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Marla Blumenblatt im Interview

(Quelle: Four Music)

Marla Blumenblatt – ein Name wie aus einem Tolkien-Roman. Wer an kleinwüchsige Hobbits und aufregende Abenteuer denkt, wird sich zumindest bei ersterem bei genauerer Betrachtung enttäuscht zeigen. Was die Abenteuer angeht, kann die Wahlberlinerin allen Fantastereien die Stirn bieten und entführt uns musikalisch und vor allem mit ihrer betörenden Stimme in eine Welt voller Rockabilly, Retropop und gepunkteten Petticoats. Ich traf Marla bei glühender Sonne im Edelweiss im Görlitzer Park und plauderte mit ihr über das Ballett, Zweideutigkeiten und Heimatfilme. 


(Quelle: Four Music)

Aufgewachsen ist Marla Blumenblatt in Wien. Ein Tanzstipendium führte sie dann über das große Wasser nach New York – dem Ballettstudium sei Dank. Dass ihre heutigen Bühnenauftritte nicht mehr allzu viel mit dem klassischen Ballett wie ich es mir vorstelle zu tun haben, ist für sie eine logische Konsequenz.
„Ich hab dann natürlich in New York getanzt, aber da wurde mir relativ schnell klar: Ballett wird’s nicht. Also nicht so wie ich mir das vorstelle. Ich hab mich einfach eingeschränkt gefühlt. Alles im Ballett ist sehr klassisch und streng. Man limitiert sich in der Ausdrucksform und dann war für mich klar, dass ich zurück nach Europa will.“

Dieses „zurück nach Europa“ ließ die Tänzerin Marla zuallererst Halt in Paris machen. Genauer gesagt im berüchtigten 'Crazy Horse'. Und eben dort fühlte sie sich zum ersten Mal – im wahrsten Sinne – frei. Das Varieté-Etablissement prägte auch die Sängerin Marla Blumenblatt und selbstverständlich lässt sich vom erotischen und freizügigen Stil des Traditionshauses sehr viel mehr in der Liveperformance der attraktiven Ballerina erkennen, als es ihre klassische Ballettausbildung vermuten lässt. 
„Ich konnte mich da einfach total entfalten. Eben auch in der Art, wie ich selbst bin. Temperamentvoller. Ich wusste vorher gar nicht, dass ich das kann. Ich bin in Paris ein bisschen ins Blaue gestartet. Ich musste mich im Ballett immer anpassen – das kann ich einfach nicht. Im 'Crazy Horse' konnte ich einfach Frau sein. Man spielt mit der Sexualität und dem Bild der Frau. Das war das tolle.“
 


(Quelle: Four Music)

Die Frauenrolle im Ballett war ihr häufig zu einengend: das sanfte Mäuschen, die eifersüchtige Schwiegermutter, das arme Opfer starker Männer. Marla Blumenblatt ist kein Opfer – und wollte auch keine Opfer mehr darstellen müssen. Mehr als alle Popsängerinnen und Nena zusammen baut sie quasi aus dem Stand das Bild einer starken, selbstbewussten und vor allem selbstbestimmten Frau auf, die mit sich und der ganzen Genderdebatte im Reinen ist und das tut, worauf sie Lust hat. In Marlas Fall war die Lust eindeutig: Musik. 

Schon im Interview wird deutlich, wie viele Gedanken sich da im Kopf der jungen Weltenbummlerin zeitgleich abspielen müssen. Quirlig erzählt sie vom Texteschreiben und Aufnehmen im Studio, dem Produktionsteam und all den originalen Instrumenten, mit denen ihr Retropop eben nicht nur nach den 50er Jahren klingt, sondern offensichtlich auch tatsächlich 50er Jahre-Sound ist. Die Retrobegeisterung, die sich durch ihr Debütalbum „Immer die Boys“ zieht, scheint also allen Befürchtungen zum Trotz kein ausgefuchster Marketingtrick zu sein. Die „Indieboys“ in ihrer Band feiern das altehrwürdige Equipment genauso wie Marla selbst. Dazu kommt das stilechte Outfit: adrettes Kleidchen, dezent-aufreizendes Makeup und strahlende Augen, sobald das Thema Vinyl aufkommt. Dass ihre Musik Ecken und Kanten hat, die sicher auch den ein oder anderen da draußen stören, weiß Marla. 
„Ich glaube für viele Zuhörer ist das vielleicht auch fürchterlich, weil es ungewohnt klingt. Aber alles besinnt sich ja auch wieder zurück und gerade das Musikhören auf Vinyl ist ja auch ein viel bewussteres Hören. Ich glaube schon, dass die Musik auch gefallen wird. Das ist eben so ein bisschen back to the roots. Da ist nichts glattgebügelt, das ist rough und da wurde nicht dran rumgeschnippelt. Dafür musste ich es tausendmal einsingen.“

