Nikka Costa über das Verhältnis von Popmusik und Politik, ihr Konsumverhalten und die Gefahren der “Generation Castingshow”.
“Move aside all you posers, get out your homework folders” (Nikka Costa – “Pro Whoa”)
Die Frau mit der Löwenmähne ist zurück und traut sich einen neuen musikalischen Weg einzuschlagen. 2001 gelang der Amerikanerin mit „Like A Feather“ weltweit der Durchbruch. Einige werden sich vielleicht noch an das sexy Video zum Song erinnern, das ihr sogar einen MTV Award bescherte.
Während sie damals ganz dem Soul verschrieben war und mit Lenny Kravitz und Billy Preston zusammenarbeitete, gibt es auf ihrem Neuwerk „Pro Whoa“ poppige Clubmusik auf die Ohren. Dass die keineswegs gehaltlos sein muss, erklärt uns die 38-Jährige im Interview.
motor.de: Hey Nikka, wie gefällt dir Berlin?
Nikka: Sehr gut. Sonntag hatte ich einen Tag frei. Da bin über den Mauerpark-Flohmarkt geschlendert, habe eine Waffel gegessen und mir die Olafur Eliasson Ausstellung angesehen. Das war toll!
Motor.de: Eben warst du ja noch mit P!nk auf Tour. Ist es anders auf der Bühne plötzlich von Synthesizern umgeben zu sein, anstatt von einer Soul-Band?
Nikka: Wir spielen in unserem Set immer noch ein paar Soul-Songs. Aber es ist zunächst immer etwas merkwürdig die neuen Songs zu performen. Ganz egal, aus welchem Genre sie kommen, zuerst fühlt man sich irgendwie nackt.
Motor.de: Deine erste Single „Ching Ching Ching“ kritisiert Leute, die berühmt werden wollen, aber nicht bereit sind, wirklich etwas dafür zu tun.
Nikka: Ich glaube, dass „Reality-TV“ und Shows wie „American Idol“ dazu geführt haben, dass Berühmtheit zum Ziel einer ganzen Generation geworden ist. Sie wollen bekannt werden, denken aber nicht darüber nach, eine richtige Fähigkeit zu entwickeln. Früher war es wichtiger, gut in dem zu sein, was du tust. Dieser Vorgang hat uns ziemlich viel Kreativität geraubt und unsere Kreativ-Szene geschwächt.
Motor.de: Ist es nicht auch schwerer geworden, sich gegenüber der ganzen Konkurrenz durchzusetzen, die da im World Wide Web lauert?
Nikka: Es gibt sicherlich Vor- und Nachteile. Künstler profitieren aber von Plattformen wie MySpace. Wenn wir zu sehr von Labels und Radiosendern etc. abhängig wären, kann das auch hemmend wirken. Man kann im Internet all diese großartigen Künstler finden, die auf kommerziellen Wegen niemanden erreichen würde. Aber natürlich gibt es auch viel Müll…trotzdem ist es gut für die Kunst, dass es so was gibt.
Motor.de: Du bist selbst schon ein paar Jahre im Geschäft. Findest du, dass es früher schwerer war, sich durchzukämpfen?
Nikka: Es war eine andere Zeit, ein anderes Geschäft, es gab kein Internet, Labels haben noch anders funktioniert, ich würde sogar sagen, dass Menschen damals anders Musik gehört haben. Trotzdem glaube ich nicht, dass man sagen kann, dass es schwerer oder leichter war. Es war einfach anders.
Nikka Costa – “Ching Ching Ching”
Motor.de: “Ching Ching Ching” zeigt ja auch, dass du es nicht gut findest, wenn Leute nur wegen des Geldes Musik machen. Was sind deine Motive?
Nikka: Es ist einfach ein Teil von mir. Ich muss Musik machen, ganz egal, ob ich im Radio gespielt werde, oder nicht. Ich kann mich sehr glücklich schätzen, dass ich davon leben kann, aber ich bin weder besonders reich dadurch geworden, noch besonders berühmt. Ich möchte dabei aber auf jeden Fall keine einfältigen Texte schreiben, nur weil die Titel tanzbar sind. Meine Songs funktionieren ungefähr so: Es gibt einen guten Beat, zu dem sich die Leute bewegen können. Aber wenn sie bereit sind, tiefer zu gehen, um sich zum Beispiel mit den Texten auseinanderzusetzen, will ich, dass sie dort auch auf etwas treffen. Wenn es immer nur darum geht, in einem Club zu feiern, finde ich das langweilig. Das reizt und erfüllt mich nicht.
Motor.de: Die Songs „Stuff“ oder „Nylons In A Rip“ zeigen, dass du dich auch traust zu kritisieren. Eine ziemlich seltene Sache im Pop-Geschäft. Würdest du sagen, dass Kritik und Pop überhaupt zusammenpassen?
