Massive Töne, Junge, Massive Töne

Das meistverkaufte deutsche HipHop-Album 2002 (nur Eminem und Nelly verkauften mehr als „MT3“), die erfolgreichste deutsche HipHop-Single 2002 („Cruisen“) und insgesamt mehr als eine halbe Millionen verkaufter Tonträger sprechen für sich – Massive Töne aus Stuttgart sind einer der größten und erfolgreichsten HipHop-Bands, die dieses Land je hervorgebracht hat.

Nach vierzehn Jahren Bandgeschichte, drei Alben, unzähligen Touren und Auftritten im In- und Ausland melden sich nach fast einem Jahr harter Studioarbeit die Töne mit ihrem lange erwarteten vierten Album „Zurück in die Zukunft“ im deutschen Musikgeschäft zurück.

 „Wir haben erkannt, dass man manchmal einen Schritt zurück gehen muß, um zwei nach vorne gehen zu können“ erklärt Ju den Titel des Albums. „Bei der neuen Platte steht die Musik und der Style im Vordergrund. Wir hatten von Anfang an eine konkrete Vorstellung vom kompletten Album, samt Artwork. Wir wollten ein rundes Gesamtwerk abliefern“, charakterisiert Schowi die Arbeit am neusten musikalischen Nachwuchs. Zu dieser Idee passt konsequenterweise auch die Tatsache, dass Massive Töne seit jüngster Zeit bei Livekonzerten in aufgestockter Besetzung unterwegs sind.

Willkommen in der Mutterstadt. Wie im Leben, funktionieren die Massiven-MCs und Frontmänner Jean-Christoph Ritter, genannt Schowi, und Joao dos Santos, alias Ju, auch musikalisch am besten gemeinsam. Als Zweitklässler hatten sie damals in der multi-kulti Hochhaussiedlung Pfaffenäcker ihre Nachmittage zusammen verbracht. Die Freundschaft überdauerte die Zeit und als man Anfang der 90iger zusammen die Auftritte von Public Enemy und Gangstarr feierte, lernten sie, Alexander Scheffel alias DJ 5.ter Ton kennen und es stand schnell fest, dass es nicht lange dauern würde, bis man selbst die Bühne erobern würde.

Ohne lange im Almanach der deutschen Reimkultur wälzen zu wollen, müssen an dieser Stelle ein paar rückblickende Momentaufnahmen erlaubt sein:

Bereits 1991, als in Berlin noch keiner auf deutsch zu rappen wagte, die Images im Rap noch nicht kalkuliert waren und auch keine einmaligen Chartausrutscher mit Bundesadler im Video eine S-Klasse versprachen, gründeten die Massiven zusammen mit anderen Stuttgarter HipHop-Aktivisten wie Afrob und Freundeskreis die legendäre und viel zitierte „Kolchose“. Jene kreative Stammzelle, die die Motorstadt am Neckar zur Hauptstadt der Kopfnicker Mitte der 90er Jahre avancieren ließ.
Diesen Terminus Technici zementierten die Massiven 1996 mit ihrem Debütalbum „Kopfnicker“, das auf die 95er EP „Dichter in Stuttgart“ folgte. Selten zuvor gelang einer Band das, was die vier Jungs aus der Schwabenmetropole mit diesem Erstlingswerk vorlegten: Einen instant classic, die Blaupause eines deutsche HipHop-Klassikers.
Der Stein war im Rollen, kurz darauf öffnete unter Regie von Schowi und Massive Töne Manager Strachi der 0711Club am Pragsattel, der bis heute prestigeträchtigste HipHop-Club Deutschlands.

