Dreckig, ungezähmt und sperrig: Night Beats spielen kompromisslos energetischen Rock’n’Roll im Geiste des goldenen Jahrzehnts psychedelischer Gitarrenmusik.
Die 60er Jahre waren in musikalischer Hinsicht eine replizierende Dekade. Ende der 50er stand der Blues jenseits des Atlantik am Klimax seines kommerziellen Erfolgs und sah einer ungewissen Zukunft entgegen. Musiker wie Howlin’ Wolf, Willie Dixon oder John Lee Hooker hatten die Rechte an ihren Aufnahmen für einen Pappenstiel verscherbelt und standen genauso arm da, wie zu Anfang ihrer Karriere. Demgegenüber gediehen Plattenlabels zu einer regelrechten Goldgrube. Zu Beginn des neuen Jahrzehnts schwappte die Musik, die im eigenen Land kein Gehör fand, nach Europa und stieß dort auf offene Ohren und regelrechten tonkünstlerischen Übereifer. Die Geburtsstunde der British Invasion war besiegelt und brachte stehenden Fußes einen Klassiker nach dem anderen hervor. Allen voran die Beatles und Rolling Stones, die den Blues gewissermaßen Pop-tauglich machten und ihm ein jugendliches – und beinahe noch entscheidender – weißes Gesicht verliehen.

Geschniegelt und für die breite Masse aufpoliert, war der Erfolg der Briten in Amerika durchschlagend und führte einer Nation das eigene Kulturgut quasi aus zweiter Hand vor Augen. Die Folge dessen war Mitte der Dekade ein regelrechter Boom an Blues- und R&B-Bands aus Amerikas Mittelschicht. Bildlich gesprochen: in jeder zweiten Garage stand ein billiger Gitarrenverstärker. Was mit Blues-Covern begann, entwickelte sich dem charakteristischen Sound lumpigen Equipments geschuldet, schnell hin zu obskurem Rock’n’Roll mit Punk-Attitüde. Spalier standen seinerzeit Bands wie The Sonics oder The Electric Prunes.

Night Beats – “Ain’t Dumbo”
Wir springen 50 Jahre nach vorn: retro ist das repräsentative Wort der vergangenen Dekade, entbehrt inzwischen jeglicher Substanz und scheint sich zur Antiphrase von Authentizität entwickelt zu haben. Mitunter kommt es allerdings dennoch vor, dass aus dem identitätslosen Einheitsbrei musikalischer Rückbesinnung der ein oder andere genuine Diamant hervorblitzt. So geschehen bei den Night Beats aus Seattle. Glaubwürdig, retro, originalgetreu… Attribute, auf die das Trio – mit Verlaub – genüsslich scheißt und sich sympathisch dem zeitgemäßen Hipstertum entzieht. Musikalisch sind die Night Beats tatsächlich beinahe originaler als das Original. Tief im psychedelischen Blues verhaftet, hat auch Stooges‘scher Punk-Habitus abgefärbt.

Night Beats – “Useless Game”

Frontmann Lee Blackwells Stimme hat ein angenehm düster-nasales Soul-Timbre und setzt sich gegenüber der ruppigen Untermalung wirkungsvoll ab. Umso treffender also, dass der Bandname von Soul-Legende Sam Cookes gleichnamigen Album entliehen ist. Im Juni dieses Jahres erschien nach zweijähriger Bandhistorie nun das selbstbetitelte Langspieldebüt auf dem Chicagoer Liebhaber-Label Trouble In Mind Records und strotzt vor ungebannter Energie und Spielfreude. Als würde man ihnen den Revolver an die Schläfe setzen, schrammeln sich die Drei auf gut 40 Minuten durch die Essenz psychedelischen Garagenrocks. Vom poppig-agressiven Mitgröl-Refrain in “Ain’t Dumbo” über dronigen Delta-Blues (“High Noon Blues”) bis hin zu abgedrehten Klangkaskaden in “Dewayne’s Drone” – das mit verzerrt leierenden Vocals und sich türmenden Gitarrenfeedbacks hypnotische Züge trägt – ist alles da, was eine erstklassige 60’s Garage-Platte ausgemacht hätte.

Night Beats – “High Noon Blues”

Analog dazu ist die Produktion rauh, kantig und ungeschliffen – eine Art Rohdiamant also, der hoffentlich nicht in Bälde ausgegraben und lupenrein geschliffen wird, sondern noch einige Jahre Matsch, Dreck und Schweiß atmet. In gewisser Hinsicht sind auch die Night Beats Teil der zeitgeschichtlichen Replik. Den entscheidenden Unterschied macht allerdings die Tatsache, dass ihre Wurzeln da ansetzen, wo auch jene Bands des goldenen Jahrzehnts psychedelischer Gitarrenmusik Inspiration suchten. Nämlich genau an dem Punkt – und damit schließt sich der Kreis – wo John Lee Hooker und Co. das Rampenlicht verließen und ihr musikalisches Erbe an die nächste Generation weiterreichten.

Robert Henschel

Album: Night Beats

VÖ: 28.06.2011

Label: Trouble In Mind

Tracklist:

01. Puppet On A String
02. Ain’t Dumbo
03. Dial 666
04. The Other Side
05. Useless Game
06. Dewayne’s Drone
07. Hallucinojenny
08. Ain‘t A Ghost
09. Meet Mr. Fork
10. War Games
11. High Noon Blues
12. Little War In The Midwest