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(Fotos: Akustik-Video "Brain Cells")
Paul Smith geht mit klatschnassen Haaren am Buffet vorbei. Er ist der Held meiner Jugend. Er ist ein Kauz. Er hat schwarze Haare, die sich zu den Spitzen hin in alle Richtungen nach oben wölben und dramatisiert diesen Look, indem er einen schwarzen Borsalino darüber stülpt. Paul Smith nimmt seinen Hut sogar mit ins Badezimmer, zum Duschen. Und drückt ihn danach auf die klatschnassen Haare. In wenigen Minuten beginnt das Interview mit dem Frontmann von Maxïmo Park. Bis zum Konzert sind es noch zwei Stunden.
motor.de: Mr. Smith, Sie duschen vor jeder Show?
Paul Smith: Korrekt.
Ist das eines dieser besonderen Rituale, die Sie vor jeder Show praktizieren?
Absolut, ich liebe es sauber zu sein. Und nicht zuletzt auf der Bühne. Unsere Musik ist ja auch sehr “clean”, auf ihre Art und Weise. Ein Teil von mir wünscht sich zwar die ganze Zeit, dass ich mir einen riesigen Bart wachsen lasse und damit über die Bühne schlurfe. Aber dafür bin ich zu diszipliniert.
Haben Sie das trotzdem schon mal versucht, mit dem Bart?
Schon oft, aber das hat niemals irgendjemand gesehen. Und es besteht auch keine Möglichkeit, dass mich irgendjemand so zu Gesicht bekommen wird. Mal abgesehen von vielleicht ein, zwei Fotos.
Das neue Album folgt seinem Vorgänger "The National Health" ja ganz schön schnell. Gibt es irgendwelche Dinge, die deshalb übersehen wurden und die Sie gerne noch mal überarbeiten würden?
Nicht wirklich. Natürlich fragt man sich hinterher immer, ob das alles so stimmt. Dieser Gedanke tritt ganz automatisch ein, sobald man den Aufnahmeknopf loslässt. Aber irgendwann muss man auch diesen Moment zulassen. Letztenendes ist das Album ja ein Dokument seiner Zeit. Es passiert einfach so. Ich würde nicht noch einmal jedes Schräubchen des Gerüsts überprüfen wollen, um das unser Album gebaut ist. Ich bin sehr glücklich mit dieser sehr vielschichtigen Arbeit. Natürlich könnte man manche Song noch mehr entfremden und dafür einen anderen Titel besser an den Rest anpassen. Am Ende ist es aber ein Album, das wir im Nordosten Englands aufgenommen haben. Und es ist, was es ist.
Mit Paul Smith zu reden, fühlt sich an wie die Lektüre eines guten Buches. Sein Lächeln strahlt absolute Professionalität aus. Er sitzt aufrecht, mit dem einen Ohr geneigt und lauschend. Diese Position verlässt er während der gesamten halben Stunde nicht. Er hält immer Augenkontakt und redet ruhig, ohne Stottern. Er hält meistens gegen die versteckte Suggestion meiner Fragen. Trotzdem wirkt seine Suada nie auswendig gelernt. Alles, was aus seinem Mund kommt, ist originell und spezifisch auf genau diese Situation zugeschnitten — eine absolute Seltenheit bei Bands mit dem Bekanntheitsgrad von Maxïmo Park.
Erzählen Sie mir von der Aufnahme des neuen Albums "Too Much Information".
Fünf Songs haben wir mit der großartigen Band Field Music und dem Produzenten von Deerhunter aufgenommen. Die restlichen sechs sind bei uns zu Hause in Newcastle entstanden, unter Eigenregie.
Einmal habt ihr euch also fremden Einflüssen ausgesetzt und einmal komplett isoliert?
Das würde ich nicht sagen. Ich lasse mich gerne und immer, wenn es denn geht, von meiner Umgebung beeinflussen. Isolierung ist das letzte, wonach ich gesucht hätte. Die ersten Songtexte habe ich in Linienbussen der Stadt Newcastle geschrieben. Auf dem Weg zur Probe begegnete ich da vielen fremden Leuten und Gegenständen. Manche dieser Beobachtungen bringen eine große Aufgeschlossenheit mit sich, andere eine große Intimität.
Wir müssen über die Vergangenheit sprechen. Die meisten meiner Freunde werden total nostalgisch, wenn man nur den Namen Ihrer Band ausspricht.
Haha! Tja, davor kann ich mich oftmals selbst nicht schützen. Ich neige selbst dazu, nostalgisch zu werden. Aber nicht, indem ich mich zurück in die Vergangenheit wünsche und träume. Sondern, indem ich alte Songs rauskrame und sie hier und jetzt spiele. Songs, die wir 2003, kurz nach unserer Gründung geschrieben haben und die sich total zeitgenössisch anfühlen. Das ist meine Form der Nostalgie. Natürlich war es klasse, wer wir damals waren, was wir getan haben.
