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So ziemlich das Gegenteil von politischer und musikalischer Anti-Aggressionstherapie: Mark Stewart und sein neues Album “The Politics Of Envy”.
“Anger Is Holy” heißt ein Stück von 1987, Punk liegt ein Jahrzehnt zurück und besser ist seitdem natürlich nichts geworden im Margaret-Thatcher-Großbritannien, in dem es nur noch einen kleinen Moment dauert, bis eine Generation Kids sich mit Ecstasy und bei illegalen Warehouse-Raves aus der bleischweren Realität der verfallenden Post-Industrie-Städte tanzt. Der heilige Zorn des Mark Stewart wütet über neun Minuten, man hört schon die Rave-Rhythmen, meistenteils vergraben allerdings unter dröhnenden Gitarrensamples, enervierenden Megaphon-Vocals und eiskalt klirrenden Industrial-Effekten. Alles ist irrsinnig laut, unberechenbar, auf eine zwingende Art kaputt. So wie das Land halt auch, zumindest aus Sicht der Verlierer der Privatisierungen, der Entstaatlichung, der unbarmherzigen Welle der enthemmten kapitalistischen Gier, die in Großbritannien auch mit Polizeigewalt durchgesetzt wird, wenn der Widerstand massiv wird. 25 Jahre später sind die Parallelen frappierend: die gesellschaftlichen und die musikalischen. “The Politics Of Envy”, die Politik des Neids, heißt das aktuelle – und das meint nicht nur “neu” – Album von Mark Stewart. Es gibt nicht so viele englische Musiker, denen man bescheinigen darf, dass sie immer Recht hatten: gesellschaftlich und musikalisch.
Mark Stewart vs. Primal Scream – “Autonomia” (2012)
Mark Stewart ist ein ziemlich breitschultriger Hüne – einer, mit dem man sich lieber nicht prügeln möchte, schon das unterscheidet ihn von all den spillerigen Post-Punk-Apologeten, die den englischen Indie-Diskurs seit einigen Jahren mit Alt-Referenzen dominieren, die in eine Zeit reichen, die er maßgeblich mitbestimmte, auch wenn die Musik von The Pop Group bis heute eine Art Insider-Ding geblieben ist. Zu irrwitzig war die Mischung aus eher wenig “Pop”, Punk, Jazz und Dub, um schon damals wirklich Mehrheiten zu erreichen. “DIY Sturm-und-Drang” nannte der englische DJ und Popchronist Dave Haslam die Bandgeneration der Wire, Public Image Limited, Cabaret Voltaire oder eben The Pop Group um 1980, die der eindimensionalen Punkriffs überdrüssig waren und begierig Popmusikkultur aufzusaugen begannen. Nicht zuletzt die der in England immer zahlreich vertretenen jamaikanischen Gemeinde, die zur Energie des Punk und dem Intelligenzia-Potenzial der Kunsthochschul-geprägten Musikszene den Offbeat und Dub, den Vater aller Remixe, beizutragen hatten, was – wie man heute weiß – so ziemlich der wichtigste Schritt für die Dekonstruktion der bis dato eher platt-funktionalen Geradlinigkeit von Rockmusik war.
Nicht wegzudenken ist Mark Stewart aus der jüngeren Musikgeschichte Bristols, The Pop Group gelten bis heute als die Initialzündung für die Entwicklung des späteren “Bristol Sound” von Portishead, Tricky oder Massive Attack, auch wenn sich bei ihnen die inhaltliche Zielrichtung weg vom dreisten Polit-Sloganizer-Ansatz eines Mark Stewart irgendwann auf die eher innere Verfasst- und Verstörtheit richtete. Stewart selbst war da schon lange in London und verfasste seine radikalen Polit-Pop-Entwürfe erst bei Dub-Wizard Adrian Sherwood und seinem legendären On-U-Sound-Label, später beim noch deutlicher an den Rändern der Hörbarkeitsgrenze nach Pop-Maßstäben agierendem und damit Industrial-tauglicherem – nicht weniger legendärem – Mute-Label.
The Pop Group – “She Is Beyond Good And Evil” (1979)
Eine Menge Geistesverwandte und Weggefährten aus den wilden Tagen hat sich Mark Stewart für “The Politics Of Envy” ins Studio geholt: den New Yorker Avantgarde-Noise-Punker Richard Hell, den großen alten Dub-Poeten Lee “Scratch” Perry, Massive Attacks Daddy G., Primal Scream und deren mindestens in Quartalsschüben ebenso radikal-wütenden Frontmann Bobby Gillespie, die Girlpunk-Legenden Gina Birch und Tessa Pollitt, den Clash– und P.I.L.-Gitarristen Keith Levene, auch Achim Treu, Musiker bei den deutschen Ausnahme-Exzentrikern Der Plan und Mutter. Es ist eine illustre Mischung aus widerborstigen Persönlichkeiten, meistenteils aus dem Schattenreich abseits der ganz großen Popularität, mit gewissem Kult- und Liebhaberstatus behaftet und künstlerisch so ziemlich überall, nur nicht im “Mainstream” verortet. Deren Ansammlung in geballter Form ist denn auch ein Statement zur Lage der Dinge in Zeiten von London Riots, Arabellion, 99%- und Occupy-Movement.
In Zeiten der inzwischen nicht mehr zyklischen, sondern permanenten Krise und den dagegen beschworenen “alternativlosen” Konzepten zwischen Verzweiflung, Rat- und Rücksichtslosigkeit und der immer unverhohleneren Anbiederung an ausgerechnet diejenigen, die daran die meiste Schuld tragen. Dass das Übel letzten Endes nicht an Personen sondern an Systemen hängt, kann man nicht oft genug sagen. Oder herausmusizieren. Diese politics of dancing ist eben auch beste britische Tradition. Begonnen hat sie mit der musikalischen Generation eines Mark Stewart. Gebraucht wird sie mehr denn je.
Augsburg
Mark Stewart: “The Politics Of Envy”
VÖ: 13.04.2012
Label: Future Noise / Rough Trade
Tracklist:
01. Vanity Kills
02. Autonomia
03. Gang War
04. Codex
05. Want
06.Gustav Says
07.Baby Bourgeois
08.Method to the Madness
09. Apocalypse Hotel
10. Letter to Hermione
11. Stereotype
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