Sänger, Violinist, Straßenmusiker und verdammt viel Selbstbewusstsein – Marques Toliver ist in seiner Heimat ein kleiner Superstar und spielte sich mit seiner Geige nicht nur in die Herzen von Spaziergängern. motor.de traf den Sympath bei seiner Support-Show für James Blake.

(Foto: Kevin Morosky)

Auf dem harten Pflasterstein hat für Marques Toliver alles begonnen. Der 24-jährige Amerikaner ist Straßenmusiker. Doch nicht irgendein dahergelaufener Taugenichts. Toliver spielt seit frühester Kindheit Violine. Ob im britischen Brighton, im New Yorker Central Park oder in seiner Heimat Florida – Toliver hat sich in kurzer Zeit zu einem populären Straßenmusiker gemausert. Entdeckt von TV On The Radios Kyp Malone, arbeitete er nicht nur mit den Art-Rockern zusammen, sondern spielte bereits Support-Tourneen für Grizzly Bear und Bat For Lashes. Seitdem wird der Herr selbst von Superstars wie Adele als “favourite new artist” hofiert. Die Britin war es auch, die Jools Holland anrief, um ihm von den Talenten dieses jungen Mannes zu berichten. Ende April erschien via Bella Union seine erste EP “Butterflies Are Not Free”. Auf den vier Tracks zeigt Toliver ein beeindruckendes Gespür für wonnige Melodien, die ihren Ursprung sowohl im Soul als auch im Pop haben. In der vergangenen Woche war er bei der Tour von James Blake zu sehen. Vor seinem Auftritt sprach der gutgelaunte Sänger mit motor.de über seinen gar nicht so steinigen Weg, den Willen zur Kontrolle und Beyoncé.

motor.de: Marques, wie geht’s dir? Du bist gerade gemeinsam mit James Blake auf Tour. Wie waren die bisherigen Auftritte?

Marques: Naja, mir ist zwar gerade eine Saite gerissen, aber dennoch: mir geht’s richtig gut. Gestern waren wir in Hamburg und es war unglaublich. Viele Leute haben sich das Konzert angeguckt und waren hellauf begeistert. Danach sind alle zum Merch-Table gekommen und haben mich gefragt, wer ich bin und wo ich herkomme. Ich glaube, ich konnte ein paar neue Fans gewinnen (lacht).

motor.de: Ist das deine erste Tour durch Deutschland? Warst du bereits vorher schon einmal in Berlin?

Marques: Ja, es ist mein zweites Mal. Ich war bereits im Sommer hier und habe zusammen mit Vetiver gespielt. Es war toll, aber noch kenne ich nicht viel von der Stadt.

motor.de: Bei einem längeren Aufenthalt würdest du schnell feststellen, dass Berlin – so wie wohl jede Großstadt – eine Vielzahl an Straßenmusikern hat. Viele spielen dabei regelrecht um ihre Existenz. Deine Geschichte ist da ein wenig anders, oder?

Marques: Naja, ich hatte immer etwas Geld. Doch dieses Geld habe ich mir hart verdient, weil ich auf der Straße meine Musik gespielt habe. Straßenmusik war schon immer ein Teil meines Lebens. Ich meine, wenn du etwas von deinem Handwerk verstehst, dann hast du auch Erfolg. Die Menschen in Europa, Nordamerika oder Australien mögen meine Musik. Allerdings bin ich erst am Anfang meiner Karriere.

Marques Toliver – “White Sails” (live bei Jools Holland)

motor.de: Aktuell wohnst du in London, geboren wurdest du jedoch in Florida. Vor ein paar Jahren bist du dann nach New York gezogen, richtig?

Marques: Ja, ich bin nach New York gezogen, aber ich bin nicht wirklich umgezogen. Ich wollte in der Stadt eigentlich nur ein paar Freunde besuchen. Doch ich bin dann einfach dort geblieben, weil es mir gefallen hat. Meine ganzen Sachen waren zu dieser Zeit immer noch in Florida. Es ist einfach passiert. Und schwupps, war ich in New York hängengeblieben.

motor.de: Und deine Geschichte gibt dir Recht, denn in New York bist du aufgrund deiner Musik zu einem regionalen Superstar geworden.

