Nach einer polarisierenden Scheidungsplatte findet Marilyn Manson auf “The High End Of Low” nicht nur noch weiter zu sich selbst, sondern mit Twiggy auch einen alten Freund in den eigenen Band-Reihen wieder.

“Ich habe meine Stärken wieder entdeckt und wenn die Leute sich fragen, was mit mir nach der letzten Platte in der Zwischenzeit so alles passiert ist, dann liefert dieses Album, wenn man es sich genau anhört, dazu die Antworten”, referiert Meister Manson über sein siebtes Studioalbum.

Wer sich nun in freudiger Erwartung eines neuen “Antichrist Superstar” wähnt, kann seine Frohlockungs-Gefühle in diese Richtung allerdings gleich wieder einmotten. Denn auch wenn “The High End Of Low” mit wieder gewonnenem Biss, Frischesiegel und Manson’scher Wortspielgewalt daherkommt, ist die Scheibe musikalisch weit von jenem Industrial-Metal-Prototyp entfernt.

Mit noch mehr introspektivem Low Fi-Ansatz als auf dem Vorgänger “Eat Me, Drink Me” gibt Manson hier mit veritablen Songwriting-Variabeln den zunehmend Produktions-bombastlosen Boheme-Belzebub. Er sonnt sich im nachtaktiven künstlerischen Dunstkreis von Depeche Mode, den Lichtgestalten des subtilen Siebziegerrocks, David Bowie und Iggy Pop, sowie im Schatten seiner eigenen ehemaligen Kunstfigürlichkeits-Camouflage. Quasi die “Mechanical Animals”-Glam-Alien-Abstraktions-Fassung in Redux, personalisiert und reduziert.

Ich versuche heute nicht mehr, durch Metaphern zu kommunizieren, mich hinter ihnen zu verstecken und mich als Person dabei auszuklammern. Auf dieser Platte bin ich ich selbst. Sie enthält meinen Ärger, meinen Schmerz und meinen Sinn für Humor. Ich habe bei der Arbeit an diesem Album gemerkt, dass ich gar keine große fiktionale Geschichte oder ein Konzept entwerfen muss. Ich wollte eine Platte machen, die kommuniziert, wie kompliziert es ist, ich zu sein. In meiner eigenen Haut zu stecken ist schwierig, darüber Songs zu schreiben um einiges leichter.”

Mit der Rückkehr Twiggys, der heute als federführender Gitarrist die reine Bassisten-Rolle, den kreativen Zwist mit Marilyn sowie seinen einstigen Künstlernachnamen “Ramirez” ad acta gelegt hat, hat Mr. Manson dann jenen verlorenen Seelen-Verwandten wieder um sich, der scheinbar mehr als eine Dita Von Teese oder Evan Rachel Wood das marode geglaubte Manson-Universum co-produktiv zu stützen weiß.

Marilyn Manson – Arma- Goddamn- Motherfuckin- Geddon

Ich empfinde das Album nicht als ein Neuaufguss oder eine Wiederauflage von etwas früherem, aber es hat dieselbe Attitüde wie früher. Insbesondere trifft das auf die kreative und freundschaftliche Beziehung mit Twiggy zu. Wir haben beide realisiert, dass jeder für sich alles erreichen kann, was er will, aber gemeinsam erreichen wir noch viel mehr. Das zeigt diese Platte.”

Der Blick hinter jene Fassade, von Manson und den Medien über die Jahre im Wechselspiel aufgebauten und aufgebauschten “Gut vs. Böse”-Schemata-Schlagabtausch abgenutzt, ist das, was heute viel mehr zählt und über reine Tabu-Bruch-Schamgrenzen hinausgeht. Manson provoziert nicht mehr (für) die Öffentlichkeit, sondern öffentlich ungeniert als die Persönlichkeit, die er nun mal ist: “Ich wollte nie ein Produkt sein. Etwas, was andere aus dir machen. Darin besteht die größte Schwierigkeit: Es ist nicht einfach, kein Auto zu sein, wenn Leute dich als eines verkaufen wollen.”

Frank Thießies