… mit weltexklusiven Fotos von Peter Doherty, einigen Typen, rosa Höschen und einem Baum.
"Rezitiere leise für dich ein Gedicht in der Generalversammlung einer Aktiengesellschaft, und diese wird augenblicklich ebenso sinnlos werden, wie es das Gedicht in ihr ist." Hat der großartige österreichische Schriftsteller Robert Musil mal geschrieben. Und ich fühlte mich schlagartig an seine weisen Worte erinnert, als ich am Samstag zum allerersten mal überhaupt einen Schritt aus dem VIP machte. Hinein in den Pöbel. Dort, wo die Kanülen der Finanzspritze langsam aber unaufhaltsam ins Fleisch der Konsumenten getrieben wurden. Wo aber auch die blanke Geldgeilheit "unserer" Sponsoren mit feinfühligen Pop-Lyrics kollidiert. "Sponsored by" war das Oxymoron des Tages — ich glaube so nennt man es, wenn zwei Dinge einander absolut ausschließen. "Der Stern im Opel muss wieder blitzen" hatte die neue Vorstandschefin der Kühlermarke jedenfalls gerade noch proklamiert und — BAM! — uns einen fetten Fuhrpark aufs Gelände bugsiert. Auf jenem Gelände übrigens, auf dem sonst Peter Licht seine "Lieder vom Ende des Kapitalismus" vorträgt. Wobei der Anprangernde hier vom Verbrechen des Angeprangerten lebt. Oder so. Blickt noch jemand durch? Ach so, hier noch ein paar Fotos. Teil 1 gibt's hier zu lesen.
Typisch Engländer: Fette Biomechs auf den Oberarmen statt Sonnenmilch. Und lieber finstere Mienen statt MDMA-Geknirsche. Aber lassen wir das.
Da war es also wieder… Hypezig.
Der Typ dachte der Schatten des Baumes könnte ihr heimliches Refugium werden. Sicher vor Opel, Sony und den fiesen Zigaretten-Bauchläden, die seiner Freundin eine Schachtel nach der anderen andrehten. In den letzten 2 Stunden waren es 17 Schachteln, die sie erstanden hatte. Der einzige Grund für sie, mit ihm in den Schatten zu gehen, war ihr Smartphone. Bei direkter Sonneneinstrahlung sieht man nur so scheiße.
Irgendwann kamen wir auf die geniale Idee den roten Opel Adam im Gremminer See zu versenken. Nachdem Yann mit einem gekonnten Griff die Wegfahrsperre überlistete, mussten wir nur noch die beiden Kabel am Schließzylinder zusammenheben. Leider kam uns eine PR-Agentin in die Quere. Wir nahmen an ihrem Gewinnspiel teil und gewannen nichts.
Stell dir vor deine Lieblingsband spielt gerade auf der Hauptbühne. Wie verdammt lange du auf diesen Augenblick gewartet hast. Und jetzt bist du endlich hier. Irgendwann schießt dir die Frage durch den Kopf: "Wer hat Geld für das Festival bezahlt und lässt sich trotzdem diese atemberaubende Show hier entgehen?" Mit anderen Worten: wer ist so lässig, dass er selbst jene Band schwänzt, auf die sie absolut alle Folks einigen konnten? Es sind genau diese Typen hier. Während James Blake spielt, würden sie vor dem absoluten Dixie-Klo unter den DJ-Bühnen tanzen und Leute nach der Uhrzeit fragen. Nicht hingehen ist das neue Hingehen. Besser und vor allem cooler kannst du dich auf einem Festival wie dem Melt! nicht verhalten.
Gut, doch. Es geht noch cooler.
Das Bild trügt nicht. Tatsächlich hatten sich einige Cowboys unter die Security-Crews gemischt. Ihre Ranch war das Gelände und der gemeine Musikfreund galt als stehlender, rinderreißender Coyote, der unschädlich gemacht werden sollte.
Einen Kasten Desperados konnte gewinnen, wer nach Konsum einer Flasche Desperados noch fünf Sprünge auf dem Desperados-Trampolin vollführen würde, ohne sich zu übergeben. Während die meisten Padawane schon an ersten Aufgabe scheiterten, behielt diese junge Frau den gesamten Inhalt der Flasche im Magen. An ihrem Gesicht ist die eindeutige Freude über lots of free Desperados abzulesen.
Peter Doherty 1 (Rückansicht)
Peter Doherty 2 (Rückansicht)
Ich muss ehrlich sagen, dass mir der Typ hier verdammt leid tat. Es war schon längst nach Mitternacht, mein Fotograf stocherte gerade im Spind nach unseren letzten Flaschen Jägermeister. Nur Mister Editor hier bekam seinen Text noch nicht auf die Reihe. Dabei gibt er sich ehrlich viel Mühe, lest selbst nach. Da steckt viel zu viel Herzblut drin. Alle zehn Minuten bekam er Besuch von seinem Chef, der die ersten Zeilen anlas, nur um ihm dann mit der zusammengerollten Intro ein weiteres mal vor die Stirn zu hauen (damit er nicht handscheu wird) und wieder im Jenseits verschwand. Wir wissen nicht, was aus den beiden geworden ist. Vermutlich sitzt heute einer von ihnen an den Hebeln eines großen europäischen Medienkonzerns. Und der andere hat sich vor lauter Verzweiflung an einem der Melt!-Bagger erhängt. Keine Ahnung wer von beiden jeweils gemeint sein soll.
Von diesen durchsichtigen Plastikbechern habe ich mit der Zeit immer mehr gesehen. Ich frage mich wo sie den her hat. Es ist genial: man muss nie wieder aus der Flasche trinken. Alles was zu tun ist, wäre den Inhalt des Getränks in den Becher zu geben und weiterzumachen. Irgendwann fangen sogar verzweifelte Online-Redakteure an, dein Kunststück zu fotografieren und auf ihren gigantischen Plattformen durch alle verfügbaren Netzwerke zu fluten. Wie gesagt, genial.
Dieser Typ hat gerade in einem eiskalten Basin nach einem Sony Xperia gefischt, das er dann aber nicht behalten durfte, weil er das falsche mit nach oben gebracht hatte. Die Werbeaktion war recht durchschaubar. Wasserdicht und so, schon klar. Ich finde es eher begeisternd, dass der Online-Journalismus von heute keine Chance verstreichen lässt, solche Helden des Alltags zu interviewen. Und ihre Erfahrungen mittels Kamera und und Mikrofon auf freien Speicherplatz zu bannen, der ihnen von den absoluten Chefs der Infotainment-Industrie zur Verfügung gestellt wurde. Great.
Angst und Schrecken in Ferropolis…
Josa Valentin Mania-Schlegel
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