Wenn es um Grenzüberschreitungen mit augenschmunzelndem Humor geht, sind Modeselektor nicht weit. Dass das Berliner Duo keineswegs Alleinunterhalter ist, beweisen ihre Labels Monkeytown und 50Weapons. Zwei Plattformen, ein Kompass.
(Foto: Kevin Lake)
Es gibt sie tatsächlich, die Stadt der Affen. Monkeytown liegt in West Virgina, Appalachen-Land im Osten Amerikas. Für Großstädter und Easyjetsetter ein trister Ort: ein einsamer Feldweg, Pferde galoppieren durch die Kante, Pick-ups ohne Räder auf der einen, heruntergekommene Trailer-Häuser auf der anderen Seite. Im letzten Jahr nutzten Gernot Bronsert und Sebastian Szary einen ihrer wenigen Off-Tage, um sich auf Spurensuche zu begeben. “Dann kommt aus diesem Wohnwagen eine rothaarige Frau, und fragt uns, ob wir uns verfahren haben”, erzählt Szary. Nein, sie haben sich nicht verirrt. Die Herren stehen in Monkeytown. Und die kleine, runde und bärtige Frau, die die beiden in die Geschichte des Ortes einführt, hat keinen blassen Schimmer, wer vor ihr steht.
Seit nunmehr 15 Jahren zelebrieren Modeselektor das Chaos, den Spaß und ihr Talent. Ein langer Weg, der vom Tape-aufgenommenen IDM über Hard Wax und den ersten audiovisuellen Abenden im Kurvenstar bis hin zu Ellen Alliens Label BPitch Control reicht. Im Dickicht der Hauptstadt griff das Duo nach jeder attraktiven Liane, um sich von Inspiration zu Inspiration zu schwingen. Heute steht Modeselektor für so vieles: für Erfolg, für Berlin, für Fortschritt. Vor allen Dingen aber für Bass-Power, die – Genre-Fetischisten den Stinkefinger zeigend – gerne mal in die Magengrube schlägt, aber mit einer schmunzelnden Fratze auch wieder hochhilft. Spaß und Humor dürfen bei den Elektro-Orang-Utans nie fehlen. Die Live-Aufritte begeistern ohne Selters, aber mit reichlich Sekt. Die Familienväter haben sich ihr eigenes Biotop geschaffen. Ein Besuch im Primatenkäfig – zwischen China, Türkei und Brasilien.
Modeselektor & Thom Yorke – “This”
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In der Nähe vom neuen Tresor und dem Kater Holzig nämlich, liegen zahlreiche Botschaften – auch die von Monkeytown Records, dem institutionalisierten Hexenkessel der Elektronikszene fernab klarer Stileinschränkung. Hier wird der kollektive Spaß zuerst durch harte Arbeit ermöglicht. Das Büro ist unscheinbar, die Wände noch immer recht kahl, beinahe steril. Warum auch alles kunterbunt einrichten, wenn das nicht mal zehnköpfige Team ohnehin oft unterwegs ist. Der obligatorische Affe am Fahrstuhl fehlt dennoch nicht. Hinter der dicken Stahltür wird Diplomatie eher klein geschrieben, Familie hingegen groß. “Crew love is true love”, sagt Marit vom Label zur Philosophie. Das Team hinter Modeselektor ist klein, bewusst dezent gehalten, denn es ist “Arbeit mit Freunden”. Man kennt sich eben, auch die Künstler sind Freunde – viele über Jahre hinweg. Für einen von ihnen, Moritz “Siriusmo” Friedrich, wurde Monkeytown überhaupt gegründet. Dudes unter sich also, keine leichte Arbeit – nicht nur Modeselektor sind dafür bekannt, Hardcore-Prokrastinierer zu sein, da wird auch mal gerne eine akustische Vermessung des Studios vorgenommen, um die Arbeit hinauszuzögern. Marit kennt das: “Wir versuchen so gut es geht, das Chaos in Grenzen zu halten. Auch wenn wir halt hin und wieder mal die Bösen sein müssen”, sagt sie und schmunzelt.
Szary ist jedenfalls nicht böse, dass er kurz nach der Heimkehr vom Sónar Festival Interviews geben muss. Warum auch, selbst eine weibliche Journalistin begrüßt den passionierten Fotografen im bunten Overall-Outfit. Nach Hause zu kommen, ist immer wieder schön. Obwohl die “Techno-Atzen” beinahe dem kompletten Globus ihr Live-Brett entgegen geschmettert haben, ist Szary immer noch mitgenommen von den Eindrücken in Barcelona. Starallüren? “Alter, ich bin immer noch tierisch aufgeregt, wenn ich sehe, dass dort Tausende auf uns warten. Wir haben jetzt schon so viele Shows gespielt, aber kurz vorher, guckste durch den Vorhang, und natürlich bekommste da Muffensausen.” Mexiko war groß, Verrückte sind das, die Musik mit jeder Faser leben. Indien war auch schon dabei. China fehlt noch in der Gig-Vita, aber Eile verspüren sie nicht.
Zu BPitch-Zeiten waren sie Jugendliche, Hedonisten im besten Sinne des Wortes. Allmählich kam Erfahrung hinzu. Bodenständigkeit ja, Überheblichkeit nein. Während sich Szary einen kleinen türkischen Salat reinpfeift, spricht er mit einer Seelenruhe über eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen, das Kuratieren: “Das macht riesigen Spaß, weil der Flow einfach geil ist. Wenn wir irgendwo auf einem Festival gebucht werden, fliegen wir hin, fahren dann mit dem Sprinter zum Gelände, gehen Backstage, die Crew baut alles auf und dann spielste und weißt aber nicht, was vorher und nachher noch kommt.” Neben der Bühne beim Warehouse Project in Manchester, beim Mutek in Kanada und Melt! Festival, wohin sie regelmäßig reichlich Freunde und interessante Acts einladen, findet sich diese Crew-Idee auch auf der Compilation-Reihe “Modeselektion” wieder.
