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Dass der Sommer dieses Jahr eigentlich kein Sommer sein will, ist auch und vor allem für den geneigten Festivalgänger bitter. Da eine kleine Benefizfestivität aber Sonne braucht, um seine Ziele zu erreichen – denn sonst bleiben die potentiellen Spender daheim – wollte der Sommer am vergangenen Wochenende doch einmal Sommer sein und ließ den glühenden roten Ball am Himmel zu Höchstleistungen auffahren. Danke Sommer, denn das Jenseits von Millionen Festival auf der Burg Friedland in Brandenburg wurde trotz angesagtem Regen das wohl schönste kleine Festival, auf dem die motor-Redakteure bis jetzt weilen durften. Ach wie schön war die Atmosphäre, die Umgebung, die Burg. Ein Festival als Klang gewordene Ode an die Schönheit der Musik, der Feierei und der Menschen.
Aber von vorn. Bei der Ankunft in Friedland im tiefsten Brandenburg verriet der Campingplatz schon ungefähr die Ausmaße dieses Spektakels. Solch einen kleinen Festivalzeltplatz hatten wir noch nie gesehen. (Und das soll schon was heißen, ja!) Doch für die 500 Gäste, die es am Ende des Wochenendes waren, sollte er ausreichen. Nachdem unsere Zelte standen, entleerte der Sommer nochmal etwas Wasser über Friedland. Ab Beginn der ersten Band, erfüllte unser Sonnensegel dann seinen ursprünglichen Sinn, anstatt wie geplant Regen abzuhalten. Nach Begbie, Touchy Mob und Kyst, betraten die sympathischen Rostocker von Talking To Turtles die Bühne und verwandelten die Burg Friedland zu einem Ort, an dem nun alle wussten, dass sie hier an etwas Besonderem teilhaben dürfen.
Auch der aufgrund enorm großer Malfreude fast abgesagte Auftritt vom Tomte-Keyborder und Solosuperhelden Simon Frontzek plus Band aka Sir Simon Battle bestärkte dieses Gefühl. Nach Songs aus dem Album „Good Night, Dear Mind…“, freute sich Band fast ein zweites Loch in ihre Popos als sie einen „uralten Folksong“ in ihrem Set ankündigen durften. Zwischen Lachkrampfvermeidung und Faltenstirn gaben sie zum Amüsement aller Anwesenden schließlich eine Version von Roxettes „It Must Have Been Love“ zum Besten.
Als es langsam dunkel wurde über Friedland, durften wir der einzigen internationalen Band für diesen Abend lauschen. Flashguns stellten Songs ihres kommenden Albums „Passions Of A Different Kind“ vor und beendeten die latente Melancholie, die bei den Auftritten der zwei Vorgänger in der Luft lag. Die drei Londoner Jungspunde berichteten in ihrem Set vom manchmal nicht so einfachen Unterfangen des Erwachsenwerdens verpackt in … nunja Rock’n’Roll! Wir freuen uns auf das Debütalbum und erwarten Großes.
Vor dem heutigen Headliner wurden dann Zäune vor die Bühne gestellt – Es galt zu vermeiden, dass das sich da ein paar Indie-Girls dem Sänger Tom an den Hals werfen. Getaucht in spärliches Licht und düstere Atmosphäre spielten Fotos zunächst Songs ihres aktuellen Albums „Porzellan“, danach kam das Licht wieder, ein paar alte Songs und das Publikum wurde tanzend auf die Aftershow-Party eingestimmt.
Bevor die tanzhungrige Meute jedoch in die Friedländer Schulturnhalle zur Aftershow mit Karrera Klub entlassen wurde, hatte sie das zweifelhafte „Vergnügen“ mit dem LoFo-Künstler finn. Bevor Patrick Zimmer nach zehn Jahren sein musikalisches Schaffen als finn. beendet, brachte er auf dem Jenseits von Millionen noch einmal leicht angeschnapselt die Songs seiner letzten Coverplatte “I wish I was someone else” auf die Bühne. Und wenn wir „leicht angeschnapselt“ schreiben, meinen wir „so erbärmlich besoffen, dass es betroffen macht, dabei zu sein“. So spaltete sich das Publikum in Personen, die meinten ein extremer Musiker brauche ein extremes Auftreten und extreme Situationen, und Menschen, die sich zwar als eingefleischte finn.-Freunde wähnten, es jedoch aufgrund des peinlichen Spektakels nicht schafften, die Handflächen zum Applaus zusammenzuführen. Wortwechsel wie „Geh doch nach Hause!“ (Publikum) – „Ja, mit dir, aber das willst du nicht!“ (finn.) waren bezeichnend für den leicht verstörenden Auftritt des Sängers. Knapp zehn Minuten Fußmarsch zur Sporthalle später, waren selbst diejenigen, die bis zum Schluss den Eskapaden lauschten, wieder versöhnt, als sie bis in die Nacht hinein gemeinsam mit den anderen Festivalgängern und Bands wie Fotos und Begbie abtanzten.
