Ohne väterliche Unterstützung liefern Mystery Jets ihr neues Album ab. Getestet wurde die Live-Wirkung von “Serotonin” in einer Geheimmission, bei der die Band inkognito in Berliner Clubs spielte.
Vier Indie-Jungs, Mitte zwanzig, Wuschelhaare, hippe Klamotte, cooler Blick. Und dazwischen – ein älterer Herr mit weißen Haaren?! Genau so sieht es aus, ein Bandfoto der Mystery Jets. Der nicht mehr ganz so junge Mann ist Henry Harrisson, zwei der Jungspunde sein Sohn Blaine und dessen Schulfreund William Rees. Zusammen gründeten die drei vor ziemlich langer Zeit die Mystery Jets – Blaine und William waren gerade erst im einschulfähigen Alter. Mit Kapil Trivedi und Kai Fish, die etwas später dazu stießen, war die Band komplett. Und die Suche nach dem eigenen Stil konnte beginnen. Irgendwo zwischen Punk, Prog-Rock und Indie angesiedelt ergatterten die Mystery Jets im Jahr 2005 ihren ersten Plattenvertrag, ein Jahr später folgte der erste Longplayer “Making Dense”, mit dem sie sich bei so manchem Musikmagazin Gehör verschafften.
Ein bisschen softer, ein bisschen mehr Achtziger beeinflusst und mit dem einen oder anderen Ohrwurm bestückt legten sie 2008 das Album “Twenty One” nach – und gerade, als man sich im Zuge der steigenden Popularität an die etwas kuriose Zusammensetzung gewöhnt hatte, entschieden die Mystery Jets, sich von ihrem ältesten Bandmitglied Henry zu trennen. Zumindest, was das Touren angeht.
Zwei Jahre nach der partiellen Verjüngungskur kommt ihr neues und drittes Album “Serotonin” in die Läden, für das sie die Produzentenkoryphäe Chris Thomas gewinnen konnten. Aber nicht nur seinetwegen weiß das neue und im positiven Sinne poppige Werk mit vielschichtigen, aufwendig arrangierten und wunderbar erfrischenden Songs zu überraschen. Sänger und Gitarrist William Rees erzählt im Interview Details zum Schaffensprozess des Albums, Henrys Rolle in der Band und einer geheimen Tour durch Berlin.
motor.de: In den Medien wurde euch in den vergangenen Jahren gerne mal der Exotenstempel aufgedrückt – nicht nur, weil du und Blaine bei der Bandgründung noch Kinder wart, sondern vor allem, weil Blaines Vater Henry mit zur Band gehört. War diese Verwunderung für euch nachvollziehbar?
William: Ich kann mir schon vorstellen, dass diese Vater-Sohn-Konstellation für jemanden, der vorher noch nie von uns gehört hat, etwas komisch klingt. Mag sein, dass man uns dann erst mal für ziemlich schräg hält. Aber letztendlich sollte es immer um die Musik gehen und nicht um eine Reduzierung auf solche Äußerlichkeiten. Das wäre ja, als würde man ein Buch nach seinem Cover beurteilen.
motor.de: Mit dem 2008 erschienenen Album “Twenty One” habt ihr euch dennoch dazu entschieden, in Zukunft ohne Henry zu touren.
William: Ja, aber dabei geht es wirklich nur um die Live-Auftritte! Henry ist nach wie vor ein Teil der Band. Beim Songwriting und der Produktion ist er immer noch dabei, als eine Art Guru im Hintergrund, wenn man so will. Schließlich hatte die Entscheidung keine musikalischen Hintergründe. Aber wenn man jung ist, möchte man seine eigenen Erfahrungen und auch Fehler machen. Besonders für Blaine war es wichtig, mal ohne seinen Vater auf der Bühne zu stehen.
motor.de: Nach all den gemeinsamen Jahren war das sicherlich ein komisches Gefühl, oder?
William: Es war schon komisch und hat auch eine zeitlang gedauert, um da rein zu wachsen. Aber es war etwas, das wir tun mussten.
motor.de: Auch, um ein Stück weit erwachsen zu werden?
William: Ja, das kann man so sagen, es war ein wichtiger Schritt für uns und unsere Positionierung als junge Band. Ich denke, das hört man auch auf “Twenty One”. Da geht es um die erste Liebe, den ersten Herzschmerz, also Dinge, die einem passieren, wenn man langsam erwachsen wird.
motor.de: Gereift klingt auch euer neues Album “Serotonin”, insbesondere aufgrund der aufwendig produzierten Arrangements und der tiefgründigen Texte. Auf der anderen Seite kommt es sehr poppig, tanzbar und auffallend frisch daher, trotz charmanter Achtiger-Bezüge. Was sagt das über eure Entwicklung in den letzten zwei Jahren aus?
William: Unsere Vorgängeralben haben noch sehr stark mit Referenzen zu anderen Bands gespielt – man merkte sofort, wen wir gut finden. Auf “Serotonin” haben wir versucht, unseren ganz eigenen Stil zu finden. Ich finde übrigens nicht, dass wir uns dabei auf die 80er bezogen haben. Wir haben versucht, ganz wir selbst zu sein. Man sollte nicht sofort sagen können: ‚Das hört sich ja an wie…’. Ich glaube, der Sound ist zeitloser als zuvor. Und sicherlich hat sich unser Songwriting verbessert, denn auch daran haben wir gearbeitet.
motor.de: Bevor “Serotonin” aufgenommen wurde, habt ihr eine kleine Tour durch Berliner Clubs gemacht – unter einem anderen Namen. Warum Berlin, warum inkognito?
William: Wir lieben Berlin. Die Stadt hat eine große musikalische Geschichte, und es ist einer dieser Orte, an dem Geld nicht so viel zählt. Außerdem sind wir mit Bands wie Einstürzende Neubauten oder Kraftwerk aufgewachsen. Der Wunsch, so eine Tour durch Berlin zu machen, war schon immer da. Unseren Namen haben wir geändert, weil wir unsere neuen Songs testen wollten. Wenn Leute eine Band kennen und mögen, klatschen sie bei den Konzerten, egal, wie sie die Songs finden. Wir wollten mit dem unbekannten Namen die ungekünstelte Reaktion des Publikums.
motor.de: Und, haben die Leute applaudiert?
William: Ja, ein paar schon. (Überlegt kurz). Die Betrunkenen haben geklatscht. Wir haben auf jeden Fall gemerkt, dass wir auf einem guten Weg sind und dass die Songs auch live funktionieren. Wenn man Songs schreibt weiß man nie, was sie einem geben, wenn man sie vor Publikum spielt, das ist einfach ein ganz anderes Gefühl. Unser Produzent Chris Thomas kam auch vorbei, um uns live spielen zu hören und sich einen Eindruck zu machen. Danach sind wir zurück nach London gefahren um die Songs aufzunehmen.
motor.de: Eine Tour, das dritte Album – aus der Band um einen Vater und zwei Achtjährige ist etwas ziemlich Großes geworden. Wo wärst du heute, wenn es mit der Musikkarriere nicht geklappt hätte?
William: (Überlegt) Ich denke, ich wäre weiter zum College gegangen und wäre Künstler geworden. Ich habe eine zeitlang Kunst studiert, aber nie den Abschluss gemacht, weil ich mich auf die Musik konzentriert habe.
Isabel Ehrlich
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