In ihrer Musik spiegelt sich für Marla das Beste wider, was sie aus New York, Paris, Wien und Berlin mitnehmen konnte. Selbstbewusstsein, Stil, Prestige und Eleganz – dazu kommt eben diese mädchenhaft-unschuldige Attitüde, die man ihr unter keinen Umständen gänzlich abkaufen sollte. Sie ist mädchenhaft, fast zuckersüß – aber nicht unschuldig. Mit den doppeldeutigen Texten und ihrem Retro-Charme polarisiert Marla Blumenblatt ungemein, alles aber durchaus authentisch und so ungekünstelt es das Genre eben hergibt. 
„Klar gibt es auch Leute, die mit meinen Texten nichts anfangen können. Männer die sich bedroht oder überfordert fühlen, auch Frauen. Aber das ist auch ganz gut so. Es kann ja nicht nur Frauen wie mich geben, oder nur Mäuschen. Es muss beides geben. Oft höre ich aber auch, dass sich Frauen über meine Texte freuen und gut finden, dass jemand das singt, was sie auch denken. Ich finde es eben auch interessant und spannend als Frau Sachen anzusprechen, die vielleicht nicht gleich so offensichtlich sind – aber eigentlich doch. Im Prinzip sind das schon sehr sexuelle Texte.“

Darüber freut sich Marla – und es ist keine beiläufige Freude über den Text eines fremden Songschreiberlings. Ihre Texte schreibt sie, wenn auch in Kooperation, alle selbst. Zwei Köpfe und vier Ohren wären, so Marla, einfach besser im Synonyme finden. Der Hauptteil entstammt jedoch ihrer Feder, kommen die Ideen dazu doch meist aus eindeutigen Situationen ihres Alltags. Das tanzflächentaugliche „Cornetto“ bildet wohl die Speerspitze ihrer subtilen Erotik und ist, bei genauerem Hinhören, weniger subtil als höchst eindeutig. 

Eins ihrer Idole ist Caterina Valente, ihrerseits ebenfalls bekannt für zweideutige Eindeutigkeiten in den 60ern und großes Vorbild, was das verpacken von pikanten Erfahrungen angeht. „Immer die Boys“ war also so etwas wie die Aufgabe, die alltägliche Erotik einer jungen Frau in salonfähige Worte zu packen. Das Ergebnis kann man sich seit letztem Freitag kaufen

Auch wenn zumindest die musikalische Karriere von Marla Blumenblatt noch jung ist, lässt es sich doch ganz gut weiter träumen. 
„Ich würde gerne mal in einem Heimatfilm mitspielen. Das würde ich abfeiern. Das ist so ein Mädchentraum von mir. Da könnte ich dann meinen Wiener Slang rausholen und mit einem Käfer rumfahren und auf der Alm rumspringen. Das wäre lustig.“
Da kommt das bodenständige Mädchen in der sonst so freizügigen Sängerin also doch wieder zum Vorschein. Vielleicht ist das jedoch auch nur einer ihrer vielseitigen Retro-Wesenzüge, die sie als Gesamtkunstwerk und Person zwischen Schulmädchen und moderner Großstadtdame zu einer selbstbewussten und interessanten Frau machen. 

Was bleibt also von diesem heißen Nachmittag in der Berliner Sonne im Görlitzer Park mit der Retro-Pop-Queen, wie Marla Blumenblatt jüngst bezeichnet wurde?
Es bleibt die Erkenntnis, dass das Spielen mit Klischees in der Popmusik nicht zwangsläufig einer Werbestrategie zugrunde liegen muss, sondern einer persönlichen Überzeugung entspringen kann. Dass der Albumtitel „Immer die Boys“, wie ich finde, leider unglücklich gewählt ist. Dass es kein schwarz-weiß gibt, sondern dass zwischen Unschuld und Sünde mindesten fünfzig Grautöne liegen. Und es bleibt die Erkenntnis, dass es mit Marla Blumenblatt endlich eine ordentliche Alternative zu den Frida-Golds in dieser Popmusik gibt – dazu noch eine, die man mögen kann, wenn man denn will. 

 

Julian Weicht

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