Obwohl es lange gedauert hat, sind die Manic Street Preachers mit ihrem neuen Album “Postcards From A Young Man” wieder oben auf und erklären, welche Hebel dafür umgelegt werden mussten und weswegen die Band nur knapp der Trennung entging.
Seit mehr als 20 Jahren gibt es dieses Trio nun schon und trotzdem überraschen die Manic Street Preachers regelmäßig Fans wie Kritiker. So auch im Frühjahr 2009, als sie ihr neuntes Album “Journal For Plague
Lovers” vorstellten und viele erstaunt waren, dass die Waliser Songskizzen ihres verschollenen und längst für tot erklärten Gitarristen Richey James Edwards dafür verwendeten. Die Demos des Abtrünnigen hatten sie kurzerhand neu eingespielt und mit einer ähnlichen Intensität vertont, wie zu Zeiten als Edwards neben Sänger James Dean Bradfield, Bassist Nicky Wire und Drummer Sean Moore noch Teil der Band war.
Zu viert schafften die Manic Street Preachers Anfang der Neunziger mit Alben wie “Generation Terrorist” (1992), “Gold Against The Soul” (1993) und der letzten gemeinsamen Studioplatte “The Holy Bible” (1994) den
kommerziellen Durchbruch. Im Februar des darauf folgenden Jahres verschwand Edwards spurlos, ward nie wieder gesehen und errichtete einen Mythos um sich – während die Zurückgelassenen alleine weitermachten und die ungewöhnliche Situation auf einem ihrer besten Longplayer “Everything Must Go” musikalisch verarbeiteten.
Verschwunden war auch der ungestüme Britrock der Anfangstage, mehr Flächen, Streicher und opulente Arrangements bestimmten plötzlich das Klangbild. Bis sich das Trio zu Beginn des neuen Jahrtausends verzettelte, keine gemeinsame Basis mehr fand und fast an sich selbst gescheitert wäre. Erst die beiden letzten Alben sorgten für den dringend nötigen Stimmungswechsel und vielleicht ist ihr neues Werk “Postcards From A Young Man” mit all dem wuchtigen Rockpassagen der endgültige Beweis, dass wir die Manic Street Preachers wieder dick und fett auf der Rechnung haben müssen.
Wie es dazu kam, dass Bradfield & Co. ihr Stimmungstief durchschritten haben, warum sie Interviews wieder zusammen geben und weswegen der zweite Frühling der Manics so dröhnend daherkommt, erklären sie im
motor.de-Interview.
motor.de: Schon wieder ist der Potsdamer Platz im Zentrum Berlins der Ort für eure Interviews – gibt es hier eine bestimmte Magie von der die Anwohner nichts wissen?
Nicky Wire: (lacht) Mir ist es egal, wo wir sitzen und über unsere Alben sprechen. Allerdings mag ich die Tatsache, dass wir den Ort ganz gut kennen.
James Dean Bradfield: Ich mag es hier hingegen sehr. Wir haben am Potsdamer Platz bereits Teile unserer Musikvideos gedreht und selbst wenn es die Berliner nicht gern hören, halte ich die Gegend innerhalb der Stadt
für sehr schön – Prachtneubauten hin oder her.
motor.de: Seit wann gebt ihr die Interviews wieder zusammen und nicht getrennt voneinander befreit?
James Dean Bradfield: Die Zeiten rund um “Know Your Enemy” und “Lifeblood” waren hart für die Band. Unsere einzelnen Egos waren größer als das gemeinsame Projekt und nach “Lifeblood” stand die Sache kurzzeitig auf der
Kippe – Nicky überlegte intensiv, was ihm die Manics noch geben.
Nicky Wire: (unterbricht ihn) Ich habe nicht mehr überlegt als alle anderen auch. Sean ist im Gegensatz zu uns der Ruhepool, James und ich sind eher die lebhafteren Typen und es gibt immer wieder bestimmte Strömungen
wie vor knapp zehn Jahren, als jeder den Chef spielen wollte und das niemanden etwas brachte.
motor.de: Habt ihr deswegen Soloalben veröffentlicht ehe 2007 mit “Send Away The Tigers” die Manics wieder im Mittelpunkt eures Schaffens standen?
