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Über Parallelen zwischen Büchern und Platten, von seinem neuen Buch “Was kostet die Welt” und dem Versuch, Literatur und Musik zu vereinen – Nagel im Interview.
Nagel kannte man lange Zeit als Sänger und Gitarrist der Band Muff Potter. Spätestens seit seinem Romandebüt “Wo die wilden Maden graben” 2007 kennt man ihn auch als Autor. Seit Herbst letzten Jahres ist er mit seinem zweiten Buch “Was kostet die Welt” auf Lesetour, die aufgrund von großer Nachfrage noch immer anhält. motor.de traf ihn auf dem Immergut-Festival, kurz bevor er die undankbare Aufgabe übernahm, mit seiner Lesung den zweiten Festivaltag zu eröffnen. Mit einem guten Vorrat an Zigarretten bewaffnet und noch ein bisschen zerknautscht vom Vorabend, treffen wir ihn im gemütlichen Bauwagen-Backstage des sympathischen kleinen Festivals im Herzen der Seenplatte Mecklenburgs. Nagel kennt den Laden bestens, er war schon häufig dort. Doch irgendwie werden es von Jahr zu Jahr weniger Bekannte, erzählt er. Ein wenig nervös, weil er nicht so recht weiß, wie er das mit der Lesung auf eine halbe Stunde pressen soll, zeigt sich Nagel trotzdem als sehr angenehmer Gesprächspartner.
motor.de: Immergut Festival nicht mit Band sondern mit Buch. Wie ist es, als Autor auf die Bühne zu ziehen und nicht selbst zu spielen?
Nagel: (überlegt kurz) Das weiß ich noch gar nicht genau. Ich habe erst zweimal auf Festivals gelesen, einmal in Chemnitz und einmal beim Rolling Stone Weekender letztes Jahr. Der Weekender war super, da war ich echt überrascht. Es ist im Prinzip ja dasselbe, wie mit einer Band: Die Leute die kommen, sind auch wegen anderen Bands da. Man liest quasi vor einem Publikum, das einen nicht unbedingt kennt. Und das ist natürlich auch immer die Herausforderung für eine Band auf einem Festival: Es ist nicht das eigene Publikum, wo man nur Schnipp machen muss und die finden es gut. Wenn man eine gute Band ist.
motor.de: Also musst du erstmal Arbeit in dein Publkum investieren.
Nagel: Genau. Aber ich weiß nicht, wie das hier ist. Ich werde das Festival heute eröffnen, ich bin der erste, der überhaupt ran muss. Es kann auch sein, dass da überhaupt niemand ist und alle noch im Zelt liegen. Es ist eben auch nur eine halbe Stunde – das ist durchaus auch eine Parallele, die man zu einem Band-Festivalauftritt ziehen kann. Man hat relativ wenig Zeit und dann gibt es halt nur die Hits.
motor.de: Kannst du vielleicht für die Ahnungslosen unter uns noch einmal ganz kurz umreißen, worum es in deinem Buch geht?
Nagel: In “Was kostet die Welt” gibt einen Protagonisten, einen Ich-Erzähler namens Meise, der 15.000 Euro von seinem verstorbenen Vater geerbt hat und dieses Geld so benutzt, wie sein Vater es nie getan hätte – er bereist die Welt. Sein Erzeuger ist nie viel gereist, er bisher auch nicht. Und nachdem er dieses Geld fast komplett verballert hat, landet er über ein paar Umwege in einem kleinen Weindorf an der Mosel. Und scheitert dort grandios. Seine ganze Selbstsicherheit, mit der er so durchs Leben geht, fährt da, in Konfrontation mit diesem bürgerlichen Lifestyle, total gegen die Wand. Darum geht es im Prinzip. Und der Hintergrund ist sehr stark von einer verkorksten Familiengeschichte geprägt. Das ist eigentlich immer present und wird auch immer mehr zum Thema für ihn.