Marques: Ja, ein Superstar im Allgemeinen (lacht). Bevor ich Ende 2006 in New York gestrandet bin, habe ich in Florida begonnen mit der Straßenmusik. Und ein paar Freunde, die in New York lebten, haben mich eingeladen, um dort zu spielen. Und so wurde aus einer Woche ein Monat, aus einem Monat ein Jahr. Es ist einfach so passiert.

motor.de: Da könnte man ja fast glauben, dass die Straßenmusik der richtige Weg sein könnte, doch war es wirklich so einfach?

Marques: Ich glaube, du musst wirklich unglaublich sein, wenn du Straßenmusik machst. Du brauchst wirklich viel Talent. Etwas, das die Welt noch nicht gesehen oder gehört hat. Ich habe in U-Bahnen gespielt und zunächst dachten die Menschen nur ‘Ach, der Typ dort spielt Geige. Na, wow!’ und haben sich alsbald abgewendet. Doch ich singe zusätzlich noch und das fügt diesem Bild eine neue Dynamik hinzu, die Menschen so nicht gewöhnt sind.

motor.de: Wenn du zurückblickst, was war das Wichtigste, das du von der Zeit auf der Straße gelernt hast?

Marques: Das Wichtigste? (überlegt lange). Das ist schwer zu sagen, ich denke nicht, dass die Straßenmusik vorbei ist. Ich würde eher sagen, dass ich immer noch lerne. Ich kann das immer noch machen. Oder aber ich werde so berühmt wie Michael Jackson, dann baue ich mir meine eigene U-Bahn und spiele dort meine Konzerte, wo ich alle meine Freunde einladen kann (lacht).

motor.de: Als du jung warst, hast du viel auf Hochzeiten und Beerdigungen gesungen. Immer wieder betonst du, dass Musik bereits im Kindesalter eine große Rolle spielte. Bloß weil du die Geige spielst, heißt das aber nicht, dass deine musikalischen Einflüsse lediglich auf klassische Musik reduziert sind, oder?

Marques: Nein, meine Inspirationen kommen von den drei großen B’s: Bach, Beyoncé und Beats. Meine Kindheitsidole waren schon immer kraftvolle Sängerinnen wie Beyoncé oder Kelly Rowland. Beschränkt man ihre Musik auf ein Minimum, so haben diese Künstler wirklich wundervolle Harmonien.

motor.de: Okay, sprechen wir ein wenig über die Gegenwart: Aufgrund des großen Medienrummels würde ich behaupten, dass es kaum eine bessere Plattform für einen jungen Künstler gibt, als derzeit im Vorporgramm von James Blake zu spielen. Wir sind ja unter uns, was hältst du denn von seiner Musik?

Marques: Ich denke, seine Musik ist sehr wichtig für das Jahr 2011. James’ Musik verlangt deine vollständige Aufmerksamkeit. Es ist keine lapidare Radiomusik. Du musst schon dein Handy ausstellen und dich darauf einlassen – das ist wirklich großartig. Seine Musik ist ein Türenöffner für eine Vielzahl an unterschiedlichen Musikern.

Marques Toliver – “Deep In My Heart”

motor.de: Hat James Blake dich gebeten, ihn auf seiner Tour zu begleiten?

Marques: Ja, wir haben zusammen im Winter in Australien gespielt. Und dort hat er mich gefragt. Er mag meine Musik und das ist wirklich ein Geschenk, denn er steht zumeist backstage und hört sich auch meine Auftritte an. Aber mit ihm auf Tour zu sein, ist einfach genial. Es gibt ausreichend Essen, man kann sich massieren lassen, das ist wirklich sehr luxuriös (lacht).

motor.de: Auch wenn das Schubladendenken furchtbar langweilig ist, will ich gerne mehr über dein Selbstverständnis erfahren. Ich würde dich als neo-klassischen R’n’B-Sänger bezeichnen, der eine große Leidenschaft für Soul besitzt. Würdest du dem zustimmen?

