Die Geschichte von Maps beginnt am Ende. Dem Ende der Nacht, dem Ende der Musik. Als der letzte Beat verklungen und die Nadel endlich aus der letzten Rille gerutscht war, schlich eine verlorene Seele durch die leeren Straßen von Northampton mit ungefährem Kurs in Richtung Zuhause. Wo sie leider nie angekam. Denn während er euphorisch durch die Dämmerung stolperte, machte dieses ganz spezielle Ende Platz für einen hellen, neuen Anfang; hier, im Halblicht eines beglückend trostlosen Sonntagmorgens, entstand Maps. Auf seiner Umlaufbahn um die Erde war er der erste Audionaut unserer Generation.

Tatsächlich war es in einem verschlafenen kleinen Nest irgendwo im Umland einer unscheinbaren Satellitenstadt in den Midlands, wo Maps das Licht der Welt erblickte. Durch diese uninspirierte Umgebung schwebend, verfiel Maps-Mastermind James Chapman auf einen Sound, der monumental und intim zugleich klingt; glorios und erhebend, und dabei doch immer seltsam melancholisch.

Mit dem Debütalbum We Can Create – aufgenommen in Chapmans winzigem Schlafzimmer, produziert in Kollaboration mit Valgeir Sigurdsson (Bonnie ?Prince’ Billy, Björk) auf einer isländischen Mondbasis und abgemischt von Ken Thomas (Sigur Rós, Hope of the States) – entstand ein Werk voller atemberaubender Extreme. Die elf Tracks decken das gesamte Sendespektrum ab, von euphorischem Spacerock über folkige Downtempo-Flüstereien bis hin zu klapperndem, dumpf pochendem Noise-Pop.

Laut Chapman war es “eine etwas unheimliche Reise”. Von Anfang an fühlte er sich als verlorene Seele und verbrachte seine späten Teenagerjahre mit Gastspielen in diversen Indie-Rock-Bands und Baggy-Revival-Combos. “Die Uni habe ich gehasst”, verkündet er. “Eigentlich wollte ich nur Musik machen und hatte schon Angst, dass es nie passieren würde; was mich einigermaßen deprimierte. Als ich eine Zeitlang krank war, machte die Musik mir Hoffnung. Es gab eine Phase als ich überhaupt nichts machte, nur den ganzen Tag im Bett lag und Musik hörte.”

Im selbst geschaffenen Vakuum seines Schlafzimmers verschanzt, fungierten Chapmans Plattenteller als Kompass und leiteten ihn sicher durch seine emotionalen Turbulenzen. Der Tag, an dem er endlich seinen Kurs erkannte – der Tag, an dem Maps seine Richtung fand – war der Tag, als Chapman die elektronische Musik entdeckte. Bald kollidierten auf Chapmans Stereoanlage Aphex Twin und Two Lone Swordsmen mit den Stone Roses und Spiritualized, bis die Funken flogen und ein Feuer entfachten, das noch heute in ihm lodert. (Dabei ist Chapman entwaffnend ehrlich bezüglich seiner Plattensammlung, die nur bis 1989 zurückreicht – in sein persönliches Jahr Null: “Ich höre mir keine alten Sachen an”, erklärt er, “sondern beginne bei ’89 mit den Stone Roses. Neue Musik, die noch niemand gehört hat, finde ich einfach spannender.”)

Sein Songwriting ist für ihn eine Art Therapie, und so begann Chapman gewissenhaft, an einem neuen Sound zu feilen – einem himmlischen, andersweltlichen Lärm, der expandierte und sich entfaltete, bis er jeden Zentimeter seines zunehmend überfüllten Heimstudios ausfüllte. Häufig arbeitete er die ganze Nacht durch, denn sein delikat summender Rock schien in den Dämmerstunden einfach freier und glatter zu fließen. Erstaunlicherweise nahm Chapman We Can Create völlig ohne Computer auf, lieber arbeitete er mit seinem alten 16-Spur-Recorder – seinem persönlichen Pendant zu einem Mischpult in Lee Perrys Black Ark.