Nagel über “Was kostet die Welt”
motor.de: Du hast lange Jahre nur Musik gemacht. Wie kam es dazu, dass du dich dazu entschlossen hast, ein Buch zu schreiben?
Nagel: Also, eigentlich habe ich schon immer geschrieben. Zu Beginn der Neunziger fing ich an, mit Freunden ein Fanzine zu machen. Wasted Paper hieß das, es existierte die ganzen Neunziger durch. Und ich habe natürlich auch die Songtexte bei Muff Potter geschrieben und oft für andere Fanzines und Musikmagazine. Wichtig war für mich außerdem mein Tagebuch. Eigentlich schreibe ich noch länger, als ich Musik mache. Irgendwann hat mich dann ein Bekannter und mein jetziger Agent, Jörn Morisse, gefragt, ob ich ein Buch machen will. Er hat mich angerufen und gemeint: „Hey, ich finde, du kannst schreiben! Kannst du dir vorstellen, ein Buch zu machen?“ Und dann habe ich so zwei Sekunden überlegt und gesagt: „Auf jeden Fall, lass uns das machen“.
motor.de: Also kam das gar nicht unbedingt direkt von dir aus, sondern der Tipp hat dich in die Richtung gebracht?
Nagel: Es ist ja erstmal ein bisschen prätentiös zu sagen ‘Ich mach jetzt ein Buch’. Ich pflanze jetzt einen Baum. Und ich weiß nicht, ob ich von alleine gedacht hätte, dass ich das unbedingt machen muss. So von jemandem kalt ins Wasser gestoßen zu werden, das war eigentlich ganz gut. Ich hätte es vielleicht sowieso irgendwann gemacht, aber es hätte bestimmt noch ein bisschen länger gedauert.
motor.de: Wie war es früher? Warst du damals schon ein fleißiger Bücherwurm – der kleine Nagel mit Nickelbrille?
Nagel: (grinst) Nee, ich bin kein besonders belesener Mensch. In den letzten zehn Jahren habe ich schon sehr viel gelesen und versucht auch einiges nachzuholen, aber ich komme nicht aus einem belesenen Elternhaus. Ich hatte zwar einen Deutsch-Leistungskurs in der Schule, aber auch da habe ich die Bücher nie gelesen. Bei Effi Briest bekam ich damals in der Schule eine Eins minus, ohne dass ich das Buch gelesen habe. Anscheinend kann ich irgendwie Schwafeln. Vielleicht sagt es auch mehr über das deutsche Schulsystem aus, als über mich. Ich bin ein totaler Autodidakt, ich hab nie einen Creative Writing Kurs gemacht oder sowas, sondern hatte einfach irgendwie nur Freude am Schreiben.
motor.de: Nur mit dem Lesen wollte es nicht so richtig werden…
Nagel: Naja, das kam dann spät. Ist wirklich ganz klassisch, wie bei ganz vielen Leuten: Irgendwann als Achtzehnjähriger habe ich mal was von Charles Bukowski in die Hand bekommen und gedacht: ‘Oh wow, lesen kann ja aufregend sein’. Da bin ich jetzt natürlich nicht stehen geblieben, aber das war mein Zugang.
motor.de: Um vielleicht einmal eine Parallele zu ziehen: Du bist jetzt seit über 20 Jahren im Musikgeschäft dabei und hast schon eine ganze Menge veröffentlicht. Bis jetzt waren zwei Bücher dabei. Wie ist das im Vergleich, Platte und Buch auf den Markt zu bringen?
Nagel: (grinst) Das Allergrößte war natürlich, die erste eigene Vinylschallplatte in der Hand zu halten. Das ist ein Gefühl, das man nur einmal im Leben hat. Trotzdem ist es natürlich jedes Mal wieder toll, wenn die Platte aus dem Presswerk kommt und man endlich das, woran man so lange gearbeitet hat, ganz haptisch vor sich hat. Man kann es anfassen, kuckt das alles durch und findet doch noch einen Fehler bei den Texten (lacht). Das ist natürlich wahnsinnig aufregend, aber das erste Mal kann man so nicht wiederholen und deswegen war dann der nächstgroße Moment für mich, das erste Buch zu veröffentlichen. Es wirklich anzufassen, aufzuschlagen und zu gucken.
motor.de: Also ist der Unterschied gar nicht so groß?