Marques: Ich würde sagen, wir erfinden einen neuen Begriff (lacht). Der Stil, den ich spiele, nennt sich “Bohemian Noir”. Es handelt sich dabei um eine Fusion von mehreren Ideen und (überlegt lange)…es ist definitiv beeinflusst von klassischer Musik wie Bach, Mozart oder Klein. Bohemian Noir ist (stockt)…Ich bin Bohemian Noir (lacht).

motor.de: Da muss ich dich ja automatisch fragen, wie man sich fühlt, wenn man ein Genre erfunden hat. Aber quatsch beiseite, es gibt also keinen anderen Künstler, der sich in dieser Schublade dazugesellt?

Marques: Natürlich, es gibt ein Dutzend von Menschen, die Bohemian Noir beeinflusst und inspiriert haben, doch ich würde sie nicht in diese Kategorie stecken. Erykah Badu, Gil Scott-Heron, Musiq Soulchild haben mich inspiriert. Dazu zählen aber auch Lauryn Hill, Michael Jackson oder Whitney Houston. Diese Künstler haben Bohemian Noir entflammt, sie sind sozusagen die Eltern dieses Genres.

motor.de: Du spielst mit deiner Geige jedoch nicht nur auf der Straße, sondern inzwischen auch in Clubs, Kirchen oder Theatern. Gibt es für dich irgendwelche Unterschiede zwischen der Straßenmusik und dem Aufritt auf einer großen Bühne?

Marques: Das Ding ist, auf der Straße habe ich alles unter Kontrolle. Wenn ich zwischen den U-Bahnen in New York spiele, dann weiß ich genau die Auffahrtszeiten der Bahnen und wie viel Zeit ich also für einen Song habe. Auf der Bühne wünschte ich mir, ich hätte vier weitere Marques’ in der Nähe. Einen für den Sound, einen für das Licht – diese Sachen eben. Ich weiß wie es klingen soll, deswegen habe ich gerne alles unter Kontrolle.

(Foto: Sterling Pierce Taylor)

motor.de: Spielst du deswegen lieber unplugged?

Marques: Heute Abend zum Beispiel werde ich beides spielen, einerseits unplugged und andererseits mit vielen Verstärkern. Aber in der Zukunft würde ich gerne noch ein wenig in die Richtung von Beyoncé gehen?

motor.de: Dickere Produktionen meinst du?

Marques: Nein, ich meine eine ganze Live-Show. Ich hätte gerne noch einen Harfenspieler und einen süßen Kinderchor. Und unglaublich viele Farben. Eine grandiöse und pompöse Show würde mich wirklich sehr reizen. Doch heute Abend hört man nur mich und die bezaubernde Sängerin Chandra Arthur (zeigt zu seiner Rechten).

motor.de: Ist Chandra auch ein Mitglied deiner Begleitband The Sometimes?

Marques: Yeah (lacht), Chandra ist ein Mitglied von Marques Toliver and The Sometimes Band.

motor.de: (zu Chandra) Hast du auch am kommenden Album mitgearbeitet? Wird man dich auch auf der LP hören?

Chandra: Ja, vielleicht. Wir haben bereits in Florida zusammen musiziert. Ich spiele Cello und habe Marques bei einem Headliner-Gig in London ausgeholfen. Wenn es die Zeit zulässt, werde ich auch auf dem Debüt zu hören sein.

motor.de: Wieviele Bandmitglieder zählen denn zu den The Sometimes?

Marques: ‘Sometimes it’s three, sometimes it’s five’ – das kann man nie wirklich sagen. Es ist schwierig die ganze Band mit auf Tour zu nehmen, wenn man “nur” Support-Act ist. Aber im kommenden Jahr komme ich bestimmt mit der ganzen Band.

motor.de: Kannst du schon etwas über dein Debüt verraten?

Marques: Der Titel steht noch aus, aber die Songs stehen bereits fest – die Harmonien und Melodien, alles steht. Nach der Tour werde ich anfangen, die Tracks noch aufzunehmen und zu produzieren. Wie bereits meine EP wird das Album wohl auch auf Bella Union veröffentlicht. Aber wer weiß, ich habe ja Erykah Badu kennengelernt. Man kann also nie wissen, vielleicht mache ich ja auch etwas mit Kanye West (lacht).

Interview: Sebastian Weiß