Ich finde schon, dass dieses Bild dennoch passt und kann nachvollziehen, weshalb die Metapher funktioniert. Wir sind ja letzten Endes alle irgendwie gefangen in unseren Prägungen – dementsprechend ist die Gefangenschaft in der Metapher ja nicht ausschließlich räumlich zu verstehen, auch nicht bei Gefängnisinsass*innen. Die metaphorische Gefangenschaft, dieses zurückgehalten werden von der eigenen Vergangenheit, war namensgebend für mein Album „My Past‘s Gravity“.
Motor.de: Hast du manchmal so etwas wie ein „schlechtes Gewissen“, wenn du als Außenstehende ins Gefängnis gehst?
Diana: Ein schlechtes Gewissen nicht, aber natürlich ist es irgendwie krass, dass ich da ungehindert rein- und rausgehen darf und die Gefangenen sitzen da teils noch eine ganze Weile.
Ihr könnt Diana hier auf Instagram folgen und hier geht es zu ihrem Album.
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