Nagel: Nein, eigentlich nicht. Das zweite Buch war dann natürlich besonders toll, weil es ein Hardcover ist. Das kann man sich auf den Kopf hauen und es tut weh, ziemlich toll (lacht). Das ist dann etwa, wie die erste Vinylplatte mit Klapp-Cover.
Nagel – “Einen Abend Wahnsinn”
motor.de: Du hast dich aber doch nicht nur allein auf das Buch konzentriert. Zusammen mit Muff Potter-Kollege Nikolai Potthoff hast du “Was Kostet Die Welt” auch vertont, jedenfalls einen Teil davon. Das kam auf Audiolith raus, nur als limitierte Vinyl und als Download. Spannende Idee, wie bist du darauf gekommen? Wie erschafft man aus einer Geschichte einen Track?
Nagel: Die Idee war auf einmal da, sie kam einfach irgendwie. Ich dachte, ich mach einen Teil aus dem Buch zum Song und aus dem Song einen Videoclip, bringe also noch mehr Pop rein, in dieses etwas dröge Literaturgenre. Und dann hat es so viel Spaß gemacht, dass ich dachte: Das kann man bestimmt noch mit mehreren Stellen aus dem Buch machen. Und Audiolith hatten Bock das rauszubringen. Dann hab ich mit Nikolai diese Songs gemacht. Das war im Prinzip ganz trial and error. Ich habe gar nicht erst versucht, da einen repräsentativen Querschnitt aus dem Buch auszuwählen. Manche Sachen gehen einfach nicht – ich möchte da keine fünf Seiten lange Sterbeszene vertonen. Obwohl die für mich sehr wichtig ist. Ich hab einfach geguckt, welche Stellen sich anbieten und da ein bisschen Musik zu gemacht. Irgendwann hatten wir vier Tracks beisammen und eben diesen New Order-Song, der auch im Buch eine wichtige Rolle spielt. Dann ging es darum, eine Single zu machen, ich wollte aber eine LP – am Ende haben wir uns auf eine 10” geeinigt (grinst).
motor.de: Also gab es für die ausgewählten Textstellen, die ihr vertont habt , gar keine wirklichen Kriterien?
Nagel: Ich habe einfach im Buch rumgeblättert, gesucht, was irgendwie passt und dann natürlich auch die Musik dazu ausgewählt. Sie war ja sehr wichtig, um die Stimmung zu verstärken. Bei den Aufnahmen war das auch sehr schön. Nikolai ist mein bester Freund, sozusagen. Er hat ein Studio und wir konnten da einfach so viel probieren, bis wir selber dachten, dass es cool ist. Das war nicht wie mit einer Band, wo man Studiozeit bucht und in dieser müssen die Songs dann stehen.
Nagel – “Tel Aviv”
motor.de: Wie haben es die Leute aufgenommen? Ist ja schon eine sehr eigentümliche Art von Musik in dieser Verbindung.
Nagel: Wer damit gar nichts anfangen kann, der meldet sich ja meistens nicht oder der schreibt es dann in irgendein Internetforum und sagt da, dass alles Kacke ist. So etwas lese ich aber nicht, von daher kann ich das gar nicht beantworten. Ich glaube, die meisten Leute haben so reagiert, wie du jetzt auch – so: ‘Find ich erstmal spannend, hab ich noch nie von gehört und deswegen ist es auch erstmal interessant.’ Das ist es im Prinzip auch, was mich dazu geleitet hat, das zu machen: Ich habe von dieser Idee noch nie etwas gehört. Und Dinge, die noch nie jemand vor einem gemacht hat, gibt es ja nicht so viele.
motor.de: Willst du das noch weiter ausbauen und vielleicht doch noch eine LP daraus machen?
