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„Dichterinnen sollten keine Kinder bekommen, es gibt schließlich genug andere, die das können“, schreibt Tove Ditlevsen in ihrem autobiografischen Roman „Abhängigkeit“. Am Ende betreut Ditlevsen vier Kinder und bemerkt den Absturz ihrer Kreativität nicht durch sie, sondern durch ihre vier Ehen und ihre Abhängigkeit von Medikamenten. Dennoch urteilt auch Sheila Heti in ihrem Buch „Motherhood“, in dem sie versucht herauszufinden, ob sie Kinder möchte oder nicht: „The doing is what seems hard. The having seems marvellous“. Dieses Urteil fällt sie gleich zu Beginn anhand der Beschreibungen ihrer Freund*innen mit Kindern: Ein Kind zum fünftausendsten Mal ins Bett zubringen klingt nach wenig Spaß, sagen zu können, dass das Kind einen Preis gewonnen hat, klingt wiederum nach viel Spaß. Am Ende entscheidet sich Heti gegen die Mutterschaft und für die Kunst. Es passt in das Bild, dass Kinder Frauen davon abhalten eine (künstlerische) Karriere zu haben. Die Performance Künstlerin Marina Abramović zum Beispiel hatte drei Abtreibungen und betont regelmäßig, dass sie ihren Erfolg gerade wegen ihrer Kinderlosigkeit hat: „One only has limited energy in the body, and I would have had to divide it“. Doch wieso werden Kinder als solch eine Last für die Kreativität gesehen? Und verändert sich Kreativität wirklich durch die Geburt einer Mutter?
Die Ausführung einer kreativen Aufgabe setzt ein gewisses Maß an gesundem Egoismus voraus, denn um kreativ Schöpfen zu können, muss (meistens) zu allererst der berühmt-berüchtigte „room for one’s own“ von Virginia Woolf vorhanden sein. Was einfach klingt, ist für Frauen aufgrund Strukturen wie der Gender Pay Gap prinzipiell nicht so einfach zu finanzieren wie für Männer und für Mütter, die bereits ab einem Kind noch mal extra über 40% Gehalt einbüßen müssen, ist es oft unmöglich. Außerdem bringt ein Raum nicht gleichzeitig die Ruhe und Zeit mit sich, die die Kreativität erfordert, dadurch kann die Mutterrolle oft die Künstlerrolle überschatten, wenn nicht genug Hilfe (z. B. der Vater oder eine externe Kinderbetreuung) vorhanden ist. Die britische Sängerin Eva Lazarus ist dementsprechend dankbar, dass ihr Mann die Betreuung ihres Sohnes übernimmt, wenn sie intensiv arbeiten muss – besonders, da sie fürs Aufnehmen komplette Ruhe in der Wohnung braucht und ihr knapp ein Jähriger Sohn bei diesem Punkt meist eher wenig kooperativ ist: „Es ist schwierig die Zeit zu finden, aber dennoch würde ich nicht sagen, dass meine Kreativität leidet. Es war jedoch ein extremer Anpassungsprozess an die neue Situation, der durch Corona natürlich noch mal schwieriger geworden ist.“
Die Autorin Judith Poznan, Mutter eines drei-jährigen Sohnes, findet Disziplin als unumgänglich, um (nicht nur als Mutter) das Neue in der Kreativität zu finden:
„Kreativität ist für mich kein Dauerzustand. Nichts, was jeder Zeit einfach aus mir herausbricht, sondern nur in Kombination mit Disziplin, die ich beim Schreiben haben muss, kann ich mir Kreativität entlocken. Und wenn ich sage, ich brauche Disziplin um kreativ zu sein, dann wirft mein Sohn zum dritten Mal die Kiste mit den Duplosteinen um, nachdem er gerade das Süßigkeitenfach geplündert hat.“
Von der Raum-Zeit-Disziplin Dynamik abgesehen, gibt es auch noch ein weiteres gesellschaftliches Problem zwischen Mutterschaft und Kreativität und das liegt im Grundverständnis des romantischen Bilds der Künstlerschaft (Kim Brooks hat einen beeindruckenden Artikel darüber bei The Cut geschrieben). So wird Kunst oft mit Freiraum, mit einem bohemian Lebensstil zwischen dreckigen Laken, ungesundem Essen, langen Nächten und unsicheren Tagen gesehen. Am besten noch mit miserablen Gefühlen und Erlebnissen, aus denen der*die Künstler*in zehrt. Mit anderen Worten das manifestierte Bild von Künstlerschaft ist die Prekarität und diese steht im absoluten Kontrast zu einem Grundsatz der Erziehung: dem Kind das Gefühl zugeben, in Sicherheit aufzuwachsen. Von Gage zu Gage zu leben, wenn man allein ist, macht auch keinen Spaß, aber ist machbar. Wenn man jedoch zeitgleich schauen muss, dass das Kind neue Kleidung und vor allem genug essen bekommen kann, ist eine andere Form von Verantwortung da, die die Kreativität nach hinten drängen kann, wenn sie nicht zeitgleich ausreichend Geld liefert.
