Warum man den alten Mann mit dem Pferd keinenfalls zum alten Eisen legen sollte und gerade seine reaktionäre neue Platte progressiv den Zeitgeist trifft.

Bringt ein altehrwürdiger Großmeister von solch hoher popkultureller Relevanz wie Neil Young ein x-tes weiteres neues Album heraus, in diesem Falle Nummero 35, so passiert in der Regel zweierlei. Die alteingesessenen Liebhaber, die meist den wertkonservativen Flügel der Musikpresse besetzen (hier nachfolgend Dinosaurier genannt) überschlagen sich zwangsläufig mit Lobeshymnen und denken ebenso wie Young selbst wehmütig an die gescheiterte Revolution der 60er zurück. Damals war man schließlich noch jung. Die neue Scheibe XY wird selbstredend fein säuberlich als Sonderedition in den heimischen Plattenschrank zu den 34 anderen Alben gestellt. Doch neben den Dinos, gibt es noch die Jungspunde. Naja, zumindest Jungspunde und Menschen die sich noch als jung bezeichnen dürfen, weil sie unter 40 sind. Weil ich noch keine 30 bin, darf ich mich zu den Jungspunden zählen. Traditionsgemäß gehört das Feld der populären Musik den Jungspunden, die sich dann gegen die verrosteten (Achtung, Anspielung!) Strukturen der Alten stellen und meckern wie langweilig der olle Kram doch sei. Dinosaurier sind schließlich bekanntermaßen vom Aussterben bedroht.

Neil Young – “Driftin’ Back”


Dazu zunächst eine kleine Anekdote aus meiner Teenagerzeit. Mit 16 hatte ich lange Haare, trag meine Lederjacke standesgemäß auch im Hochsommer und war furchtbar auf Heavy Metal fixiert. Zu dieser Zeit bemerkte ich, dass auch die Vertreter meiner Elterngeneration (allesamt Dinosaurier) mal die Jungspunde gewesen waren. Ich hatte herausgefunden, dass mein Vater früher großer Black Sabbath-Fan war und hörte mir gerne die Geschichten meiner Tante an, die etwa per Anhalter getürmt, eines der letzten Konzerte von Jimi Hendrix gesehen hatte. Ihre Begeisterung für Neil Young hingegen tat ich stets gelangweilt ab. Was interessiert mich auch der Schnee von gestern? Nun da ich mich selbst als Jungspund deklariert habe und Motor mit dem Geburtsjahr 1995 selbstredend als frisch gilt, dürfte die Sache eigentlich klar sein. Ist sie aber nicht, stattdessen ist irgendwie alles anders. Keine langen Haare mehr, obendrein politisch-korrekte Kunstlederjacke und die nur wenn es wirklich kalt ist. Hinzu kommt eine Vorliebe für Neil Young. Doch was war geschehen?

Es gibt schlichtweg einen Unterschied zwischen der zigtausendsten Lobpreisung der Stones oder Beatles und der nachhallenden Relevanz von Neil Young. Der Altmeister ist nicht etwa junggeblieben, wie etwa der Name vermuten liesse, sondern trifft mit seiner neuen Studio-Platte “Psychedelic Pill” einerseits Gegenwart, bleibt aber gleichsam seinen ästhetischen Motiven mittels retromanischer Vergangenheitsbeschwörung treu. Doch genug dem Geschwafel, Butter bei die Fisch. Es ist der Dreck in Youngs Gitarrenspiel, dessen ästhetische Bedeutung so oft übersehen wird, sein Sound macht den feinen Unterschied aus. Wie schon der Vorzeige-Poptheoretiker Diederichsen in Sexbeat bemerkte: “Denn Sound kann das Eigentliche an Pop-Musik sein, besonders bei Kindern und Katzen. Es ist das direkteste, möglicherweise kitzeligste Element, der Rattenfängeraspekt.” Der gute Mann hat selbstredend Recht. Die von Neil Young geschaffene Klangästhetik hat weitreichenden Einfluss. Die künstlerisch-politische Aussagekraft seines Sounds ist der Ursprung eines Erbes, dass bald darauf durch Sonic Youth angetreten werden soll. Um es hier schon einmal kurz auf den Punkt zu bringen: Ohne Neil Young kein Sonic Youth, und wer zur Hölle will in einer Welt ohne Sonic Youth leben?

