(alle Fotos: Alex Lake)
Wir haben Nicky Wire, den Bassisten der Manic Street Preachers zum Kaffeklatsch getroffen und aus ihm ein paar Fakten zu ihrem am 16.9. erscheinenden Album „Rewind The Film“ ausquetschen können.
Hallo Nicky. Wir sitzen mitten im Gibson Center Berlin. Um uns hängen etliche Vorzeigemodelle elektrischer Gitarren, doch wo sind die elektrischen Gitarren auf eurem neuen Album „Rewind The Film“? In den zwei bereits ausgekoppelten Singles waren jedenfalls keine zu hören?
Ich glaube es gibt tatsächlich nur eine einzige elektrische Gitarre auf dem Album. Die schweren Gitarren waren ein wichtiges Merkmal von uns, viele Leute kennen uns für unsere Gitarrensounds, es war also eine große Entscheidung dieses Mal keine aufzunehmen.
Woher kommt diese Entscheidung? Ist das einfach aus dem Bauch heraus passiert?
Nach dem letzten Album „Postcards From A Young Man“ fühlte es sich an, als hätten wir die ganze Energie und all die Melodien, also die großen Manics-Hymnen schon raus gelassen. Erst als wir anfingen aufzunehmen haben wir realisiert, dass wir dabei waren ein sehr zartes Album zu machen. Da hat es sich einfach nicht passend angefühlt, es mit massiven Gitarren zuzuschütten.
Auf Facebook habt ihr gepostet ihr hättet 28 Demosongs neu aufgenomen und dass es sich angefühlt hat, als hättet ihr zwei Alben aufgenommen. Kann man denn mit weiterem Material rechnen?
Ja, man kann mit weiteren Songs rechnen, die mehr post-punkig, wütender und dreckiger sein werden, eher in Richtung „Holy Bible“.
Wollt ihr damit sicher gehen, dass die Fans der härteren, älteren Zeit ebenso zufrieden sein können wie die Anhänger der ruhigeren Songs?
Ja, vielleicht. „Rewind The Film“ dagegen ist wahrscheinlich das größte Risiko, das wir je eingegangen sind seit „Lifeblood“. Es entspricht nicht dem Bild der Leute von uns.
„Rewind The Film“ kommt mir sehr nostalgisch veranlagt vor. Auch in eurem neuesten Video zu „Show Me The Wonder“ seid ihr nicht in einem gewöhnlichen Rock-Setting untergebracht, sondern spielt eine Art lokale Coverband, die ihre besten Tage schon gesehen hat. Spielt ihr mit diesen Angelegenheiten des Älterwerdens und Zurückschauens?
Ja, ich denke schon. Es ist nicht nur so, dass wir versuchen uns selbst zu verstehen, es geht auch um die Reliquien der Vergangenheit. Ich glaube wir sind mit diesem Album richtig aufgewacht. Wir haben in den Spiegel geguckt und gedacht „Hey, wir sind schon 44, wir sind seit 22 Jahren dabei!“ Ich glaube wir wollten einfach ein bisschen ehrlicher zu uns selbst sein und die Ideale der Band in den Griff kriegen. Wir wollten Entscheidungen hinterfragen und wie wir uns verändern könnten. Dazu kommt, dass wir von einer Menge Verlusten umgeben waren, einer meiner besten Freunde ist gestorben… Da befindet sich eine Menge Sterblichkeit auf dem Album. Die Videos wurden beide in der Gegend gedreht, in der wir aufgewachsen sind, „Show Me The Wonder“ spielt in einer Arbeiterkneipe. „Rewind The Film“ behandelt eher die Gegenwart, mit „Show Me The Wonder“ sind wir in die Siebziger gereist und bei dem nächsten Video werden die Achtziger dran sein, es gibt also eine Art roten Faden hinter ihnen.
Manic Street Preachers – Show Me the Wonder on MUZU.TV.
Ihr seid dafür bekannt politisch engagierte Songtexte zu schreiben. Wird auch „Rewind The Film“ kritische Lyrics beinhalten?
Also du musst wissen, dass es eher ein persönliches Album wird, es wird nur einen Titel geben und zwar den letzten auf der Platte. „Thirty Year War“ ist wahrscheinlich die einzige politische Attacke. Prinzipiell wird es eher um die Verluste von Menschen und Idealen gehen, aber der letzte Song handelt von einer speziell britischen Sache, von den Angriffen auf die britische Arbeiterklasse.
Eine weitere Sache die ihr auf Facebook habt verlauten lassen war, dass ein Song wie REVOL heutzutage niemals hoch charten könnte, so wie es vor 19 Jahren der Fall war.
Ja! So kann man das in der Tat sagen. Das Ding ist einfach, dass es nicht mehr diese Art von Kultbands gibt, keine Gefahr mehr! Ich denke, dass der Mainstream so gut wie alles absorbiert hat. Es gibt nichts, was noch schockt!
Kannst du da nicht auch für dich und deine Band sprechen?
Ich denke, dass wir vor langer Zeit korrupt behandelt worden sind. Es ist unmöglich sich des Konsums und der durchdringenden Kultur zu entziehen. Du siehst ja, wir sind schon älter, wir stehen vielleicht schon längst außen vor (lacht), aber es gibt einfach nichts mehr was noch nicht gemacht wurde. Es ist eine gruselige Vorstellung, denn eine Lady Gaga wird heute schon eher als subversiv angesehen als irgendeine Rock- oder Alternativeband.