Als wir am zweiten Tag von der Sonne geweckt werden, sind wir beim morgendlichen Toilettieren und Anhübschen erneut hochgradig entzückt von diesem einzigartigen Festival: Nur sechs Dixies für einen ganzen Campingplatz! Immer sauber!! Immer mit Klopapier bestückt!!! Unglaublich. Und dann die Dusche: Zunächst muss eine Gießkanne mit dem säubernden Nass aus einem Wassertank befüllt werden, an die Konstruktion angebracht und anschließend kann der Körper in der von drei Seiten mit Bastmatten abgegrenzten Kabine unter freiem Himmel gewässert werden. Grandios. Jenseits von Millionen ist in Friedland also wirklich wörtlich gemeint.
Aber zurück zum musikalischen Aspekt der Veranstaltung. Freitag haben scheinbar alle fein aufgegessen und die liebe Sonne treibt die Besucher am Samstag in die Mauerschatten der Burg und unter umfunktionierte Regenschirme. Währenddessen stellten sich Crashcaptains und We Fade To Grey als überzeugende Start-Bands heraus und schickten das Publikum mit ihrem energetischen Indierock in den zweiten Festivaltag. Anschließend betrat mit Solander aus Schweden die zweite internationale Gruppe die Bühne. Mit E-Cello, Banjo und folkiger Melancholie malten die zwei Herren und die Dame wundervolle Klangfarben in die Luft, die locker mit dem schillernden Seifenblasenmaschinen-Inferno mithalten konnten.
Als nächstes bespielte Herr Neuhaus die Bühne in der Burg. Kurz nachdem sein Album „The Cabinet“ Anfang des Jahres die Plattenregale erreichte hatten wir den Berliner bereits im Interview. Ein halbes Jahr später gab er mit dreiviertel seiner Band die liebgewonnenen Melodien zum Besten und präsentierte auch zwei nagelneue Songs, die sich noch im Entstehungsprozess befinden. Im Konzert erreicht uns eine SMS von Kollegin Pötzsch mit der Aufforderung ganz laut mit zu „nananananananaaa-en“. Als er gegen Ende des Sets zum kollektiven Nanana-Chor lädt leisten wir der Aufforderung Folge und schweben in die Neuhaus’sche Zuckergusswelt.
Durch unsere Eis-Pause verpassten wir Samba, deren famose Indie-Klänge uns jedoch bei der Abkühlung erreichen. Schade das nicht näher erlebt zu haben, jedoch trafen wir später in der Nacht die Herren im Tanzgetümmel der Aftershow-Turnhalle. Mit vollem Energielevel und untergehender Sonne im Rücken begleitete uns Diego in den Abend. Der Fünfer aus Karlsruhe verkündete schon zu Beginn, dass dies auf unbestimmte Zeit ihr letztes Konzert sei. Man brauche „Abstand, Ruhe und Zeit zum Nachdenken“ heißt es auf der Webseite der Band. Und schon durchzuckt ein zweites „Schade“ unsere Köpfe, haben uns die Herren doch nur zwei Alben vergönnt und packten uns an diesem Abend mit ihrem majestätischen New-Wave a la Interpol. Wir hoffen nur das Beste für den Fortbestand dieser grandiosen Band mit den sensationellen Livequalitäten.
Alles andere als düster gingen die Rostocker Ravekanonen Supershirt ans Werk. Grinsebäckig und mit Schalk im Nacken statt Stock im Arsch begrüßte das Trio ganz artig die Besucher vom „Jesus von Melonen“-Festival und lies die Hörerschaft daraufhin baumartig hin und her wiegen und wild auf dem Burgplatz herum springen. Sie warfen mit Knicklichtern um sich und kündigten „Haue of love“ an. Typische Audiolith-Knallchargen eben. Wir nehmen ein Freibier für 8000 Mark zu uns bevor wir uns dem samstäglichen Headliner hingeben. Den intellektueller Höhepunkt bildeten Ja, Panik, die alte und neue Songs von ihrem aktuellen Langspieler “DMD KIU LIDT”, also “Die Manifestation Des Kapitalismus In Unserem Leben Ist Die Traurigkeit”, vorstellen. Grundsolide und als eingespieltes Team erlebten wir die Österreicher umhüllt von Finsternis und Begeisterung.
An- und Abschließend betrachteten wir die wunderschönen Visuals hinter dem Duo Telekaster, die mit ihren faszinierend kühlen und treibenden Sound einen Fast-Schlussstrich unter das Jenseits von Millionen-Festival 2011 zogen. Auf dem Weg zum Zelt schauten wir noch einmal in der liebgewonnenen Turnhalle und der British.Music.Club-Abschluss-Tanzerei vorbei. Ein letztes Mal sollte uns die mit dem Schriftzug „Party Party Party“ angestrahlte Wand zur rhythmischen Bewegung motivieren, doch irgendwann wurde der innere Ruf zu Luftmatratze und Schlafsack zu laut, sodass wir uns schließlich verabschiedeten. Jenseits von Millionen – du bist schöner als alles, was wir je schreiben können! Over and Out.
Laureen Kornemann und Julia Kindel
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