Neil Young – “My My, Hey Hey (Out Of The Blue)”

Die New Yorker No-Wave-Ikonen berufen sich nicht umsonst auf den Altmeister, vielmehr schaffen sie in ihrer Weiterführung von LoFi-Attitüde und der Integration von Noise als prägende Stilelement eine neue musikalische Tradition. Aus dem Untergrund treten Bands wie Jesus And Mary Chain oder Hüsker Dü hervor, mit denen der Weg für Indie/Alternative angefangen bei Dinosaur Jr bis zu den Pixies endgültig geebnet wird. Nach Velvet Underground wird Neil Young zum wohl wichtigsten Einfluss unserer musikalischen Indie-Helden der 80er und 90er. Mit Crazy Horse legt Young 1979 mit “Rust Never Sleeps” einen musikalischen Meilenstein vor, der ihm seinen zweiten Frühling beschert. Er wird von der schnell aufkommenden Grunge-Welle zum Godfather erklärt. Der Zusammenhang zwischen Young, Sonic Youth, den Melvins, Mudhoney und schlussendlich Nirvana ist mehr als offensichtlich. Das von Young geprägte Authentizitätsideal der Sechziger Jahre erlebt hier eine umfassende Renaissance, das Genre selbst erklärt den “Schmuddel” seines Sounds zum deklarierenden Stiletikett.

Bald darauf zitiert Kurt Cobain die legendären Zeilen “It’s better to burn out than to fade away” aus “Hey Hey, My My (Into the Black)” in seinem Abschiedsbrief. Spätestens zu diesem Zeitpunkt, wird klar das Neil Young & Crazy Horse einen Prototypen geschafft hatten, der nicht nur wie kein anderes Werk den Zeitgeist getroffen hatte, sondern vor allem verdeutlicht, dass die Relevanz von Young weit über den Folk Rock der 60er und 70er hinausgeht. Danke Neil, nicht nur für “Down By The River”, sondern eben auch für “Teen Age Riot” und “Heart Shaped Box”.

Nach über zwei Dekaden, knüpft Young dort an, wo er 1979 aufgehört hat. Seine neue Platte steigt direkt mit entsprechenden Selbstreferenzen ein und zeigt wie gegenwartsnah seine musikalische Vergangenheit gerade heute ist: “Hey now now / hey now now / I’m driftin’ back.” Gerade unsere Generation täte gut daran seinem Aufruf zu folgen. Denn in “Psychedelic Pill” liegen eben jene ästhetischen Erfahrungen verborgen, die zunehmend verloren gehen. Neil Young nennt das Kind direkt beim Namen: “Dreaming about the way things sound now / Don’t wan’t my mp3”. Ferner klagt er den Verlust von Klangqualität an: “When you hear my song now, you only get five percent”. Der gute Mann hat Recht. Unsere Prioritäten haben sich im Digitalzeitalter entscheidend zugunsten von Quantität verschoben. In seiner Abhandlung über das mp3-Format, stellt auch Jonathan Sterne fest, dass die massive Akkumulation die Grundessenz des kompakten Dateiformats verkörpert. Hinzukommen immer mehr schnelle Reize, der Drang nach dem nächsten Kick. Überkomprimierte Produktionen, Double-Hooks, Loudness War. In der Hektik des Alltags zappen wir immer schneller mit dem Skip-Button durch das unerschöpfliche Archiv von Spotify. Selbst kurze Titel in 3:30 Fast-Food-Länge werden nicht zu Ende gehört. Die hippen weißen Stöpsel im Ohr klingen zudem richtig scheiße.

Neil Young – “Walk Like A Giant” (live)


Neil Young hingegen zelebriert auf 27:34 wenige musikalische Phrasen. Das mag anstrengend klingen, ist aber vielmehr befreiend. Die zeitlose Qualität sich in Musik zu verlieren kehrt urplötzlich zurück. Nach dem knackigen Titeltrack folgt hingegen mit “Ramada Inn” der nächste Epos, diesmal eine gute Viertelstunde. Voller Sehnsucht und Hingabe thront Youngs Solo-Gitarre auf dem monoton groovenden Fundament der Band. Doch da alle guten Dinge bekannterweise drei sind, füllt er mit einen weiteren ausufernden Werk eine komplette Stunde Musik mit nur drei Songs und minimalistischen musikalischen Motiven. “Walk Like A Giant” kann sich direkt hinter “Cowgirl In The Sand” und “Down By The River” als einer seiner größten Songs einreihen. Reduzierte Rhythmusgruppe und ausufernde Leadgitarre kontrastieren mit einer verspielt gepfiffenen Mini-Hookline. Das Stück baut sich langsam auf, ufert in epischen Gitarrensoli aus und dekonstruiert sich schlussendlich in einer von Feedback getränkten Noise-Orgie selbst.

“There’s more to the picture than meets the eye” sang er 1979. Ebenso es ist auch mehr in dieser Platte, als das Ohr trifft. “Psychedelic Pill” ist nicht nur das beste Album Neil Youngs seit Dekaden, sondern vor allem ein kritisch-ästhetischer Gegenentwurf zur Gegenwart und dabei gleichermaßen kurierende Wunderpille.

Matthias Ziegenhain

VÖ: 26.10.2012

Label: Reprise/Warner

Tracklist:

01. Driftin’ Back
02. Psychedelic Pill
03. Ramada Inn
04. Born In Ontario
05. Twisted Road
06. She’s Always Dancing
07. For The Love Of Man
08. Walk Like A Giant
09. Psychedelic Pill (Alternate Mix)