Paul hält kurz inne. Außer uns beiden sind noch vier andere Person im Raum. Die vier anderen Bandmitglieder haben es sich auf der Couch hinter ihren MacBooks bequem gemacht. In absolut gleicher Haltung und Augenstarre geben sie ein Bild der totalen Synchronität und Verschlossenheit ab. Dass sie und der Sänger Paul Smith irgendetwas gemeinsam haben sollten, wird auch später, auf der Bühne nicht ersichtlich. Eher zufällig teilen sie diese fantastische Geschichte miteinander. Sie verkaufen sie seit über zehn Jahren und sind verdammt gut darin. Die romantische Vorstellung von verschworenen Bands, Banden, die gemeinsam durch Europa ziehen und ihre Lieder unter die Leute bringen, findet jedoch auf einem anderen Planeten statt. Die Band Maxïmo Park macht einen professionellen Job, das beweisen nicht zuletzt ihre energiegeladenen, temporeichen Konzerte.
Denn meistens will man sich nur unter der Bedingung weiterentwickeln, dass auch etwas aus der Vergangenheit mitgenommen, beibehalten werden darf. Bei mir wäre das der hohe Anspruch an unsere Musik. Unser Katalog klingt mittlerweile total unterschiedlich und ich wette, wir könnten morgen Abend eine komplett neue Variante von “Apply Some Pressure” aus dem Stegreif spielen. Doch es würde immer noch genau nach “Apply Some Pressure” klingen.
"Lydia, The Ink Will Never Dry"
Können Sie trotzdem nachvollziehen, dass sich die meisten Leute nach wie vor nur für euer Frühwerk interessieren?
Sobald man insbesondere kommerzielle Erfolge einfährt, muss man solche Dinge zu akzeptieren lernen. Dann hören dich nämlich auch Leute, die ohne die ganzen Interviews und Rezensionen nie auf dich gekommen wären. Wären wir eine Undergroundband, hätten wir die letzten zehn Jahre wohl damit zugebracht, einfach unser Ding durchzuziehen. Da die ganze Sache aber etwas hochgeschaukelt wurde, gibt es sehr viele Leute, die sich genau das Gefühl zurückwünschen, das sie damals für uns empfunden haben. Genauso gibt es Leute, die den Stillstand beklagen und sich Neues von dir wünschen. Das bringt uns in eine schwierige Lage. Denn eigentlich will man weder stehen bleiben, noch sich komplett entfremden. Das wäre beides unnatürlich. Deshalb haben wir immer versucht, unseren eigenen Weg zu gehen. Das bedeutet sicher, dass wir unerwartete Dinge getan haben. Einfach, weil sie uns gut getan haben. Der Punkt, an dem wir jetzt sind, ist aber nichts anderes, als das Ergebnis unseres eigenen Weges.
Dass später während des Konzerts bei den neuen Nummern niemand so richtig mitziehen will, liegt auf keinen Fall daran, dass diese Songs irgendwie schlechter oder unambitionierter sind als ihre Vorgänger. Die Band Maxïmo Park betreibt exzellentes Songwriting, von Platte zu Platte entwickelten sie immer elaboriertere Strukturen und Songgerüste. Im Vergleich zu heute klingen die frühen Titel unentschlossen und nervös. Sie sind eher unzugänglich, als tanzbar. Der Tanzbarkeit geben vielmehr die nostalgische Vibes Anlass, die Paul uns von Zeit zu Zeit hinunter sendet.
Aktuelle Stücke werden brav ausgehalten. Man ist da sehr respektvoll, die Band hat sich bei jedem ihrer Fans den ultimativen Freifahrtschein verdient, der Maxïmo Park allerhand Unsinn und Experimente erlaubt. Stücke, die nach Depeche Mode klingen werden vom Publikum mit einem ironischen-milden Lächeln quittiert, trashige Radiohymnen wohlwollend durchgewunken. Hauptsache das alte Zeug überwiegt. Würden Paul Smith und seine Band ausschließlich ihr neues Album vorstellen, dürften sie Buh-Rufe ernten. Unsere gierige Sehnsucht nach den 'good old days' lindern die Nordengländer zum Glück nur allzugern. Die Nostalgie, die “Apply Some Pressure” und viele andere Titel transportieren, sind gleichsam ein Balsam für alle von Spotify & co. angefressenen Musikfanherzen. Für alle, denen die aktuelle Entwicklung nicht passt und die sich die vergleichsweise langsamen 00er-Jahre zurückwünschen. Als man noch Lieblingsplatten hatte und diese bis zum heutigen Tag von vorne bis hinten mitsingen kann. Wenn Paul anstimmt “You know that I / would love to see you next year”, nicken sich tausende fremde Menschen nicht mehr ironisch, sondern wissend an. Man hat eine gemeinsame Vergangenheit, deren Erinnerung schöner nicht sein könnte.
Die Art wie Sie sich kleiden ist auch ein Versuch einen eigenen Weg zu finden. Schon mal daran gedacht den Hut wegzulassen?