Nagel: Ich glaube, irgendwann muss man auch mal loslassen. Das Buch habe ich im letzten Herbst veröffentlicht, habe sehr viele Lesungen dazu gemacht. Es folgen noch ein paar weitere, doch dann ist das aber auch mal gegessen. Man muss mal wieder etwas Neues anbieten. Die schrecklichste Vorstellung… (schnappt nach einer Mücke) …das ist eigentlich, Status Quo zu sein und immer „Rockin All Over the World“ spielen zu müssen. Das will man doch vermeiden. Deswegen immer gucken, dass einem vielleicht wieder etwas Neues einfällt oder auch mal eine Auszeit nehmen.
motor.de: Der Song den du vorhin angesprochen hast, ist eigentlich der einzig positive im Buch. Warum hast du dir dafür ausgerechnet New Order ausgesucht?
Nagel: Das ist ein Lied, das ich selbst sehr mag. Es hätte auch ein anderer Song sein können. Ich dachte einfach, dass dieser auch gut zu Meise passt. Er steht auf so eine Art Musik und ist nicht so ein Gitarren-Typ. Der Kontrast ist schön, weil Musik ja wirklich sehr schlecht wegkommt im Buch. Wenn man da mal drauf achtet: Musik taucht nur als nervig auf, als nerviger Ohrwurm, den man nicht loswird, als Handyklingelton, als Top 40 Band auf dem Weinfest. So stellt dieses große und natürlich auch ein bisschen pathetische Lied den Gegenentwurf dazu dar. Eigentlich hätte das aber auch „Don’t Look Back In Anger“ oder ähnliches sein können. (überlegt) Oder „Mr. Brightside“.
Nagel – “Bizarre Lovetriangle” (live)
motor.de: Jetzt zum Schluss nochmal zu diesem schönen Zitat: “Einen Abend Wahnsinn gegen tausend Jahre Stumpfsinn”. Ist das für dich auch eine Lebenseinstellung?
Nagel: Ich glaube schon, dass es eine gewisse Wucht hat und eine gewisse Wahrheit beinhaltet. Gerade, wenn man eine Tendenz dazu hat, an der Welt zu verzweifeln. Daran zu verzweifeln, wie stupide und langweilig, brutal und schlecht sie eigentlich ist. Auch wenn das jetzt ein bisschen pennälermäßig klingt: So ganz naiv runtergebrochen ist es für mich wirklich oft so. Dann sind da natürlich die kleinen Momente, die das alles wieder ausgleichen müssen. Der eine gute Witz, der eine gute Abend, der eine gute Rausch muss wahnsinnig viel kompensieren. Humor ist natürlich auch eine ganz wichtige Sache. Das steckt runtergebrochen in dieser Zeile “Einen Abend Wahnsinn gegen tausend jahre Stumpfsinn”.
motor.de: Abschließend: Was kann man von dir erwarten, gibt es einen Plan?
Nagel: Ich mach jetzt noch so ein paar Lesungen, ein paar davon alleine und ein paar mit Linus Volkmann, der auch gute Bücher schreibt. Viel weiter geht es noch nicht.
motor.de: Das ist also so die Zukunft?
Nagel: Na, mir bleibt nichts anderes übrig.
motor.de: Was ist mit den Blood Robots?
Nagel: Blood Robots ist natürlich ein ganz schwieriges Ding, weil das so eine klassische Feierabendband ist. In der Band haben alle ihre ganz verschiedenen Jobs. Es ist eine Band, die niemals viel auf Tour gehen wird. Der Sänger zieht im Sommer nach Irland und da muss man dann überhaupt mal sehen, wie und ob das weitergeht.
motor.de: Ansonsten, willst du noch etwas loswerden?
Nagel: Auf keinen Fall.
Interview: Alex Beyer
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