Einige seiner Songs kamen unglaublich leicht zustande (“Ich wachte auf und sang Elouise”, erinnert er sich – und meint damit vermutlich den Text zu ?Glory Verse’: “Manche Songs schienen sich wie von selbst zu schreiben”), andere dauerten Wochen und Monate, mussten skizziert, repariert und wieder neu aufgenommen werden. “Wie ein kleines Puzzle”, sagt Chapman über seine eigenwillige Arbeitsweise. “Man muss alles genau austüfteln und die Stücke zusammenfügen.” Häufig waren die Vocals das letzte Puzzleteilchen. Immer wieder kombiniert Chapman auf We Can Create spärliche, scheinbar einfache Texte mit zutiefst komplexen, vielschichtigen Instrumentierungen. In ?Don’t Fear’ wird ein einziger Satz solange wiederholt, bis er wie ein Mantra klingt. “Das ist alles, was ich ausdrücken wollte”, erklärt er. “?Don’t fear the sun.’ Mehr hatte ich nicht zu sagen.”

Als Chapman endlich sein Homestudio verließ, um wieder in die Erdatmosphäre einzutreten, brachte er einen beachtlichen Stapel neuen Materials mit. Seine Ankunft kündigte er im großen Stil mit ?Start Something/To The Sky’ an (bei seinem eigenen Label Last Space Recordings erschienen), einem überragenden Electro-Psychedelia-Release, der Vergleiche vom Offensichtlichen (Granddaddy, The Postal Service) bis hin zum Obskuren (Simon & Garfunkel, The Byrds) heraufbeschwor. Genau wie die darauf folgenden Veröffentlichungen ?Lost My Soul/Sparks in the Snow’ und ?Don’t Fear’ war die EP innerhalb weniger Wochen nach ihrem Erscheinen ausverkauft.

Und so ging Maps Anfang 2006 endlich auf Sendung, und Chapmans neuer Sound fungierte als Leuchtfeuer für verlorene Seelen und Gleichgesinnte, seine Relevanz fand sich in der Spannbreite und dem Ehrgeiz von Spiritualized, der Beharrlichkeit von My Bloody Valentine, den Vibes und dem Spaßfaktor der Chemical Brothers, dem elektronischen Forscherdrang von Carl Craig und den verstörenden Melodien von Mercury Rev.

Jede Menge Kritikerlob folgte. Der britische Guardian schrieb Chapman “einige der süßesten, düstersten, herzerweichendsten Melodien, die man je zu hören bekommen wird” zu. Time Out äußerte sich ähnlich begeistert und ergänzte: “(Chapmans) Musik erweckt den Eindruck, dass er, genau wie Spacemen 3, viel Zeit mit dem Kopf in den Wolken zubringt und die Welt durch den Weichzeichner betrachtet.” ?Don’t Fear’ wurde später im NME auf Platz 26 der 50 Top-Singles des Jahres 2006 gewählt.

Kurze Zeit später wurde Chapman in die Umlaufbahn des legendären isländischen Produzenten Valgeir Sigurdsson katapultiert, und gemeinsam machten sich die beiden daran, die Schlafzimmer-Sessions in Maps’ Debütalbum zu verwandeln. Zurückgezogen in Sigurdssons Studio in den Außenbezirken von Reykjavik war Chapman wieder einmal isoliert, die Musik war sein einziges Ventil. Im Laufe der folgenden Monate lieferte Islands Mondlandschaft den perfekten Hintergrund zu Maps wirbelnden Elektronikklängen, und We Can Create durchlief die stetige Metamorphose von einer Demosammlung, aufgenommen auf einem alten 16-Spur-Recorder, zum ersten wahrhaft epischen Album des Jahres 2007.

“Als ich zuhause arbeitete, hatte ich immer die Vision, dass eines Tages ein Album daraus werden würde, und zwar ein möglichst großes”, sagt Chapman. “Ich glaube, genau das ist Valgier und mir gelungen.”

Und so präsentiert sich Maps der Welt im Jahr 2007 am Rande des Ungewissen, doch wenn man seiner stetig wachsende Sammlung von Lobeshymnen Glauben schenken darf, dann ist dies der Anfang von etwas sehr Großem. Von der britischen Musikpresse bis hin zu Radio 1-DJ Colin Murray, der Don’t Fear unter seine Lieblingssingles des letzten Jahres wählte, wird Maps als einer der innovativsten und bahnbrechendsten Künstler gehandelt, die seit langer Zeit auf der Szene aufgetaucht sind.

“It will find you”, singt er optimistisch im gleichnamigen Song. Wenn ihr diese Zeilen lest, ist es ihm längst gelungen.

We Can Create erschien am 13.07.07 bei Mute.

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