Momentan nicht. Ich glaube, auch hier geht es um die Ambivalenz von Kontinuität und Wandel. Ich trage zwar immer noch einen Hut. Es ist aber ein neuer, ein anderer Hut als früher. Ich habe auch einen neuen Anzug und dafür alte Schuhe. Aber das ist eine andere Geschichte. Die Art, wie ich mich kleide, ist meine visualisierte Meinung von unserer Band.
Laufen Sie auch abseits von der Bühne so rum?
Sobald ich die Bühne verlasse, bin ich auch kein Performer mehr. Folglich würde ich den Anzug nicht tragen. Wenn ich auf die Bühne trete, habe ich die Verpflichtung zum Performer zu werden. Unsere Art von Musik verlangt das einfach. Es ist explosiv-romantische Musik, dazu passt auch dieser Mix aus 20er und 50er Jahre, wie ich finde. Er umgeht auf eine Weise die stilistischen Vorgaben unserer Zeit. Die habe ich ohnehin meistens ignoriert. Manche Leute sagen dann, “der Typ sieht aus wie ein Idiot, so wie der sich anzieht”. Aber diese Leute wird es immer geben. Selbst, wenn ich morgen mit Vollbart über die Bühne schlurfen würde. Im Grunde interessieren mich diese Leute aber genauso wenig, wie die Stilvorgaben. Letztenendes geht es doch darum, dass man sich wohlfühlt, in seiner Kleidung. Und zu Hause auf dem Sofa wäre ein Anzug eben das letzte, in dem ich mich wohlfühlen würde. Überhaupt bevorzuge ich es im Alltag anonym zu bleiben. Unter meinen Freunden steche ich nicht hervor, weil ich der Sänger dieser Band bin, wir sind alle gleich. So verschaffe ich mir auch den Luxus, durch die Stadt laufen zu können und in Ruhe die Dinge zu beobachten und dann darüber zu schreiben. In einem Anzug wäre das wirklich nicht möglich.
Also steht da ein anderer Paul Smith auf der Bühne, als er jetzt vor mir sitzt?
Niemand ist wirklich er selbst, auf der Bühne. Das ist eine sehr unnatürliche Sache. Manche Künstler tragen immer so eine falsche Bescheidenheit zur Schau. Aber eigentlich zeugt es doch von vornherein von einem großem Egoismus, wenn jemand mit eigenen Songs auf eine Bühne geht. Damit will man automatisch glaubhaft machen, seine Musik wäre gut genug, um sie dir und den anderen tausend Zuschauern vorzuspielen. Da schwingt also immer eine gewisse Unaufrichtigkeit mit. Ich schaue im Musikbusiness immer sehr interessiert auf den Aspekt der Authentizität von Künstlern. Denn meistens stellt sich heraus, dass sie nur vorgekaukelt ist. Die Künstler, die uns die größtmögliche Authentizität ihrer eigenen Person versprechen, sind eigentlich die größten Fakes. Durch mein Auftreten mache ich den Leuten schon ganz zu Beginn, nämlich auf den ersten Blick, klar: “Hey, das hier bin gar nicht ich, das ist nur eine von tausend Versionen von mir.” Die normale Paul Smith ist ohnehin viel zu unbedeutend und schmächtig, um das Interesse irgendwelcher Leute zu erregen. Doch seine Geschichten, die sind sehr persönlich. Und Paul Smith, der Performer, versteht sich darauf, solche Geschichten gewissen Leuten zu vermitteln.
Wer ist dieser Paul, der Performer?
Er ist eine idealisierte Version von mir, die unabhängig von Zeit und Raum auftreten kann. Sie achtet, genau wie unsere Musik, nie auf irgendwelche Moden oder Macken. Natürlich provozieren wir das Aufeinandertreffen verschiedener Erscheinungen. Aber wir würden uns nie auf den Geist der jetzigen Zeit beschränken, nur weil wir jetzt in ihr leben. Und allein das Versammeln unterschiedlichster Einflüsse aus allen möglichen Epochen, ist ja schon wieder ein neuartiger Entwurf. Unsere Musik ist somit romantisch.
Noch eine letzte Frage. Was ist vor einem Date schlimmer: too little oder too much information?
Too much Information. Die so genannte "echte Welt" ist nicht wirklich etwas, womit ich viel zu tun haben will. Die echte Welt findet für mich in meinen Texten statt und nirgends sonst.
Als ich gehe, lasse ich, entweder absichtlich oder unabsichtlich, mein Notizbuch im Raum liegen. Wäre doch lustig, etwas davon auf der nächsten Platte von Maxïmo Park wiederzufinden — Paul Smith liest bekanntlich alles, was ihm zwischen die Finger kommt. Trotzdem bin ich unendlich erleichtert, als er mir hinter der Bühne in Richtung Ausgang folgt, die Hand auf die Schulter legt und mir das Buch wiedergibt. “That would be too much information, even for me.” Diesmal scheint sein Lächeln gelöst. Für einen Moment kann man sich vorstellen, wie dieser Mann ohne seinen Anzug aussehen könnte.
(Josa Valentin Mania-Schlegel)
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