(Foto: Four Music/Paul Ripke)

 

Der Berliner Winter ist kalt und als ich gegen 16:30 Uhr zum Interview im Michelberger Hotel erscheine, ist es bereits stockdunkel. Drinnen empfängt mich Marten Laciny alias Marteria alias Marsimoto und fragt erstmal, ob ich ein "Bierchen" will, zum Aufwärmen versteht sich. Überspitztes Auf-die-Uhr-schauen meinerseits. Och… Er lacht – plopp! Na gut. Wir gehen in Richtung Couch. Dort zeigt sich – zumindest für Leute wie mich, die ihn noch nicht getroffen haben – ein überraschend reflektierter Marteria. Ein Gespräch über Reue, die Gesellschaft, "coole Beats, die fett Bass haben" und natürlich auch ein bisschen über das Album "Zum Glück in die Zukunft II" (VÖ 31.01.2014), das wir noch nicht hören konnten. Es bleibt spannend.

 

Marteria: Dein Bierchen hast du?

motor.de: Mein Bierchen hab’ ich immer bei mir! Ich muss zu Beginn jetzt mal was ganz Doofes fragen, aber ich frag’s mich wirklich schon so lange: Wo kommt denn dein Nachname eigentlich her?

Marteria: Das weiß man garnicht. Das ist halt Sudetendeutsch oder so. Ich glaube, es heißt übersetzt „billig“. Also, so wie unsere Musik ist auch der Nachname. (lacht)

 

motor.de: (ich lache auch) Oooookay. Die Musik… Hörst du deine eigene?

Marteria: Man hört natürlich eigentlich die ganze Zeit seine eigene Musik, weil man ja auch eine Platte macht und in dem Prozess einer Platte hört man sie natürlich die ganze Zeit. Es ist eigentlich immer so, dass man sie, wenn man mit einer Platte fertig ist, erstmal garnicht hören kann, weil man tagtäglich hundertmal den gleichen Song hört und hier noch den Sound verändern, da noch ein Wort einsetzen muss.. Bei der neuen Platte ist es jetzt tatsächlich zum ersten Mal so, dass ich sie auch höre. Weil ich sehr, sehr stolz bin, dass sie so geworden ist, wie sie ist. 

 

motor.de: Hättest du denn mal Bock, was komplett anderes zu machen, Unwort Genregrenzen sprengen, und dich da auszuprobieren?

Marteria: Mmh, nee. Es ist in dem, was ich mache, ja schon sehr viel drin. Es ist jetzt kein reines, stupides Bum-Tschak-Hip-Hop-Ding, sondern ich habe so viele Einflüsse von so vielen verschiedenen Musikwelten und Marsimoto ist so ’ne ganz andere Musikwelt als Marteria. Das sind schon so viele Einflüsse und so viel Zeug, was da drinsteckt. Ich mag’s sehr, wenn jemand eine geile Geschichte erzählt, auf einen coolen Beat, der fett Bass hat. Das sind glaube ich schon die drei wichtigsten Dinge. (lacht)

 

motor.de: Ganz kurz nochmal ein bisschen Trash-Talk, du bist ja beispielsweise aktiver Instagramer. Wieviele der Marteria-Posts stammen eigentlich wirklich von dir?

Marteria: Seit neuestem, ich habe das jetzt erst für mich entdeckt! Ich habe mich die ganze Zeit gewehrt und gesagt „nein, nicht noch irgendein Scheiß“ und jetzt bin ich seit ein, zwei Monaten total aktiv und find’s richtig geil. Also, das ist zu 100% alles von mir, genau wie bei Facebook oder Twitter; außer irgendwelche informativen Posts, die sind dann von meinem Management.

 

motor.de: Lobenswert! Auch lobenswert ist bekanntermaßen dein Einsatz für Viva Con Agua, du bist unter anderem gemeinsam mit Maeckes nach Uganda gereist. Wenn Leute behaupten, das alles sei nur eine intelligente PR-Masche, was hast du solchen Menschen zu sagen?

Marteria: Ich habe noch keinen gehört, der das gesagt hat, aber wenn das jemand sagen sollte, ist es natürlich einfach nur dumm und Sesselpupser-Knowledge. Es ist in erster Linie sowieso scheißegal, was irgendwer sagt. Das Wichtige ist, was man selber macht und was deine Prioritäten sind, im Leben. Es geht nicht darum, dass ich geschminkt durch’s Leben gehe und am Ende irgendwie zusammenbreche, kurz bevor ich in die Kiste hüpfe. Das Wichtige ist, dass man selbst ein glückliches Leben führt, dass man sich Prioritäten richtig setzt, dass man sich für die Sachen einsetzt, die einem wichtig sind. Ich weiß, dass ich mit meiner Musik etwas erreichen kann, dass ich zum Beispiel bei meinen Konzerten keine Gästelisten mehr habe, sondern von jedem 5€ für Viva Con Agua nehme. Dann kann ich nach einer Tour in meinem Projektgebiet Uganda zwei Brunnen bauen und dafür sorgen, dass 1.000 Leute Trinkwasser haben. Und wenn jemand das scheiße findet, dann soll er sich in den Arsch ficken.

