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Nun hat’s mich selbst erwischt: “Deine Argumente begünstigen Kinderpornographie!” schallte es mir von einem für seine Arbeit hoch geschätzten, ehemaligen Independent-Musikunternehmer aus dem Publikum entgegen. Ich hatte mich bei einer Veranstaltung auf dem Podium gegen den französischen Gesetzentwurf zur Sperrung der Internetaccounts von Filesharern und stattdessen für eine echte Flatrate (die mindestens so gut wie Bittorent ist) ausgesprochen. Er war ehrlich aufgebracht. Vor ihm saß der Geschäftsführer des Verbands der Deutschen Musikindustrie, guckte von seinem Blackberry auf und konnte sich das Schmunzeln nicht verkneifen.
Ich hingegen fand das gar nicht lustig. Er hat keine Kinder, aber ich bin Vater zweier Töchter. Wenn man Kinderpornographie durch die Gleichsetzung mit Filesharing verharmlost, sorry, da hört der Spaß bei mir auf. Wie verzweifelt muss eine Industrie sein, etwas so im eigenen Interesse zu verargumentieren? Wie kann man in Gottesnamen überhaupt auf die Idee kommen seine potentiellen Eigentumsrechte mit dem missbrauchten Leben eines Kindes zu vergleichen? Aus taktischen Gründen moralische Grenzen zu verletzen, das tut sonst nur Eva Hermann um Bücher zu verkaufen. Aus gutem Grund ist die in ihrem Stamm-Medium TV ein Auslaufmodel.
Andersherum erzürnt mich das aber genauso: Wer Interesse an der Aufrechterhaltung der Freiheit im Datenverkehr hat und sich deshalb dagegen verwendet, dass im Netz Seiten mit Kinderpornographie von den ISPs gesperrt werden, verhält sich ebenso gleichgültig und verantwortungslos. Der jeweilige Provider hat eine natürliche Pflicht hier sofort einzugreifen, sobald er des Treibens gewahr wird. Es versteht sich von selbst, dass es keine Site www.kinderporn.de geben darf.
Eigentlich verhält es sich so wie beim Marktrecht seit Jahrhunderten geregelt: Ein Marktveranstalter, der zulässt, dass verbotene Güter auf seinem Markt wahrnehmbar gehandelt werden, macht sich strafbar. Den Stand der zum Beispiel offen Kokain verkauft, muss er schließen, sonst ist er mit in der Haftung. Er verdient als Marktplatzvermieter schließlich daran und deshalb ist ihm zuzumuten, auf diesem Handelsfeld auch für eine gewisse Ordnung zu sorgen. Teilweise sieht man deshalb sogar Ordner mit der Armbinde „Marktpolizei“. Der Marktveranstalter ist jedoch nicht verantwortlich, wenn das Kokain unterm Ladentisch gehandelt wird. Seine „Marktpolizei“ hat kein Durchsuchungsrecht, muss sich aber das anschauen, was offen angeboten wird.
So weit okay, aber sehr viel mehr wird durch Frau von der Leyens Entwurf im Internet auch nicht bewirkt. Eher sogar weniger, denn hier guckt nur der Staat. Davon abgesehen, dass der Gesetzestext handwerklich mangelhaft zu sein scheint, ist es fatal, dass die Initiative von ihren Parteigängern als Lösung des Problems und nicht als Selbstverständlichkeit verkauft wird. Genauso wenig, wie man den Handel mit verbotenen Gütern mit dem Marktrecht allein in den Griff bekommt, wird man leider einer Verbreitung die mehrheitlich über Mail-, Mobile- oder Filesharing geschieht mit von der Leyens Initiative Herr werden.
Nur wenn die Freiheit des einzelnen das Leben von Dritten gefährdet, darf der Staat die Bürgerrechte einschränken. Deshalb können im Fall von Kapitalverbrechen auch durch staatliche Stellen Telefone abgehört, Briefe geöffnet, Mails von Dritten gelesen werden. Das ist nicht schön, aber nachvollziehbar. Treffen kann das denjenigen, der eben zum Beispiel mit Kokain oder Kinderpornographie zu handeln versucht. Ein notorischer Ladendieb würde in diesem Sinne niemals überwacht werden, derjenige, der seiner Freundin ein Mixtape zusammenstellt auch nicht und fordern tut diese Form der Überwachung und Verfolgung durch eine Gleichsetzung mit den zuvor genannten Kapitalverbrechen auch keiner.
Für die etablierten Musikproduzenten mag der Verlust des Geschäftsmodels schmerzhaft sein, die Ungewissheit die mit neuen Angebotsformen einhergehen wird groß, ein neues Urheberecht unabwägbar, beschäftigen sollten sie sich jedoch mit den Lösungen. Statt zu hoffen dass auf dem Rücken Dritter (in diesem Fall der dringend zu schützenden Kinder) ihnen der perfekte Schutz im Internet beschert wird, ist nicht nur amoralisch, sondern auch eine technische Illusion.
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