Das einzigartig autarke Netzwerk um die Stuttgarter wurde immer dichter: Gastauftritte bei Größen wie Missy Elliott, MC Lyte, KRS-One und 50 Cent sollten folgen, befreundete Künstler wie die French-Rap-Legende IAM, oder der New Yorker PF Cuttin baten ins Studio und so fanden sich die Massiven auch schon mal unverhofft auf einem New Yorker Mixtape wieder.
1999 stieg das zweite Album „Überfall“ auf Platz 6 in die deutschen Albumcharts ein – unvergessen sind die Klassiker „Chartbreaker“ und „Rapgame“ und im Frühjahr des Folgejahres launchten die Massiven ihr eigenes Label „Kopfnicker Records“.
Doch das bisher erfolgreichste Kapitel der Bandgeschichte bescherte das Jahr 2002: Das dritte Album, „MT3“ wurde zum erfolgreichsten HipHop-Album des Jahres, die Chromfelgen-Hymne „Cruisen“ wurde zum Sommerhit, der sich, nachdem er stetig die Charts erklommen hatte, wochenlang in den Top Ten hielt. Und wenn es Gema-Gebühren für Stil und Vokabular gäbe, wären die Massiven spätestens seit diesem Album Reimmultimillionäre. Denn was wäre HipHop-Deutschland ohne Ju’s „Jaja“, „Beweg dein Arsch“, „Kopfnicker“ oder „Junge“?

Mit „Zurück in die Zukunft“ folgt jetzt der nächste Streich, ein prädestinierter Rettungsring, hoffnungs- voller Chart- kandidat und zugleich ein lang ersehntes Kontrast- programm zu der momentan eher mit Schmalspurvokabular gefluteten Reimlandschaft.
Fast ein ganzes Jahr lang beschäftigten sich Ju und Schowi mit hunderten von Beats, feilten in Portugal, Uruguay und Paris an ihren Texten, arbeiteten u.a. mit Musikerkollegen aus New York, der Schweiz und Kroatien an Beats, um schließlich im hauseigenen Studio das Mikrofon wieder in die Hand zu nehmen. „Wir wollten uns diesmal wirklich keinen Stress machen. Wir haben uns über Monate im Studio eingesperrt und in Ruhe an der Platte gearbeitet. Irgendwann steht aber dann ein Releasedate fest und mit den ganzen Promotion- und Abgabeterminen wird es am Ende dann eben doch wieder eng“, erklärt Ju.

Dieser Stress hat auf dem Album keinerlei Spuren hinterlassen, ganz im Gegenteil: Massive Töne präsentieren sich unerwartet soulig, groovig, funky und entspannter als je zuvor. Ob im Comeback-Track „Bumerang“, der entspannten Zurücklehn-Nummer „Easy“, dem wohligen „Wellness“ oder dem bluesig-hypnotischen Titeltrack „Zurück in die Zukunft“ – Massive Töne hüllen den Zuhörer vom ersten bis zum letzten Ton in allerfeinsten Kopfnickersound.
„Wir wollten eine Platte zum durchhören machen. Und eine, die man sofort wieder von vorne hören möchte, wenn man am Ende angelangt ist“, bringt es Schowi auf den Punkt. Den idealen Partner-in-Crime für dieses Unterfangen fanden sie im New Yorker Produzenten Emile. Dieser hatte zwar in den USA schon erfolgreich mit Acts, wie Terrorsquad, Obie Trice und Ghostface Killer gearbeitet, ist aber in Deutschland bis dato ein eher unbeschriebenes Blatt. Seine musikalischen Layouts trafen den Geschmacksnerv der beiden MC’s Schowi und Ju jedenfalls auf Anhieb punktgenau.
Ebenfalls an der Albumproduktion beteiligt waren Baby Dooks und Dash von Blackout Entertainment aus Kroatien. Letzterer produzierte z.B. „Unerreichbar“, das sich mit der Krux unserer Zeit, dem leidigen Telefon-, Handy- und Klingeltonterror beschäftigt.

Bei all dem bleibt die humor- istische Seite nicht auf der Strecke, denn soviel steht fest: in Sachen Wortwitz kann man Massive Töne nichts vormachen. Dies zeigt sich bei den unterhaltsamen, schelmischen Texten von „Mein Job“ und natürlich der ersten Single „Topmodel“, bei der der Eminem Produzent DJ Head („Without me“, Purple Pills“) produktionstechnisch seine Finger im Spiel hatte und dabei seine eindeutige Handschrift hinterlassen hat.  „Topmodel“ versteht sich als eine Hommage an alle starken Frauen, mit Selbstvertrauen. Frei nach dem Motto: Liebe geht durch den Magen sind Massive Töne zweifellos ganz schwer verliebt. Für Slogans, wie Fuck Yoga, fuck Pilates und Nimm Mondamin statt Kokain sollten die drei Jungs eigentlich einen Orden von der diätgeplagten Weiblichkeit bekommen.
Ein weiteres Wortwitz-Highlight findet sich im gekonnt-machtvoll inszenierten „Lass Rollen“, einer Art legitim weitergedachtem „Cruisen“, das, wie der Beat des Originals, vom Schweizer Erfolgsproduzenten Yvan produziert wurde.