 

motor.de: Sehr schön! Bist du denn jetzt – mal ehrlich – vor dem Release des zweiten Albums nervös? Ist man da als Marteria noch aufgeregt, nachdem schon so viel passiert ist?

Marteria: Ich glaub, das wäre schlimm, wenn man es nicht wäre. Es ist natürlich auch ein zweites Album, eine Fortsetzung. Video kommt raus und Vorbestellungen und es ist so viel zu tun, dass man auf jeden Fall aufgeregt ist. Man möchte eben wissen, was die Leute über die Platte denken, ob die das so wie ich sehen. Merken die, was wir da eigentlich für einen geilen Scheiß gemacht haben – zum ersten Mal? (lacht laut) Also ich bin auf jeden Fall sehr stolz auf die Platte und hoffe, dass das auch so verstanden wird und dass die Leute die Musik so verstehen, wie ich sie verstehe.

 

(Foto: Four Music/Paul Ripke)

 

motor.de: Mal deine Einschätzung: Meinst du, sie verkauft sich öfter als Hinterland?

Marteria: Das glaube ich nicht. Ich weiß ja nicht, wo’s am Ende hingeht, Hinterland ist ja auch noch nicht am Ende. Das ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass du zufrieden bist mit deiner Platte und dass du für dich eine gefühlte richtige Platte gemacht hast. Casper hat eine Platte produziert, die sehr, sehr auf Stadion und groß und Power geht und ich hab eigentlich eine Old School-Platte gemacht. Das ist glaube ich nicht so, dass es dann sofort 3 Millionen Menschen kaufen, aber meine Platte hat auch viel Inhalt. Man wird sehen… Ich hatte auch immer gute Singles, also ich glaube da kann ich auch ein bisschen was reißen.

 

motor.de: Wenn du heute zurückschaust auf dein Leben, kannst du das dann glauben oder kommt dir das alles eher total abstrus vor?

Marteria: Nee, ich kann’s schon glauben, weil es mir auch sehr oft schlecht ging und ich garnichts hatte, auch keine Kohle. Es gab schon sehr oft Momente, in denen man Sachen bereut hat, Entscheidungen falsch getroffen hat oder im Nachhinein einen falschen Weg gegangen ist. Es liest sich halt immer so, „ah okay, ist ’n Fußballer und Model und bla“, aber Fußball spielt eh jeder zweite Junge und Model sein war der schlimmste Job der Welt. Aber es ging da nicht um den Job, sondern darum, dass ich als 18-jähriger aus Rostock nach New York ziehen konnte. Wenn du bei sowas „nein“ sagst, bereust du das dein ganzes Leben. Jetzt im Nachhinein war alles richtig, aber zwischendrin habe ich schon vieles bereut. Jetzt im Endeffekt bin ich sehr, sehr glücklich.

 

motor.de: Was hast du denn so bereut, zwischendrin?

Marteria: Na ja, dass ich die Fußballer-Karriere aufgegeben habe. Wenn du dann Hartz IV bekommst und halb auf der Straße sitzt bereut man das natürlich. Aber ich glaube, man muss auch viel bereuen. Du musst Sachen falsch machen im Leben, damit du jetzt an meinem Standpunkt glücklich sein kannst und abfeiern kannst, dass das Leben richtig geil ist. Es gibt immer wieder Sachen, die passieren, immer wieder Schicksalsschläge, immer wieder geht’s runter, geht’s rauf. Es ist nie nur eine Richtung im Leben, es ist nie nur Sonnenschein.

 

motor.de: Sind solche Momente aber nicht doch auch diejenigen, die einen zu dem machen, der man heute ist? Ist das dann ein „richtiges“ Bereuen?

Marteria: Nee, es geht ja darum, was man in einem Moment denkt. Jetzt ist alles echt super, wie’s gelaufen ist und jeder Schritt war richtig, aber es gibt ja auch noch einen Gedanken, den man mit 24 hat und der ist natürlich ein ganz anderer. Und einen Gedanken mit 27, das ist nochmal ein ganz anderer. Du hast nicht immer die gleiche, ausgeglichene Gedankenwelt, das springt ja auch. Auf jeden Fall denke ich, da muss man viel…denken.

 

motor.de: Ein Thema, das sowohl bei Marteria als auch bei Marsimoto immer wieder auftaucht sind Drogen. Machst du dir darüber Gedanken, ob du da ein Vorbild bist oder ist das einfach Musik und somit Kunst, mit der jeder machen kann und soll, was er will?