James Dean Bradfield: Mein Soloalbum zeigte mir, dass ich es alleine stemmen kann und was ich an der Band demgegenüber schätze: Das Zusammenspiel, die Diskussionen und vor allem der gegenseitige Austausch
fehlten mir plötzlich. Selbst Nicky vermisste all das.
motor.de: Im vergangenen Jahr habt ihr dann “Journal For Plague Lovers” veröffentlicht, das allein auf Songskizzen von Richey Edwards basierte.
James Dean Bradfield: Niemand sollte die Veröffentlichung als Akt der Vergangenheitsbewältigung verstehen. (denkt nach) Richey überließ uns damals sein Notizbuch und wir blätterten irgendwann Mitte 2008 darin herum und spielten im Studio ein paar Sachen nach.
Nicky Wire: Es ist nicht mehr als ein Tribut. Trotzdem machte es uns Spaß die Sachen neu zu arrangieren und deswegen bot sich der Longplayer regelrecht an – allerdings war die anschließende Tour durch England
schwierig, weil die Songs Live nicht so recht funktionieren wollten.
motor.de: Viele sehen nun in “Postcards From A Young Man” ein Appendix zur 95er Platte “Everything Must Go”. Geht ihr da mit?
Nicky Wire: Was die Instrumentierung anbelangt, ja. Nach dem rauen “Journal For Plague Lovers” wollten wir wieder ein großes Fass aufmachen und schön dick auftragen. (lacht)
James Dean Bradfield: Die Songs sollten Räume öffnen und manchmal fühlte ich mich ins Jahr 1995 zurückversetzt – auch was die Stimmung im Studio betraf: Ein kurzes Nicken reichte und jeder wusste sofort was zu tun war.
Manic Street Preachers – This Joke Sports Severed
motor.de: Wie habt ihr es geschafft den ehemaligen Guns N’ Roses-Bassisten Duff McKegan für den Song “A Billion Balconies Facing The Sun” zu gewinnen und warum taucht in “Some Kind Of Nothing” Ian McCulloch von Echo & The
Bunnymen auf?
Nicky Wire: Duff McKegan ist ein großes Vorbild für mich. Er hat Anfang der Neunziger das Bassspiel im Kreise von Guns N’ Roses revolutioniert und meinte damals, er möge unsere Sachen sehr. Vor ein paar Jahren traf ich ihn
endlich persönlich und sein Gastspiel ist eine große Ehre für mich.
James Dean Bradfield: Eines meiner ersten Konzerte war Echo & The Bunnymen und nachdem ich Ian kennerlernte und zu uns ins Studio einlud, ergab sich
seine Mitarbeit bei “Some Kind Of Nothing” wie durch Zufall. Erstaunlicherweise hielt er sich sehr zurück, wollte erst nur den Refrain und keine weitere Zeile übernehmen.
motor.de: War die dritte Kooperation mit John Cale dagegen wie ein Hochschulstudium? Er gilt als sehr kompliziert.
Nicky Wire: (beide grinsen) Kompliziert ist das falsche Wort, eher undurchsichtig. Wenn du mit ihm sprichst, weißt du nicht, was im ihm vorgeht. Manchmal hast du das Gefühl, John gefällt deine Idee überhaupt nicht und dann sagt er: Prima, so machen wir es!
motor.de: Würdet ihr sagen, dass “Postcards From A Young Man” nach dem Richey-Tribut eine Rückkehr zu euren Wurzeln als Trio darstellt?
James Dean Bradfield: Auf keinen Fall. Wir waren nie weg und deswegen gibt es auch kein Comeback. Nach zwanzig Jahren trennt man sich entweder oder man macht ewig weiter. Im Falle der Mancis haben wir uns für Tor “Zwei” entschieden.
Text + Interview: Marcus Willfroth
Vö: 17.09.10
Label: Sony Music
Tracklist:
1. (It’s Not War) Just The End Of Love
2. Postcards From A Young Man
3. Some Kind Of Nothingness
4. The Descent – (Pages 1 & 2)
5. Hazelton Avenue
6. Auto-Intoxication
7. Golden Platitudes
8. I Think I Found It
9. A Billion Balconies Facing The Sun
10. All We Make Is Entertainment
11. The Future Has Been Here 4 Ever
12. Don’t Be Evil
No Comment