Es scheint mir aber als würde Pop in letzter Zeit wieder etwas politischer werden. In England singt Bobby Gillespie (The Primal Scream) von den Sklaven des 21. Jahrhunderts und einer ergebenen Unterschicht. Kanye West erinnert in Amerika gerade daran, nicht in eine moderne, spätkapitalistische Sklaverei zu verfallen. Feminismus ist ein weiteres großes Thema. Doch was kann Popmusik denn eigentlich zu politischem Fortschritt und Emanzipation beitragen? Mit welchen Gefühlen schaust du auf die aktuellen Entwicklungen?
Noch mal: Die Leute, die du erwähnt hast sind alle schon lange im Geschäft. Wo sind die jungen Leute, die sich für Politik interessieren? Primal Scream sind älter als ich, die sind fünfzig! Ich frag mich wo die Teenager sind, die nach Rebellion schreien. Ich mein, Kanye West hat sein fünftes oder sechstes Album draußen, oder? Ich sehe nicht, dass die Jüngeren die Sache in die Hand nehmen.
Was meinst du, woran liegt das?
Die jungen Leute sind doch mehr an ihrem digitalen Rechten und ihrem WLAN Empfang interessiert als an Menschenrechten!
In Deutschland verstehen eigentlich die meisten Englisch, doch manchmal scheint es, als würde mit Absicht nicht hingehört werden und so getan, als würde man nichts verstehen. In Großbritannien ist es sicher schwieriger sich als Radiohörer den Texten zu entziehen. In eurem größten Hit hierzulande heißt es ja beispielsweise „If I can shoot rabbits then I can shoot fascists“. Wie sind die Reaktionen auf solche Texte in England?
Es ist schwierig von jedem Einzelnem zu erwarten, dass er die Texte versteht. Das war zwar ein Nummer-Eins-Album, aber ich erwarte trotzdem nicht von jedem zu verstehen, dass es hier um Leute aus Wales ging, die in den spanischen Bürgerkrieg gezogen sind um gegen die Faschisten zu kämpfen. Ich glaube aber, dass die meisten es verstehen, trotzdem geht es gar eigentlich nicht darum. Es ist für eine Band viel eher wichtig sich selbst zu verstehen. Wir haben immer versucht, dass was wir lieben und wofür wir uns interessieren in unseren Texten zu verarbeiten. Darunter fällt halt Politik, andere Musiker, Schriftsteller und natürlich das, was uns am Herzen liegt. Und mehr kann man eigentlich nicht von einer Band verlangen, als dass sie ihre Herzensangelegenheiten zu ehrlichen Songs werden lässt. Es ist halt so, dass ich Politik studiert habe und Richie Moderne Geschichte. Das ist, was immer aus unseren Texten sprechen wird, weil wir das schon unser halbes Leben gemacht haben und wir auch heute noch daran interessiert sind.
Vor ein paar Jahren habt ihr ein Konzert in Kuba gespielt. Neben anderen Gründen war die Reise auch politisch veranlasst, oder? Würde es nicht mehr denn je Sinn machen, darüber nachzudenken in Ländern zu spielen, die sich in politischer Aufruhr befinden? Die bankrotten südeuropäischen Staaten, die nordafrikanischen Länder oder vielleicht die Türkei?
Also Kuba war -wie du schon sagtest- ein Mix aus vielen Faktoren. Es war aber vor allem eine Rock’n’Roll Fantasie, wir wollten einfach mal was anderes machen. Wir haben auch kein Geld damit verdient, eher Tausende von Pounds verloren, aber was die anderen Länder angeht: Ehrlich gesagt spielen wir halt dort, wo man uns haben will. Der Bedeutung nach beurteilt, würde es natürlich auf jeden Fall Sinn machen dort zu spielen, wo die Messages in den Songs auf die größte Resonanz stoßen würden. Die Aufnahme der Songs ist ganz unterschiedlich. Japan, das Land, in dem wir den größten Bekanntheitsgrad außerhalb des UK haben, liebt uns wegen des Rock’n’Roll Glamours und dieses typischen Rock-Nihilismus. In Spanien dagegen sind wir eher für unsere sozialkritischen Texte bekannt. Besonders in Barcelona ist „If You Tolerate This…“ immer noch ein Riesenhit. Es kommt also immer auf die ländertypische Situation an, wie die Songs aufgenommen werden.
Schon seit eurer Gründung seid ihr nicht gerade dafür bekannt, klassische Liebeslieder zu schreiben. Auf ihrem neuen Album singen die Pet Shop Boys „Love Is A Bourgeois Construct“. Gibt es, übertragen auf Euch, eine Verbindung zwischen eurer Abneigung gegen Liebeslieder und euren linken Überzeugungen.
Das ist ein sehr interessanter Ansatz und seltsamer Weise haben wir sogar den gleichen Designer, der unsere Alben gestaltet hat. Ich halte Neil Tennant in letzter Zeit für absolut brilliant und zwar nicht nur die Musik. Auch seine Interviews sind so clever und intellektuell und ich weiß genau wo er herkommt. Aber ich glaube das ist eine Ausrede, als würde man etwas von vornherein ausschließen, um nicht dort hin zu müssen. Ich will einfach nicht darüber schreiben, dass ich für 20 Jahre verheiratet bin. ich will keine Liebeslieder, weil ich sie einfach nicht für wichtig halte, vielleicht sollte ich es ja mal tun. Ich möchte meine Privatsphäre wahren, außerdem fällt es mir viel leichter über soziale und politische Themen zu schreiben.
(Marc Augustat)
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