Nach Jahren der Wanderschaft durch das Berliner Umland und ein altes Sportstadion hatte das Berlin Festival im letzten Jahr mit dem ehemaligen Flughafen Tempelhof eine einmalig-prägnante Location gefunden, die das Event auf Jahre hinaus beherbergen können sollte. Steht dies nun plötzlich nach den Vorfällen am ersten Festivaltag in Frage?

—————————-FREITAG——————————

Es ist soweit: Der Flughafen Tempelhof öffnete zum zweiten Mal seine Pforten für die Besucher des Berlin Festivals, das mit solch einer beeindruckenden Kulisse klar punkten kann. Nach dem eher unspektakulären Ende des Popkomm-Besuchertages füllte sich stetig das Gelände unter und vor dem riesigen Dach der Abfertigungshalle.

Pünktlich zum Konzertbeginn von Adam Green hatte sich eine ordentliche Menschentraube vor der Mainstage versammelt. Mit seinen folkigen Songs und seinem lässig-hippiesken Äußeren wusste der New Yorker zu begeistern und suchte den Kontakt zum Publikum. Besonderer Überraschungsgast seines Auftritts war Ex-Kinderstar Macaulay Culkin, mit dem er gemeinsam unser aller Mauerfallhymne „Wind of Change“ performte.


Die Abend-Session eröffnete James Murphys Funk-Punk-Disco-Maschinerie LCD Soundsystem, die mit einer fast unanständig großen Sammlung an Percussion-Instrumenten antrat. „Us vs. Them“ hieß der Eröffnungstrack, „Us and Them“ hätte es aber besser getroffen – die extrem spielfreudige Band und das tanzwütige, euphorische Publikum befeuerten sich gegenseitig und machten den einstündigen Auftritt zu einem vollen Erfolg.



Danach wurde es dunkel auf der Hauptbühne, denn nun regierte das melancholische Pathos der Editors. Stilecht ganz in schwarz gekleidet lieferte das Quartett einen routinierten, aber zu Anfang seltsam blutleeren Auftritt ab. Dies lag aber auch an den Soundproblemen, mit denen die Engländer zu kämpfen hatten, merkwürdig drucklos und fast ohne hörbare Gitarren schallte es von der Bühne. Doch in der Mitte des Sets wurde der Klang und somit auch der gesamte Auftritt besser. So konnten die Editors die Main Stage doch noch für den Tag in eine befriedigende Nachtruhe schicken.


Währenddessen vor Hangar 4, einer der zwei Nebenbühnen, jedoch ein ganz anderes Bild: Vor der Eingangsschleuse stauen sich die Menschen, vorerst kommt hier niemand mehr rein zu Fever Ray. Das sorgt bei vielen für Aufruhr und Unverständnis. Bereits jetzt beginnt man sich zu fragen, ob es später bei Fatboy Slim eine Einlasschance geben wird.

Weiter zu Dan Snaith alias Caribou. Der setzte in Hangar 5 mit seiner kontemplativen Mischung aus Dreampop, vorsichtigen Tanzbeats und viel Geplucker und Geklacker einen angenehm entspannten Kontrapunkt im Line-Up. Im Zusammenspiel mit den Videoprojektionen entstand ein unwiderstehlicher Sog, in den sich die Zuschauer bereitwillig fallen ließen.

Fatboy Slim, für Viele der Höhepunkt des Festivals, sollte schließlich für einen tanzbaren Ausklang der Nacht sorgen. In unserem Interview erklärte der Star-DJ noch, dass er sich sehr auf seinen Auftritt freue.