Nikka: Puh, ich glaube das taten sie mal! Wenn man zum Beispiel zurück in die 60er Jahre geht. Zu der Zeit gab es viele Künstler, die ständig über das Tagesgeschehen und den Zustand der Gesellschaft redeten. Ein gutes Beispiel dafür ist Marvin Gayes „What’s Going On“, in dem es unter anderem um den Vietnam Krieg ging. Die Radiostationen haben sich damals auch nicht geziert, diese Lieder zu spielen und darüber zu diskutieren.
Marvin Gaye – “What’s Going On”
Motor.de: Wir haben kürzlich einen Artikel über die neue „Political Awareness“ unter Musikern geschrieben. Würdest du dich da mit eingliedern?
Nikka: Zur Zeit passiert zwar mindestens genauso viel wie damals, aber mir kommt es so vor, als würden heutige Künstler nicht mehr so viel darüber reden. Genau deshalb hab ich auf der letzten Platte „Balls in The Sky“ geschrieben und auf dieser „Nylons In A Rip“. Ich möchte nicht zurückschrecken vor den Dingen, die ich täglich in meinem Fernseher sehe. Ich hoffe doch sehr, dass immer mehr Künstler ihre Plattformen nutzen, um jüngere Leute dazu zu bringen, auf andere Dinge Wert zu legen, als nur Geldverdienen und in Clubs zu gehen. „Nylons In A Rip“ ist einfach Ausdruck meiner Frustration über die „Herrschenden“ in unserer Gesellschaft. Und ich glaube, dass es vielen Leuten diesbezüglich ähnlich geht wie mir. Und in „Stuff“ geht es eigentlich nur darum, shoppen zu gehen, um sich besser zu fühlen (lacht).
Motor.de: Passiert dir das oft?
Nikka: Oh ja! Es passiert mir ständig. Deshalb konnte ich so gut darüber schreiben. Das machen wir doch alle…
Motor.de: Der Song ist von dem Kurzfilm inspiriert „The Story Of Stuff“. Hast du nach diesem Video versucht, dem Konsumdrang auch mal zu widerstehen?
Nikka: Definitiv. Das kommt auch daher, dass ich mittlerweile eine Tochter habe. Ich bin mir schon sehr bewusst über meinen Einfluss auf die Umwelt. Ich versuche zum Beispiel keine Plastikflaschen auf der Tour zu benutzen und ich habe sehr hart dafür gekämpft, dass meine CD-Verpackung aus Papier und nicht aus Plastik ist.
Motor.de: Das Album heißt “Pro Whoa”. Bedeutet das, dass du gerne der Profi bist?
Nikka: Der Song erzählt meine Geschichte, meine Karriere, aber in einer sehr arroganten und abgehobenen Art und Weise. Mit so einem überhöhten Ego würde ich normalerweise niemals reden. Aber bei dem Lied habe ich mich einfach danach gefühlt. Ich wollte rappen und mich mal so richtig aufblasen (lacht). Es ist einfach eine Attitüde…
Motor.de: Vielleicht ein bisschen die Attitüde, über die du dich in “Ching Ching Ching” lustig machst?
Nikka: (lacht) Genau. Ich bin ein Zwilling. Ein bisschen zweipolig.
Motor.de: Du kommst selbst aus einer sehr musikalischen Familie. Wie sieht es mit der nächsten Costa-Generation aus?
Nikka: Ich weiß nicht, meine Tochter ist erst vier. Sie hat noch keinen direkten Plan, was sie machen will (lacht). Es wäre natürlich super cool, wenn sie auch Musikerin werden würde, aber ich werde sie bei allem unterstützen. Das ist ein bisschen das Mysterium der Kinder – man hat keine Ahnung was aus ihnen werden wird.
Motor.de: Und weißt du schon, was aus dir als nächstes werden wird?
Nikka: Ich muss mich erst mal ausruhen. Wir haben gerade erst dieses Album zu Ende gemacht, das ging alles sehr schnell und jetzt muss ich mal ein wenig pausieren. Dann werde ich mich mit der Tour beschäftigen. Ich bin nicht so jemand, der gleich an die nächste Platte denkt. Ich muss erstmal etwas Luft holen und mich entspannen…
Interview: Laura Gertken
“Pro Whoa”
VÖ: 03.09.2010
Label: Go Funk Yourself / Virgin
Trackliste:
01. Pro Whoa
02. Never Wanna C U Again
03. Head First
04. Nylons In A Rip
05. Not The Only One
06. Everybody Loves You When Your Dead
07. Ching Ching Ching
08. Stuff
09. Song For Stadiums
10. Radio
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