Neurologisch ist übrigens eine Veränderung der Kreativität bei Frauen nach einer Schwangerschaft nicht nachgewiesen. Im Gegenteil bei einer Studie an der University of Richmond kam heraus, dass Ratten, nachdem sie Mütter wurden, sich einfacher an neue Situationen anpassten, flexibler waren und ihre Aufgaben gewissenhafter und schneller erledigten – alles Punkte, die für die Kreativität, in der man vor allem neue Wege finden möchte, ausschlaggebend sind.
Auch die Künstlerin Hein Koh aus Brooklyn, die 2015 mit einem Bild, auf dem sie arbeitet, während sie ihre Zwillinge stillt, als Reaktion auf Marina Abramovićs Kommentar viral ging, meint, dass sie durch die Mutterrolle vor allem extrem effizient im Arbeiten geworden ist und mehr priorisiert. Außerdem sieht man mit Kindern die Welt bekannterweise mit anderen Augen, findet Themen, die man ansonsten nicht gedacht hätte, sagt auch Judith Poznan: „Ich schreibe sehr gerne über mich und meinen Erfahrungsraum. Da hat mein Sohn natürlich viel Platz drin und ich schätze diese Zeit gerade sehr, in der ich mich und meine Arbeit völlig neu kennenlerne.“
Am Ende ist Kreativität etwas unglaublich Individuelles und Mutterschaft nur ein Teil der Identität (wenn auch einer, der sich zeitweise deutlich mehr als andere Teile bemerkbar macht). Mit der richtigen Hilfe kann frau auch weiterhin den Raum für Kreativität finden und erweitern- und spätestens, wenn die Kinder aus dem Haus sind, können all die Erfahrungen verarbeitet werden.
Judith Poznan ist nicht nur eine wundervolle Autorin für die Berliner Zeitung, sondern auch absoluter Royals Experte hier auf Instagram. Im Herbst erscheint ihr Debütroman – folgen lohnt sich also.
Der Roman „Abhängigkeit“ von Tove Ditlevson beschreibt auf eindringliche Weise, wie Tove über ihr Leben in ihren 20ern mehr und mehr die Kontrolle verliert. Mit jedem Mann, den sie trifft, kommen neue Probleme und Kinder auf sie zu, während ihre künstlerische Karriere dennoch stetig Fahrt aufnimmt. Tove Ditlevsen hat einen unglaublichen Erzählstil, der von kleinen Bildern begleitet ein zeitloses Gefühl vermittelt und dabei der eigenen Zeitlichkeit doch immer bewusst ist. Das Buch und seine zwei Vorgänger Bände werden nicht umsonst von the one and only Patti Smith als „monumental“ beschrieben. Der Roman wurde uns als Rezensionsexemplar vom Aufbau Verlag zu geschickt.
Eva Lazarus hat nicht nur eine unglaubliche Stimme, sondern hier auch einen wunderschönen Instagram Account.
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