Modeselektor proudly presents “Modeselektion Vol. 02” (Snippets)
“Volume 02” ist gerade erschienen und die achtzehn Künstler lesen sich wie ein (subkulturelles) Who-Is-Who für den vorwärtsorientierten Grenzbereich zwischen Dubstep, Hip Hop-infizierter Electronica und technoidem Rave. Mouse On Mars, die von Modeselektor mit Kraftwerk verglichen werden, sind nach ihrem letzten Langspieler “Parastrophics” ebenso dabei wie Prefuse 73, Anstam, Addison Groove oder Clark. War die Premierenausgabe noch ein durchaus klassisches Auf-Die-Zwölf-Album, erkundet der Nachfolger die düstere Seite der Macht: “Abgefahren, oder? Damit haben wir nicht gerechnet. Die Leute haben es ja völlig unabhängig voneinander gemacht. Entweder ticken die gerade alle so oder sie haben eine andere Auffassung von Musik. Wir haben uns es echt gefreut, klingt wie ein Soundtrack”, sagt Szary, stolz und freudestrahlend, die CD in der Hand haltend. Kein depressiver O.S.T. ist es geworden, vielmehr eine morbide Anleitung für selbstinjizierte Klaustrophobie. Besonders ist aber der Mut zum Abenteuer, so als wollten Modeselektor und ihr Rudel eine explorative Forschungsarbeit über die Modulationen des Tiefgangs experimenteller Elektronik abgeben. Formalien nicht nur eingehalten, sie werden gesprengt. Quellennachweise mehr als beeindruckend, Abstraktionsvermögen überdurchschnittlich. Kurzum: Summa Cum Laude.
Die Compilation unterstreicht dreierlei: Modeselektor glauben nicht mehr an City-Sounds. The Sound of Berlin? München? Hamburg? Schwachfug, die Zeiten sind vorbei. Es wird global agiert. Keine hermetische Abriegelung, kein Einigeln in einen bestimmten Dunstkreis. Ihr letztes Album “Monkeytown” war bereits der Gegenentwurf zur Ein-Genre-Philosophie. Die Selektion unterstreicht wie groß, qualitativ hochwertig und ineinandergreifend das Netzwerk von Bronsert und Szary gestrickt ist. Seit 2009 sind zwei Qualitätslabel herangewachsen, die weder dem Mainstream noch sonstigen Trends hinterherlaufen. Auch wenn die simple Rechnung – Monkeytown für den Spaß, 50Weapons für den Club – nicht vollkommen aufgeht, so wird unter der Hand hin und wieder vom deutschen Warp-Label gesprochen. Auf den UK-geschwängerten Funky-Techno von Benjamin Damage & Doc Daneeka folgt mit Addison Groove das Zeug für die ganz großen Soundsysteme. “Black Boulder” von Phon.o hat einen Platz in den Jahresbestenlisten sicher, und auch die neue LP von Shed wird hier erscheinen. Weg vom Berghain-Label Ostgut Ton ist auch Szary vom kommenden Langspieler gefesselt: “Ich hab mir das Shed-Album beim Autofahren angehört, in Kalifornien beim Coachella. Vom Pazifik kam kalte Luft in die Wüste, ich bin richtig in eine Nebelwand gefahren, passend zur Platte wurde die Landschaft immer grüner. Gänsehaut-Feeling pur war das”.
Shed – “The Killer” (Snippets)
Eine Zusammenarbeit, die nicht überrascht. Ausgangspunkt könnte die kleine Brandenburg-Connection sein: Shed kommt aus Schwedt, Berghain-Resident Marcel Dettmann aus Fürstenwalde, Szary und Gernot sind in Rüdersdorf und Woltersdorf aufgewachsen. Zusammen bilden sie die Supergroup A.T.O.L. (“Techno in Reinform” – O-Ton Szary). Man arbeitet bereits an neuem Material. Und im Herbst geht es auch mit Sascha Ring ins Studio, die anvisierte Platte mit Moderat und dazugehörige Prokrastination will ja schließlich geplant sein. Die Devise könnte lauten: vorwärts immer, rückwärts nimmer. Stillstand oder Leerlauf fehlen im Affen-ABC. Dabei kann doch alles so einfach sein, meint Marit: “Gute Musik rausbringen, den Künstlern Freiheiten lassen und zu allen nett sein.” Die Herren basteln an ihrem eigenen Denkmal – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Sebastian Weiß
“Modeselektor proudly presents Modeselektion Vol. 02”
01. Egyptrixx – “Levitate”
02. Monolake – “Hitting The Surface” Electric Indigo Edit (CD Edit)
03. Addison Groove – “Manic Miner”
04. Bambounou – “Pixel”
05. Clark – “Nordic Wilt”
06. Mouse On Mars – “Humoslab”
07. Lazer Sword – “Landscape”
08. Phon.o – “Fukushima”
09. Sound Pellegrino Thermal Team – “Activate”
10. Martyn – “Red Dancers”
11. Modeselektor – “Maik The Chicken (CD Edit)”
12. Diamond Version – “ModeOperator (Beispiel A)”
13. Soft Circle – “Finna Fury”
14. Prefuse 73 – “Death by Barber pt.1 (Haircut Zero)”
15. Frikstailers – “Sudaka Invasor “
16. Siriusmo – “Modern Talk”
17. Jan Driver – “Distorsione for Strings”
18. Anstam – “Observing The Patterns”
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