Marteria: In erster Linie kann man machen, was man möchte. Es gibt keine klaren Geständnisse bei Marteria Songs, die für die breite Masse erfolgreich waren wie Verstrahlt oder Lila Wolken. Da gab es viele, die das als Drogentrip gesehen haben, aber auch ganz viele, die es als Liebestrip gesehen haben oder weiß ich irgendwas. Da gibt es keine klare Sache, ich mag Songs, wenn Leute etwas für sich reininterpretieren, ohne dass klar eine Meinung vorgegeben wird. Bei Marsimoto ist das eine ganz klare Sache, es ist viel mehr als Kiffen. Es gibt ganz viele Marsi-Hörer, die nicht kiffen. Es geht darum, dass diese Person Marsimoto kiffen muss, um überhaupt auf diesem Planeten zu leben. Das ist wie bei Futurama mit Bender, dem Roboter. Der muss Alkohol trinken, um nicht besoffen zu sein und so ist es bei Marsi auch. Wenn er nicht kiffen würde, würde er in dieser Atmosphäre garnicht klarkommen. Deshalb ist es total wichtig, dass man da differenziert und dadurch aber die Ansichten auf Dinge, oder vielleicht mit welchen Augen man die Welt sieht, viel interessanter gestalten kann.

 

motor.de: Was sagst du denn eigentlich dazu, dass Max Herre jetzt in der Jury von "The Voice" sitzt und sich damit nahezu ein bisschen „selbst verkauft“? Das war ja schon umstritten.

Marteria: Ach, was heißt selbst verkaufen? Da hab ich einfach keine Meinung dazu, ich habe mit ganz anderen Sachen zu tun, als mich darüber aufzuregen. Es sollte jeder machen, was er möchte. "The Voice" ist ein Format, das auch in der Musikerwelt ein ganz anderes Standing hat, als ein DSDS oder so, es gibt sehr gute Leute, die da mitmachen. Alles mit Fernsehen ist natürlich sofort immer „selbst verkaufen“ und Stempel und „mach’s bloß nicht“ und ich glaube "The Voice"… Ich kenne so viele gute Musiker, die "The Voice" gucken. Es kann auch jemand DSDS gucken, wenn er das total geil findet. Meine Schwester schaut seit 16 Jahren GZSZ und kommt davon nicht weg. Ich verachte ja meine Schwester nicht, weil sie GZSZ guckt und das schlechte Schauspieler sind, das ist mir total egal. In meinem Leben dreht sich’s doch um andere Dinge. 

 


Marteria – Kids (2 Finger an den Kopf) on MUZU.TV.

 

motor.de: Dann zurück zur Musik. Wir haben „Zum Glück in die Zukunft II“ nun ja noch nicht hören können, aber die Single Kids ist bereits veröffentlicht. Sind deine Freunde denn wirklich alle so langweilig geworden oder ist das mehr externe Gesellschaftskritik, die aber mit deinem eigenen Leben nicht unbedingt etwas zu tun hat?

Marteria: Ich glaube viele Leute interpretieren den Song sehr auf einer Schiene und sehen so eine Sache, aber es gibt mehrere Ebenen in diesem Lied. Es ist auf der einen Seite so, dass meine Freunde wirklich alle langweilige Arschlöcher geworden sind (lacht), auf der anderen Seite ist das auch totaler Blödsinn und nur Ironie und eine Gesellschaftskritik. Dass in Deutschland ja angeblich alle einen Job haben, alles so toll ist und wir in Europa der Vorreiter sind und alle so glücklich, so gefestigt sind – das sehe ich nicht. Ich glaube nicht, dass das so ist, ich glaube, das ist totaler Bullshit. Deswegen ist natürlich auch eine große Grundironie darin, weil ich glaube, dass es immernoch total viele Leute gibt, die nach Malle fahren, aber auch sehr viele Leute, die nach Schweden fahren. Ich gehe zum Beispiel gerne angeln am Wochenende, das hab ich vor fünf Jahren auch noch nicht gemacht.  

motor.de: Cool!

Marteria: Ja ja, „cool“, mhh! (lacht laut)

motor.de: Nein, echt jetzt! Ich finde angeln cool. Hallo, ich hab Gummistiefel an?!

Marteria: Ja geil. Endlich mal jemand!

motor.de: Endlich mal jemand, siehste! Jetzt wo 2013 vorbei ist, kannst du denn sagen, was so – egal ob Konzert, Album, Festival, Sonstiges – dein persönliches musikalisches Highlight war?

Marteria: Heino, auf jeden Fall. Heino ist so ungefähr das Krasseste, was an musikalischem Wahnsinn möglich ist. Dass man einfach alle Lieder klauen kann von Leuten und das dann nachsingt. Es ist irgendwie total geil, weil er einfach 74 oder 75 ist und nochmal auf Platz 1 geht. Und dann heißt es alles nur geklaut und er covert auf seinem neuen Album sogar noch „Alles nur geklaut“ von den Prinzen. Wie geil ist der denn?

 

motor.de: Also würdest du mal mit ihm zusammenarbeiten wollen? Oder ist dein Traum-Feature dann doch jemand anderes?

Marteria: (lacht) Mit Heino…bloß nicht! Na klar, es gibt natürlich so ein paar Wünsche, die man als Kind schon hatte. Meine Mutter wollte immer, dass ich mit Herbert Grönemeyer zusammenarbeite. Ich wollte immer mit Jay-Z ein Lied machen. Und mit Björk. Das ist natürlich sehr hochgegriffen, man kriegt wohl nicht einfach so ein Björk-Feature oder eins mit Jay-Z…wobei das könnte ich vielleicht kriegen, weil ich am selben Tag Geburtstag habe.

 

(Valerie Marouche)