Wo geht die Party ab? Hier geht die Party ab! DJ 5ter Ton ist bereits seit 15 Jahren bei den besten Partys als DJ hinter den Turntables zu finden und unter dem Namen Action Selection rocken Schowi und Ju in ihrer Massive Töne freien Zeit als DJ Team die Szene-Clubs von Stuttgart bis Paris. Unvergessen sind auch die ganz großen Massive Töne Partyburner vergangener Alben „Bleib in Bewegung“ und natürlich „Im Club“. Auch auf „Zurück in die Zukunft“ kommt die Party nicht zu kurz. „Mach’n Move“ heißt der neuste Partyknaller und dafür haben sich Massive Töne Verstärkung aus den USA geholt: Fatman Scoop, der erfolgreichste und wohl bekannteste Party-MC der Gegenwart, ist z.B. auf Missy Elliots „Lose Control“ und Mariah Carey’s „It’s like that“ kaum zu überhören. Ungewöhnlich ist, dass Fatman Scoop auf Deutsch rappt, was Ju so erklärt: „Scoop ist ein krasser Typ. Seine Art und seine Stimme sind einfach unverkennbar. Er ist unschlagbar darin bei Partys Leute zum Abgehen zu animieren und das funktioniert hier in Deutschland eben am besten auf Deutsch.“

Das Line Up der anderen geladenen Gäste untermauert Offenheit, Style und das Selbstbewusstsein der Band und zementiert den hart erarbeiteten Status von Massive Töne: Aus Istambul ist der erfolgreichste Rapper der Türkei Ceza dabei (Fatih Akin „Crossing the Bridge“), der kurioserweise seinerseits auch als einer der ‚weltschnellsten’ Rapper im Guinness Buch notiert ist. Natürlich darf auch der talentierte Stuttgarter Soulsänger Fetsum auf „Zurück in die Zukunft“ nicht fehlen. Ein Highlight des Albums ist aber sicher die Zusammenarbeit mit Philippe Kayser und DJ Friction, dem musikalischen Herz des einstigen Freundeskreises und der äußerst talentierten Laura López Castro bei dem Titel „Auf Dich ist Verlass“. Entstanden ist so die allererste Ballade von Massive Töne und eine außergewöhnliche Liebeserklärung an die treuen Fans der Band.

Massive Töne waren ihrer Zeit immer schon einen kleinen, aber entscheidenden Schritt voraus und haben ihre Alben eigentlich immer in Krisenzeiten veröffentlicht. „Mit unserem neuen Album wollen wir keine Erwartungen erfüllen, sondern einfach nur gute Musik machen.“, erklärt Ju mit einem Augenzwinkern, „unsere Alben kommen irgendwie immer dann raus, wenn es überall heißt, dass HipHop in der Krise steckt. Überall heißt es HipHop sei tot und dann kommen wir.“ „Wir hätten unser Album eigentlich „Weg aus der Krise – Teil 3“ nennen sollen,“ ergänzt Schowi schmunzelnd.

Da Massive Töne niemandem hinterher hecheln, keine Amis zweitklassig kopieren und auch nicht die allseits beliebte Klischee-Leier auspacken, sucht man inmitten der Vielfalt von Themen nach Abgekupfertem und Extasy-geschwängerter Ghettoromantik vergeblich. Vielmehr präsentieren sich Massive Töne auf „Zurück in die Zukunft“ reflektiert, harmonisch, thematisch breit gefächert und musikalisch organisch. 

Denn „es war Liebe auf den ersten Blick, es machte Klick, wir waren nur kurz weg – doch alles kommt zurück – wie ein Bumerang.“