Doch dazu sollte es nicht mehr kommen. Gegen 2:30 Uhr wurde der Auftritt von 2manydjs, die direkt vor Fatboy Slim auf der Bühne standen, vom Veranstalter in Absprache mit der Polizei abgebrochen – und kurz darauf der gesamte Festivaltag. Vor der Bühne und vor allem vor der Einlassschleuse von Hangar 4 war es zu massivem Gedränge gekommen. Die eingerichtete extrem verengte Schleuse war dem Menschenansturm nicht gewachsen. Nicht zuletzt im Angesicht des Love-Parade-Unglücks vom 24. Juli, bei dem 21 Menschen starben, wollten die Festivalmacher kein Risiko eingehen. „Der Abbruch war eine überaus harte Entscheidung, die manche für übervorsichtig halten mögen“, hieß es in der am nächsten Tag veröffentlichten Pressemittelung. „Im Kontext aktueller Sicherheitsdebatten wurde sie jedoch bewusst und im Sinne größtmöglicher Sicherheit für die Festivalbesucher getroffen. […] Das im Vorfeld mit Polizei und Behörden abgestimmte Sicherheitskonzept hat bis zum Ende des Hauptbühnenprogramms wie geplant funktioniert.“ Danach aber offensichtlich nicht mehr, die beiden Hangar-Nebenbühnen konnten die Masse an Besucher nicht aufnehmen. Sie quittierten den Abbruch mit Pfiffen, Buh-Rufen und einzelnen fliegenden Bierbechern.

—————————-SAMSTAG—————————-

Nach den Vorfällen am Vortag beschloss der Veranstalter am Samstag das Programm auf allen Bühnen um 23:30 Uhr zu beenden. Dadurch kam es zu teilweise erheblichen Verschiebungen im Zeitplan, besonders auf den Nebenbühnen wurden die Zeiten und Bands so oft geändert, dass man sich nie sicher sein konnte, welche Band nun wirklich als nächstes spielt. Leider überschnitten sich nun die Headliner aller Bühnen miteinander, sodass man sich entscheiden musste – Hot Chip, Peaches oder We Have Band. Viele Acts, die nach 24 Uhr hätten spielen sollen, standen nun gar nicht mehr auf dem Plan.

Auch die 1977 gegründeten Postpunk-Urväter Gang Of Four mussten sich mit einem früheren Slot zufrieden geben und spielten schon am späten Nachmittag. Obwohl der Auftritt nicht wirklich zu überzeugen wusste, die affektierten Gesten von Sänger Jon King eher peinlich wirkten und er offensichtlich unter dem Einfluss von irgendwelchen Substanzen stand, konnte man heraushören, dass fast jede britische Band der letzten zehn Jahre (Bloc Party, Franz Ferdinand, etc.) das Quartett als Inspirationsquelle genommen hat. Nur die Mikrowellen-Percussion wollten sie wohl nicht übernehmen.



Anschließend zeigten die Elektrorocker Soulwax, dass man Clubatmosphäre auch auf einer Open-Air-Bühne vor ein paar tausend Zuschauern erzeugen kann. Krachige Beats und dicke Synthies brachten das Publikum ordentlich zum Tanzen. Schade allerdings, dass die Belgier nicht von Anfang an im Dunkeln auftreten konnten, dort hätten die aufgefahrenen LED-Screens noch besser gewirkt.



Bevor Hot Chip das Festival beendeten, sorgte Boys Noize (dessen Auftritt um sechs Stunden vorverlegt wurde) dafür, dass der Menge ordentlich eingeheizt wurde.

Auch wenn Hot Chip ihre aktuelle Lichtshow zuhause gelassen haben und mit recht spartanischer Bühnendeko auftraten, sorgten sie mit ihren treibenden Elektrobeats für einen würdigen Ausklang des diesjährigen Berlin Festivals.




Ein Fan…?

Es bleibt zu hoffen, dass das Berlin Festival auch im nächsten Jahr mit einem ähnlich guten Line-Up aufwarten kann. Dann allerdings ohne die diesjährigen Probleme, Zeitverschiebungen und Absagen.

Text: Eric Bauer & Claudia Jogschies
Photos: Claudia Jogschies